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Wo bist du, guter alter Donald? Walt Disney – Lustiges Taschenbuch Nr. 531 „Keine Zeit zu Lachen“ Von Sebastian Meyer
Der Aufbau des ‚Lustigen Taschenbuchs‘ (LTB) „Keine Zeit zu Lachen“ ist verwirrend: Die relativ langen DoppelDuck-Geschichten zieht sich durchs ganz Buch, dazwischen eingestreut einige klassische DD’s und die neue Fantasy-Sci-Fi-Sparte , die sog. „Donald Quest-Saga“. Die Doppelduckstorys sind ganz nett – Donald rettet, diesmal nicht als Phantomias, sondern als Agent DoppelDuck die Welt. Er legt den WorldWideWeb-Server lahm, und abends kommt er pünktlich zur Schultheaterpremiere der Neffen. Theoretisch ein ausbaufähiger Plot, wäre das Ganze nur nicht so ungeschickt verknotet, dass man Handlungsfäden ins Nichts nutzt, um auszusteigen. Zugegeben, die Bind-Idee ist lustig, aber man hätte – auch als LTB mit Donald Duck- den Spaß in die Tiefe gehen lassen können, doch es bleibt bei Anspielungen und Halbherzigkeiten. Und das ausgerechnet bei Bond! Es ist unübersehbar, dass die Macher des LTB versuchen, die wegbrechende junge Leserschaft mit Fantasy-Elementen wiederzugewinnen – um den Preis, dass alle anderen (eventuell auch jungen, aber nicht an Fantasymania erkrankten) Leser überhaupt nicht mehr in die Geschichten reinfinden. Es ist nur scheinbar jugendnah und Interessen treffend, wenn man als argloser Donald-Fan und James-Bond-Connaisseur in diesem Band mit unverständlichen Geschichten von irgendwelchen Märchenländern in Computerspieloptik , die sich seitenlang durch den Comic ziehen, konfrontiert wird. Was soll das? Einige klassische Anspielungen erfreuen umso mehr. Eine davon die neuinterpretierte Hommage an den alten Donald der ersten LTBs. Das ist schön – weckt aber doch den Wunsch, ihn wieder ganz erleben zu dürfen; Donald ohne Action und Urzeitmonster, stattdessen mit zusammenhängender Handlung. Ja, die gab’s! Was hier zäh und schwach daherkommt, könnte im nächsten LTB wieder besser sein. Das nennt man Hoffnung!
Walt Disney – Lustiges Taschenbuch Nr. 531 „Keine Zeit zu Lachen“ Egmont Ehapa Media 2020 256 Seiten, Euro 6,99 ASIN B085W2NLF5
Hoch
Transhuman Asterix bei den Pikten Von Sebastian Meyer
Ein neuer Asterixband! Asterix wird weitergeführt, und zwar von zwei ganz neuen Comic- Zeichnern bzw. -autoren, beide noch ausgesucht vom hochbetagten Ur-Schöpfer Uderzo, der zusammen mit Goscinny Asterix erfunden hat . In dem kleinen gallischen Dorf taucht auf einmal eine in Eis gefrorene Figur auf- ein Pikte, Mitglied eines schottischen Stammes! Man taut den Pikten auf und bringt ihn zurück nach Schottland, wo mal wieder gegen die Römer gekämpft wird. Die Geschichte – typisch Asterix und Obelix. Und doch merkt man sofort, dass Goscinny und Uderzo nur im fernen Geiste, in dem der Erfolgscomic am Leben erhalten wird, mitgewirkt haben. Goscinny war ein Genie, und schon, als er starb und Uderzo allein die Asterix-Bände übernahm, sank die Qualität. Ohne Goscinny schaute es düster aus. Das war auch bei Lucky Luke so. Man muss sich daher fragen, ob es überhaupt gut ist, die Comic-Alben immer weiterzumachen. Bei den Tim und Struppi-Alben hat der Autor verboten, dass es nach seinem Tod einfach weitergeht. War das schlecht? Nein. Gut, es gibt keine neuen Alben, aber dafür hat Tim und Struppi die ursprüngliche Qualität nie eingebüßt.“ Asterix und Obelix“ und „Lucky Luke“ werden qualitativ zerfleddert, es gibt zwischen den Alben solch große qualitative Unterschiede, die Comic-Figuren nicht vertragen. Eine Ausnahme bilden die Walt Disney Comics, wie Donald Duck oder Dagobert Duck, sie vertragen mangels Finessen alles – sie sind angelegt auf austauschbare Autoren. Über diese Comics kann man einfach immer noch lachen, egal, welcher Kopf dahintersteckt. Aber der Sprachwitz, die kenntnisreichen Details, die feinen Anspielungen, die kann es bei „Asterix“ nicht mehr geben. Kopieren unmöglich – anders bei den Bildern. In „Asterix bei den Pikten“ kommen die Comicfreunde, die Freude an den Bildern haben, gänzlich auf ihre Kosten. Da gelingt das geradezu symbolische transhumane Auftauen. Die Figuren sind wieder ganz so, wie man sie nun seit vielen Jahren kennt, Strichführung, Farbgebung, Charakteristika: Alles stimmt. Nicht ganz unwichtig beim Comic, möchte man meinen.
Ferri / Conrad: „Asterix bei den Pikten“ Übersetzt von Klaus Jöken Egmont Comic Collection 2013 48 Seiten, Euro 12,00 ISBN 978-3770436354
Hoch
Nero war ein echt übler Typ „Ente ante portas“ Von Sebastian Meyer
Donald Duck ist so alterslos wie unsterblich. Also geht es immer weiter mit den Abenteuern aus Entenhausen. Jetzt ist ein Sammelband erschienen, in dem ausschließlich Abenteuer unter dem Motto „Die Ducks in der Antike“ gesammelt sind. Unsere bekannten Helden (Donald, Dagobert, Micky Maus usw.) treffen wir hier im Alten Griechenland, bei den Olympischen Spielen, in Pompeji und im Alten Ägypten. Natürlich bleibt auch in der Antike Donald der Pechvogel und Dagobert reich und geizig. Der Witz, dass diese Comic-Figuren all den Größen aus der Antike begegnen ist, - ja, wirklich sehr witzig und veralbert natürlich alles, was für Latein- und Griechisch lernende Kinder sonst trocken Brot ist. Micky Maus wäre nicht Micky Maus, wenn nicht schlaue Aussprüche schlauer machen würden: „Die Geschichtsbücher haben offensichtlich recht! Nero war echt ein übler Typ.“ Oder Dagobert als Bürgermeister von Entopolis, genauso geizig ist wie in Entenhausen. Und als geiziger, grantliger Pharao, der das Alte Ägypten beherrscht. In „Ente ante portas“ finden sich viele solcher Geschichten aus der Historie à la Duck, natürlich, wie immer, im üblichen nicht zu tiefsinnnigen Entenhausen-Stil. Wer sich in die antike Welt von Donald und Dagobert begibt, der hat vor allen Dingen was zu lachen.
Disney: Enthologien 19 - Ente ante portas: Abenteuer in der Antike Ehapa Egmont 2013 509 Seiten, Euro 15,00 ISBN 978-3770437412
Hoch
Können Comicfiguren ihre Zeichner überleben? Der „neue“ Asterix: "Die goldene Sichel" im neuen Design Von Sebastian Meyer
Ehapa hat nun alle Asterix Bände neu koloriert und designed. Das Cover ist komplett verändert worden, sogar mit einem neuen Bild. Kleine Veränderungen gab es immer mal, aber diesmal ist man sehr weit gegangen: Früher, in den ersten Bänden, ist Obelix scheinbar noch etwas ungelenk gezeichnet, er ist noch dünner, hat einen größeren Kopf und die Streifen seiner Hose sind deutlich schmaler. Das ist nun auch auf den Umschlagbildern dem Obelix, wie er berühmt geworden ist, angepasst. Außerdem geht das neue Cover viel mehr ins Detail und lässt das Bild mehrdimensionaler erscheinen; man hat stärker auf Schattierungen geachtet. Das alte Cover präsentiert deutlicher den Witz der Asterix-Hefte, hier springt Asterix lachend in die Höhe, als er Lutetia entdeckt, und Obelix lächelt leicht dümmlich, wie es so seine Art ist. Auf dem neuen Cover aber posiert Asterix stolz lächelnd vor dem etwas weiter unten gelegenen Lutetia, während Obelix mit seinem Helm, ebenfalls stolz, nach unten winkt. Das Cover ist nicht mehr klein und beschaulich, wie es vorher war. Im Innenteil sind die Farben nun in Orange-Tönen gehalten. Manchmal ist es dunkler, manchmal heller als im Original. Doch nicht nur Kleinigkeiten in den Farbtönen wurden verändert, sondern, wie zum Beispiel auf Seite zwölf, auf der man einen Mann sieht, der ein Fenster zuschlägt: Er hat im Original ein rotes Hemd an, in der neuen Fassung aber ein blaues. Petitessen. Aber die Schrift! Auch sie ist verändert worden und hat nun einen leichten Flimmereffekt. Hätten man das Ganze lassen sollen? Nichts verändern? Die „Asterix“-Hefte sind so erfolgreich, dass seit Jahren neue Bände erscheinen, die weitaus schwächer sind als die furiosen Abenteuer, die Asterix aus Goscinnys Feder erlebte. Der Erfolg frisst seine Figur. Es darf angesichts eines solchen kommerziellen Sieges kein Ende geben, scheint es. Bei der Lucky Luke-Reihe ist es dasselbe. Es kommen immer wieder neue Alben raus, wie zum Beispiel gerade „Auf eigenen Beinen“ von immer verschiedenen Zeichnern und Textern, es ist nie eine klare Linie drin, jeder zeichnet dann doch anders und jeder Autor schreibt anders. Lucky Luke hat jetzt nicht mehr nur ein Gesicht oder zwei (was es auch bei lebenden Menschen geben soll), sondern er hat tausende. Aber das neue „Asterix“-Design ist, um einen Begriff aus anderen Branchen zu verwenden, ein Facelifting. Asterix und Obelix sollen verjüngt weiterleben und vor allem weiterleben können. Verhindert wird damit, dass Asterix neben dem musealen wert, der ihm sicher ist, auch für Kinder der Gegenwart existent bleibt. So soll es sein!
Uderzo / Goscinny: "Die goldene Sichel" Ehapa Egmont 2013 46 Seiten, 12,00 Euro ISBN 978-3770436057
Achdè: "Auf eigene Faust" Ehapa Egmont 2013 48 Seiten, 12,00 Euro ISBN 978-3770436989
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Fett, faul und ein Kater - Garfield Jim Davis: "Garfield Gesamtausgabe 1" Von Sarah Ludwig
Fett, faul und ein Kater- Garfield, fast jeder kennt die kurzen Comic-Strips, in denen es um den verfressenen Kater geht. Band eins der Gesamtausgabe, den wir uns genau angeschaut haben, ist ein gutes Garfield-Starter-Set. Dieser beabsichtigt unsympathische Kater, dessen Charaktereigenschaften Faulheit, Verfressenheit, Jähzorn, unnötige Gewalt und Schadenfreunde sind, bringt einem immer wieder zum Lachen, sein Verhältnis zu seinem Besitzer Jon wohl am meisten. Besonders Garfields philosophische Gedanken, häufig über das Essen, liegen erstaunlich nahe an der Realität. Garfields direktes Umfeld bringt den Kater immer wieder zur Verzweiflung, besonders Odie, ein Hund. Allerdings stellt man sich oft die Frage, ob Garfield nicht eher die anderen zur Verzweiflung bringt. Der Comiczeichner Jim Davis veröffentlichte seinen ersten Garfieldstrip in mehreren Zeitschriften gleichzeitig im Juni 1978. Diese ganz neue Art des Comicstrips wurde ein riesiger Erfolg und Garfield ist bis heute einer der beliebtesten Kater Welt, der über 250 Millionen Leser hat. Davis selbst hat auch klein angefangen. Seine erste Idee, „Gnorm the Gnat“, wurde nach fünf erfolglosen Jahren abgesetzt und Davis ließ die kleine Mücke einfach tottrampeln. Eine große Comic-Kunst ist „Garfield“ nicht, die Strips sind anspruchslos, aber einfach total witzig. Garfield, der wie aus dem echten Leben ist, ein unverbesserlicher Pessimist, ist für Kinder und Erwachsene immer wieder ein Vergnügen!
Jim Davis: "Garfield Gesamtausgabe 1" Ehapa Egmont 2006 320 Seiten, 29,90 Euro ISBN 978-3770430475
Hoch
1000 Jahre Steineklopfen Goscinny / Morris: "Lucky Luke. Die Eskorte" Von Julia Schneider
Band 44 der berühmten Lucky-Luke-Reihe ist -in festem Einband-anzuzeigen. Ein weiteres Meisterwerk von Goscinny mit den unvergleichlichen Zeichnungen von Morris: In diesem Band geht es (auf ein Zweites) um Billy the Kid, der aus dem berühmt-berüchtigten Gefängnis, den Daltons nur zu bekannt, von Lucky Luke nach New Mexico eskortiert werden soll, um dort zusätzlich zu den 1000 Jahren Steineklopfen noch einmal verurteilt zu werden. Das geschieht natürlich nicht ganz ohne Zwischenfälle, die abzuwenden es ja Lucky Luke und und sein Pferd Jolly Jumper gibt. Goscinny und Morris - was für ein Team! Die Zusammenarbeit der beiden Künstler begann im Jahr 1955 mit „Die Eisenbahn durch die Prärie“ mit noch etwas holprigen Zeichnungen von Morris. Morris, der schon mehrere Bände über den Cowboy mit seinem treuen Pferd veröffentlicht hatte, war noch mitten in der Entwicklungsphase des Comics, als er Goscinny traf. Erst mit dem Texter wurde der Held zu dem, was er heute ist. Trotz aller Versuche, die "Lucky Luke"-Reihe weiterzuführen und sowohl Zeichner als auch Texter zu ersetzen, bleiben die guten, alten "Lucky Lukes" doch die besten. Goscinny (Text), Morris (Zeichnungen): "Lucky Luke. Die Eskorte" Band 44, gebunden Ehapa Egmont 2012 46 Seiten, 12 Euro ISBN 978-3770435876
Die kleine Fangemeinde genügt hier nicht 60 Jahre Micky Maus Von Ole de Vries
Die nächste Verwandtschaft zwischen klassisch zu nennender Kultur und ultraleichter Unterhaltung ist ihre Langlebigkeit. Micky Maus, vor 60 Jahren aus der kreativen Taufe gehoben, hält sich mit einer Zähigkeit, die vom Mittelbau der Unterhaltungsliteratur nicht zu vermelden ist. Es gibt bald Menschen, die ins Pensionsalter kommen und ihr ganzes Leben vom "Lustigen Taschenbuch" begleitet wurden. Sind uns heute eher "Hausschätze" mit Balladen und Sagen als ewige Begleiter vertraut, dürfte man schon heute mit Fug und Recht eine Reihe "Dagobert Duck" daneben stellen. Warum das so ist? Dazu gibt es viele Thesen, nicht wenige auch aus der Wissenschaft. Das Institut für Jugendbuchforschung an der Frankfurter Goethe-Universität pflegt ein eigenes Comic-Archiv mit über 50.000 Medien, das Forschungszwecken zur Verfügung steht. Eine plausible Erklärung hängt mit dem Siegeszug des Comics allgemein zusammen, und sie macht auch die meisten Sorgen für die Zukunft. Die nächste Micky-Maus-Lesergeneration relaxt nicht mehr vor bunten Bildchen im Buch, die sind im Netz unterwegs und pflegen einen ganz anderen Aufregung-Abspannung-Rhythmus. "Micky Maus" braucht aber Masse, um weitergetragen zu werden, die kleine Fangemeinde genügt hier nicht. Das eindimensionale Schema der Charaktere funktioniert nur dann, wenn alle es kennen - Dagoberts Geiz und Gier als stehender Begriff, für alle verständlich. Gut, Zukunft ist morgen. Heute ist das sechzigjährige Jubiläum. Ehapa Egmont, der Verlag der Comics, gibt „Sonder-Kollektionen“ Lustiges Taschenbuch heraus: Die erste Micky-Maus-Zeitschrift von 1951 in Originalausgabe., drei Alben: Das Beste von 1951 bis 1970, von 1970 bis 1991 und von 1991 bis heute, vier Bände Sonderedition Panzerknacker und noch vieles mehr. Eine gewisse Genialität strahlt das "Lustige Taschenbuch" aus, sieht man sich einmal die Duck-Dynastie an: Ein ganzer Stammbaum wurde hier gegründet: Angefangen bei Sir Dämelak Duck und Sir Daunenstert Duck, der Schottische Clan der Ducks und dann die Erpel-Linie, die mit Emil Erasmus Erpel beginnt, die sich allerdings erst in der Generation Dagoberts mit der dem Clan der Ducks mischt. Eine ganze Welt wurde hier geschaffen. Zum totalen Drin-Abtauchen. Ja, vielleicht ist es deswegen sogar ein Muss für jeden Comic-Fan. Und da ist es natürlich ein Traum, dass nun das Jubiläum ist und ein Haufen, neuer, toller "Lustiger Taschenbücher" auf den Markt kommt. Zum Räsonnieren über Tradition und Erfolg der Typen und ihrer Abenteuer lädt das in jedem Fall ein.
Jedes Bild ist ein Kunstwerk für sichDavid Chauvelle / Xavier Collette: Alice im WunderlandVon Steffen Wunder
Wer kennt sie nicht? Die berühmten Abenteuer von Alice im Wunderland: Sei es der Fall durch das Kaninchenloch, sei es die verrückte Teegesellschaft, die Erlebnisse dieses Mädchens sind inzwischen auch hierzulande bekannt. In England ist dieses Buch einer der Klassiker schlechthin. So ist es nicht verwunderlich, dass es im Laufe der Zeit in zahlreiche Medienformen transformiert wurde. Vom frühen Stummfilm bis zum aktuellen Kinoprogramm sind unzählige Verfilmungen entstanden, daneben auch Theaterstücke, Opern, Musicals, Hörspiele, Bilderbücher und Comics. Da könnte man meinen, die vorliegende Comicadaption wäre völlig überflüssig. Doch weit gefehlt! Chauvelles und Colettes Comic ist etwas Besonderes. Die Geschichte ist bekannt. Alice gelangt durch ein Kaninchenloch in eine verrückte Welt, in der sie allerhand merkwürdige Gestalten trifft. Ständig wechselt sie ihre Größe und durchschreitet die sonderbarsten Orte. Als sie zum Schluss vor Gericht angeklagt ist, wacht sie plötzlich auf und merkt, dass alles nur ein Traum war. Im Gegensatz zu den meisten Adaptionen hat Alice hier nicht blondes, langes Haar, sondern ist schwarzhaarig mit modernen, schulterlangen Schnitt. Dadurch wirkt sie auf den ersten Blick frecher und mutiger. An der Originalgeschichte wurde wenig verändert. Alle Episoden kommen auch im Comic vor, auch wenn sie manchmal inhaltlich etwas gekürzt sind. Diese Kürzungen sind aber mehr Gewinn als Verlust, denn der Kern der verschiedenen Abenteuer bleibt erhalten und die Handlung verstrickt sich nicht zu sehr in Einzelheiten. Diese geht flüssig voran, denn jedes Bild ist auf das vorhergehende und nächste abgestimmt. Keines ist zuviel. Daher fällt es schwer, das Buch aus der Hand zu legen, denn diesem Erzählfluss schwingt eine unbeschreibliche Spannung mit, die neugierig auf alles macht, was in der Erzählung folgen wird. Es spielt dabei keine Rolle, ob man die Handlung bereits kennt oder nicht. Wenn man durch diese interessante Erzählweise, die so allerdings schon in Carrolls Vorlage vorhanden ist, ergriffen wird, ist das inhaltliche Ziel unerheblich. Während die Story traditionell nacherzählt wird, rücken die Bilder den Stoff in ein+ , neues Licht. Sie sind düster und beinahe gruselig. Dadurch kommt nur nach wenigen Blicken eine fantastische Stimmung auf. Die Farbtöne innerhalb eines Abenteuers sind auf einen Grundton abgestimmt. So herrscht z.B. im Haus der Herzogin eine grünliche Stimmung oder im Rosengarten eine rosa Stimmung. Alice, die in allen Abenteuern vorkommt, ist demnach in schwarzweiß gehalten, um als menschliche Projektionsfläche sich den Farben der Abenteuer anzupassen. Doch so unterschiedlich die Farben der verschiedenen Orte auch sind, sie wirken niemals bunt oder gar überladen. Eine dunkle, unheimliche Stimmung ist immer sichtbar. Genau diese Stimmung trägt auch Alice die ganze Zeit in sich. Daran kann der Betrachter durch die Bilder teilhaben. Die Einzelbilder sind sehr aufwendig gestaltet. Jedes Bild ist ein Kunstwerk für sich, das man vergrößert ohne weiteres an die Wand hängen könnte. Die Figuren und Gegenstände sind beängstigend realistisch. Sie springen nahezu aus den Bildern heraus. Obwohl einige Figuren wie die Falsche Schildkröte an die Originalillustrationen angelehnt sind, hat der Zeichner meistens seinen eigenen Stil gefunden und seiner Fantasie freien Lauf gelassen. Die Figuren wirken daher einzigartig. Die Möglichkeiten des Comics wurden komplett ausgenutzt. Die Bilder sind wohl überlegt platziert. So stellen bei Alices Fall fünf langgezogene, nebeneinandergereihte Rahmen die Tiefe dar. Auch in der Wahl der gezeigten Abbildungen war man nicht weniger einfallsreich. Man sieht oft unterschiedliche Größen des Gezeigten, von Panoramen bis Großdarstellungen. Durch interessant gewählte Perspektiven sind die Bilder nicht nur vielaussagend, sondern wirken verwirrend, was ideal zur Geschichte passt. Außerdem wird der Betrachter dadurch zum Nachdenken angeregt; er muss erst einmal überlegen, was er auf dem Bild sieht. Die Veränderungen von einem Bild zum anderen sind oft nur minimal, sodass man auch Kleinigkeiten wie Gesichtsausdrücke, die sich verändern, beobachten kann. Die bekannten witzigen und unsinnigen Dialoge funktionieren auch im Comic hervorragend. Die Wortspiele und intertextuellen Anspielungen machen die Geschichte für jedes Alter zum Genuss. Die Übersetzung, die aus dem Englischen über das Französische ins Deutsche gemacht wurde, weist Ähnlichkeiten mit der Version von Antonie Zimmermann auf, in der die entsprechenden Stellen kongenial übertragen sind. Nur an wenigen Stellen funktionieren die Wortspiele nicht, z.B. wenn die Maus ihre lange, traurige Geschichte erzählt. Alices Gedanken wirken in Sprechblasenform manchmal etwas aufgesetzt, sodass man sich wünscht, der Autor hätte sich eine etwas kreativere Lösung einfallen lassen, um die Gedanken dem Leser mitzuteilen. Auch ein paar Kleinigkeiten wirken unkonsequent. So bemerkt Alice, als sie durch eine Tür in einen Garten kommen möchte, sie könnte unter der Tür hindurch kriechen, wenn sie kleiner werden würde. Doch die kleine Tür in der Wand ist auf Augenhöhe ungebracht. Diese Comicversion von „Alice im Wunderland“ überzeugt vor allem optisch. Bezüglich der Handlung bietet sie wenig Neues. Das setzt die Qualität diese Werkes keinesfalls herab, aber erhebt sie auch nicht über andere Adaptionen, wäre nicht der unverwechselbare Stil. Im Großen und Ganzen ist den Comicautoren ein ausgezeichnetes Kunstwerk gelungen. (Für jedes Alter)
David Chauvelle: "Alice im Wunderland" Illustriert von Xavier Collette Aus dem Französischen von Tanja Krämling Splitter Verlag 2010 72 Seiten, Euro 15,80 ISBN: 978-3940864116
Der Rezensent ist Kinderbuchautor und Kritiker. Zuletzt ist von ihm der philosophischen Abenteuerroman „Also bin ich ein Pinguin“ erscheinen.
Lieber dieses Buch als 10 `Lustige Taschenbücher´! "Onkel Dagobert. Sein Leben, seine Milliarden"
Wenn man dem erstaunlichen Erfolg von den Duck-Geschichten und Disney auf den Grund geht, fragt man sich natürlich als erstes, warum diese schwachsinnigen und schlechten Comichefte so einen Erfolg haben. Die Antwort liegt mit diesem dicken Buch vor; es verweist auf die Wurzel des Erfolges. In Disneys "Onkel Dagobert. Sein Leben, seine Milliarden" sind die Bilder zeichnerisch perfekt, und auch die Texte in den Sprechblasen sind pointiert, lustig, gut. Der Unterschied zu den anderen Büchern oder Heften: In diesem Buch ist die Geschichte des reichen, geldgierigen, geizigen Dagobert in Comic-Strips zusammengefasst. Es ist sehr amüsant und speziell, einer Figur eine Vergangenheit zu basteln und diese auch an wahrer Historie teilnehmen zu lassen. Es ist um Längen besser als die Heftchen, es ist, man wagt es kaum zu sagen: originell! Lieber dieses Buch als 10 `Lustige Taschenbücher´! "Onkel Dagobert" ist etwas, das man wirklich bei sich zuhause braucht, an den Plätzen liegen haben muss, wo die Familie, einzeln oder zusammen, entspannt. Mit Tiefsinn dahinter: Was muss es Spaß machen, so eine Biographie zu gestalten und Lücken zu füllen! Das kann man selber nachmachen und immer mehr dazu erfinden. Im Ernst: Disney hin oder her - dieses Buch dient nicht zum Verblöden.
Don Rosa: Disney's Onkel Dagobert - Sein Leben, seine Milliarden: Die Biografie von Don Rosa Übersetzt von Elvira Brändle, Michael Nagula, Arne Voigtmann, Peter Daibenzeiher, Jano Rohleder Ehapa 2008 495 S., Euro 29,95 ISBN 978-3770432455
Solche Gesichter, solch eine Freiheit des Zeichner In besonderer Ausgabe: "Blueberry"
(librikon) Nichts für Leser unter zwölf ist „Blueberry“. So wenig es im Wilden Westen zimperlich zuging, so wenig zimperlich geht es in dem Comic von Jean-Michel Charlier (Text) und Jean Giraud (Bilder und Text) zu. Es ist nicht nur die Pistole im Anschlag, es ist auch die hyperrealistische Art der Zeichnungen. Von der alle kindlichen Gemüter ansprechenden, vereinfachenden Farb- und Formgebung, für die der Comic bekannt und verrufen ist, ist „Blueberry“ weit weg; sollten manche meinen, der Comic könne nicht erwachsen werden – hier werden sie eines besseren belehrt. Blueberry ist ein Held, den man ernstnehmen, in den man sich vertiefen kann. Das muss man auch: Mitdenken setzt Texter Charlier voraus und lässt weg, was der Handlung abträglich wäre. Der Wilde Westen bekommt hier das Gesicht des Western zurück – und durchlebt für den jungen Lesern noch einmal seine großen Abenteuer, die, selbst unter Berücksichtigung der historischen Realität, sehr viel an Eintauchen und Mitfiebern bereithält. Hollywood kann wegen der bekannten Erzählmaschinerie solche Gesichter, solch eine Freiheit des Zeichners nicht hervorbringen. „Blueberry“ ist ein Qualitätscomic. Er erscheint gebunden und als Art Werkausgabe, und zwar diejenigen "Blueberry"-Geschichten, an denen Jean Giraud beteiligt war (die marktgängigeren, späteren Bände sind ohne Giraud und seine Originalität angefertigt worden). Achtet auf diese Ausgabe!
Charlier / Giraud: „Blueberry“ Werkausgabe (hier Band 12: „Das Duell“) Ehapa Egmont 2008 168 S., Euro 29,00 ISBN 978-3770431922
"Die Minimenschen" von Pierre Seron
(librikon) Es gehört zur Konzeption dieses festgebunden Sammelbandes, Klassiker des Comics zu präsentieren. „Die Minimenschen“ sind genau das und Pierre Seron, ihr Schöpfer, genau so ein Altmeister, wie man ihn sich zur Wiederentdeckung wünscht. Seine Zeichnungen sind eine Mischung zwischen Tintin und Superman (na ja, in besserer Qualität als Superman), sie atmen eine Zeit, in der jeder Comic eine schöpferische Leistung war. Die Grundidee – die Minimenschen sind aufgrund eines biologischen Unfalls mini und erleben nun ihre Abenteuer mit den großen Menschen- gibt ein Passepartout ab für durchweg originelle Stories. Serons Hauptfiguren sind sympathisch und nett, man mag sie, und das tut gut. Ein großer Lesespaß! Dazu erleben kleine Leser alles, was man als Kind gern erleben möchte, ist überall dort, wo man sich oft hineinträumt. „Die Minimenschen“ sind ganz nah an der Vorstellungswelt der Kinder. Eben darum ist ihr Wert so hoch.
Pierre Seron: "Die Minimenschen" Ehapa Comic Collection 2008 176 S., Euro 29,95 ISBN: 978-3770432479
Aus Petzen werden Kopfgeldjäger Ein guter Comic verleugnet die Wahrheit nie Von Ole de Vries
Ein ganz besonders gutes Stück Comic ist in sammelfähigem, lang haltendem Hardcover erschienen: „Der Kopfgeldjäger“, Lucky-Luke-Band 43. Da sind alle Werte drin, die man aus dem echten Leben kennt und die ein guter Comic deshalb niemals verleugnen würde. „der Kopfgeldjäger“ beruht auf der Tatsache, die jedes echte Kind bestätigt: Petzen sind das letzte, und die jeder Erwachsene bestätigt: Petze bleibt Petze. Goscinny geht hier den konsequenten Wild-West-Weg, da wird aus der Petze natürlich der Kopfgeldjäger. Eine miese Ratte eben. Denn so anarchisch es bei Lucky Luke zugeht, so anständig ist es zur gleichen Zeit. Hundert „Sekundärtugenden“ sind nichts gegen einen Bruch der Grundregeln. Wir kennen das ja aus der Schule; wer einen beim Lehrer verpetzt, kann gern das ganze Jahr pünktlich morgens kommen. Egal. Wer einen guten Instinkt hat, geht ihm aus dem Weg, ein Leben lang. Lucky Luke wird auf solche Typen eben einfach angesetzt, der muss sich kein Besserwisser-Gerede, das einen ganz sicher nicht durchs Leben und in die richtige Gesellschaft bringt, anhören. Lucky Luke, allein gegen alle, und er darf, ja, muss sich immer selber treu bleiben. Kein Verbiegen! Darum lieben ihn die Kinder!
Goscinny (Text), Morris (Zeichnungen) Lucky Luke. Der Kopfgeldjäger Band 43 (Gebundene Ausgabe) Ehapa Egmont 2007 46 S., 10 Euro ISBN 978-3770431779
Vorhang auf für „Isnogud“! Von Ole de Vries
„Isnogud“ ist ein Goscinny aus dessen Comicfrühzeit; Anfang der sechziger Jahre begann er zusammen mit dem Zeichner Tabary, für eine Zeitschrift die kleine Serie zu ersinnen. Es ist bis heute, da die Gesamtausgaben der Abenteuer des machtgierigen Großwesirs „zu Bagdad, der prächtigen“ gebunden und mit Einführungstext herausgegeben werden, ein Comic für kleinere Comicleser, solche von sieben, acht Jahren. „Isnogud“ weckt Bilder und Phantasie, die geradezu aufführfähig ist; der schläfrige, vollgefressene, nach Abwechslung suchende Kalif, der immer denselben Satz wiederholende Großwesir, der dümmliche Diener: Das alles ist ein Personal wie aus dem Kindertheater, eindeutig, berechenbar, lustig. „Isnogud“ ist eine gelungene Adaption der Märchen aus 1001 Nacht, auch wenn es deren Vielschichtigkeit zugunsten nur eines ausgewählten Aspektes beiseitelegt. Die Albernheiten, die Späße sind sehr direkt (und freundlich – „Die Reichen bündeln ihre Wertsachen… Die gesammelten Werke Goscinnys, illustriert von Tabary“ – schlüpft in den Comic hinein), die Abenteuer kurz, die Anspielungen verständlich. Das Schema von Handlung und Ziel der Geschichten bleibt sich (darin ganz Zeitungsfortsetzungscomic) immer gleich, was für die Lesealter, die die Wiederholung brauchen und lieben, optimal ist. Meisterlich ist der Einsatz der Epitheta. Sprachlich sind Comics, so sie von Goscinny sind, wahrlich kein dunkler Abgrund. Goscinny (Text), Tabary (Zeichnungen):„Die gesammelten Abenteuer des Großwesirs Isnogud“Buch 1Aus dem Französischen von Gudrun PenndorfEhapa Comic Collection 2008 145 S., 29 Euro ISBN 978-3770431694
Hammermäßige Illustrationen Von Natascha Berger
Kann die Zauberflöte als Manga funktionieren? Ich meine ja. Einige werden schon beim Titel "Heureka!" schreien, andere, die kulturell weniger bewandert sind, werden sich erst jetzt mit der "Zauberflöte" befassen - nun, wo sie wissen, dass daraus ein Comic gemacht worden ist. Dem Reiz der originellen Idee kann man sich nicht entziehen, eine alte Oper ins 21. Jahrhundert in dieser Form zu transportieren. Auf diese Weise finden vielleicht auch die, die mit Opern sonst nichts am Hut haben, einen Zugang dazu. Schließlich sollen mit den Illustrationen alle Alterklassen abgedeckt werden, das Thema für die älteren Kinder, die Bilder für die jüngeren. Dieser Anspruch wurde sehr gut umgesetzt! Die Grafische Leistung - sehr gelungen, und -bei einem Manga last, but not least: Die Bilder sind hammermäßig! Die Lobeshymnen sind einzig zu unterbrechen für die Anmerkung, dass die Geschichte teilweise unübersichtlich ist, man kann ihr an manchen Stellen nur schwer folgen, sodass es gut wäre, wenn man die Handlung schon vorher kennt. Die Witze, nun ja, sind manchmal so wenig komisch, dass selbst ein Schmunzeln schwerfällt. Das Gesamtbild trübt das nicht. Ich meine, dass Mozart stolz sein könnte, wie seine Oper in diese Form gegossen wurde.
Gottmann, E., Netolitzky, K., Windorfer, G., Mozart, W.A.: Manga Meets Classics 1: Die Zauberflöte Gloor Verlag 2006 128 S., Euro 12, 90 ISBN 9783938037034
Folge 2: "Asterix und der Avernerschild" Von Miriam Schneider
Für meine Mutter war „Asterix“ das Ende des Abendlandes, Inbegriff der Verflachung: „Was Euer Bild von der Antike prägt!“, rief sie, wenn wir alle, die wir eigentlich Latein und Griechisch lernten, um geistig aus dem Vollen zu schöpfen, auf den Betten lagen und uns gegenseitig Sprechblasen aus Asterix vorlasen. Wie jeder Ignorant war meine Mutter grenzenlos naiv. Hätte sie doch nur ein einziges Mal Asterix gelesen, gar, mich gefragt, welches das beste Heft ist! Meine Antwort lautete damals wie heute: „Asterix und der Avernerschild“ (Band 11). Dann wüsste sie, dass „Asterix“ das Geschichtsbild nicht geprägt hat, lächerlich!; nein, "Asterix" hat die Geschichte bestimmt. Warum wusste man lange nicht, wo Alesia liegt? Weil die Gallier über ihre Niederlage nicht sprechen wollten! Wo ist der Schild des Gallierhäuptlings Vercingetorix hin? Den hat natürlich kein anderer als Majestix! Und dann noch diese ganzen herrlichen Stereotypen (die Averner, die alle nur Kohle und Wein verkaufen)… „Asterix und der Avernerschild“ nimmt die Gattung Comic ernst. Da ist einerseits ein Aufbau, eine Verknüpfung im Kleinen und im Großen wie bei einem Roman, und andererseits wird das einzelne Bildchen, die Miniszene am Rande, die Pointe einer jeden Sequenz nicht vernachlässigt. Ein fröhlicher Comic, dem man das Serienkorsett nicht anmerkt, der dadurch noch eine Spur anarchischer ist als die anderen „Asterix“-Hefte.
Schlechte Zeiten für Wilhelm Busch Verschlußsache Humor Von Ole de Vries
Es sind schlechte Zeiten für einen wie Wilhelm Busch. Man braucht freiheitliche Intelligenz, Humor und Sinn für Anarchisches, um sich ihm zu nähern. Von all dem haben sich die Denkenden verabschiedet. Wir erleben es leidvoll in unserem Alltag, den mehr und mehr gefährlich engstirnige Miesepeter beherrschen wollen. Humorlosigkeit ist so wichtig wie Kinderlosigkeit, um den Weg nach oben zu finden; die Humorlosen sind brutaler, sie rächen sich für alle Niederlagen, sie sitzen abends und schmieden Pläne, wie sie denen mit Lebensfreude das Handwerk legen können. Leute mit Humor werden heutzutage gern gar nichts mehr, sie machen Späße mit ihren Kindern, sie rauchen eine schöne Zigarette in der Abendsonne und zitieren aus Wilhelm Busch. Selbst Buchautoren werden sie in dieser biestigen Welt nicht mehr, zumal solche von Biographien – da ist es besonders bitter, denn Menschliches muss da der rote Faden sein. Es ist schon zum Schütteln als Wilhelm-Busch-Liebhaber, was man da lesen muss. In einer Biographie (Michaela Diers: „Wilhelm Busch. Leben und Werk“, dtv 2007) erblödet sich die Autorin nicht, das Wort Errungenschaft in Bezug auf Rauchen in Häkchen zu setzen. Sie wäre also eine von denen, die auch Wilhelm Busch das Rauchen untersagen würde. Ja, er ist am Rauchen und Trinken gestorben – er ist an seiner Lebensform gestorben, an seinem Leben gestorben; keine einzige seiner künstlerischen Leistungen gäbe es ohne dieses, genau dieses Leben. Die Autorin schreibt ihr Buch wie einer dieser Autofahrer, der die anderen Autos durch provokant langsames Fahren erziehen will. Und Erzieherisches, Besserwisserisches hat Wilhelm Busch ja genau nicht! Es fehlen die charakterlichen Grundvoraussetzungen, es fehlt die Fähigkeit, sich in andere Zeiten einzufühlen. Eine Biographie unserer Zeit. Auch Max und Moritz haben heute nichts mehr zu lachen. Für die Zeitgenossen von Busch waren Witwe Bolte, Lehrer Lämpel, Schneider Böck geradezu Archetypen. Man existierte in einer Gemeinschaft, enge, zum Spott herausfordernde Nachbarschaft prägte das Leben – so wie wir es heute oft nur noch von der typischen Schwiegermutter, unter der man leidet und über die man witzelt und spottet, kennen - und dazwischen tobten Kinder, die handfeste Streiche machten. Sie waren Teil des Lebens, und jeder musste mit ihnen leben. Die massenhafte Entfremdung der Singlegesellschaft davon, hilft Wilhelm Buschs Figuren nicht gerade. Über die Grausamkeit von Max und Moritz’ Ende schüttelt ja am meisten den Kopf, wer in Erziehungslager stecken will, wer nicht sieht, dass Max und Moritz nicht aus Fleisch und Blut sind, wer mangels Nähe zu Kindern nicht sieht, dass Comicfiguren einfach so zermalmt werden können. Kinder bringen Erwachsene ständig auf die Palme; Kinder werden wieder liebevoll getröstet; ganz normal. Nur die Kinderentwöhnten werden damit nicht mehr fertig: Dass ja kein Kind glaubt, es würde enden wie Max und Moritz. Einer der Tiefpunkte des heutigen Wilhelm-Busch-Verständnisses stellt daher ein Vergleich dar, den die Autorin einer anderen Biographie bringt (Gudrun Schury: „Ich wollt, ich wär ein Eskimo. Das Leben des Wilhelm Busch“ Aufbau Verlag 2007). Sie findet es eine gute Lösung, Max und Moritz zu Korn zu verarbeiten, bedenke man doch die Probleme der Leichenentsorgung in dem Film „Fargo“. Es zeigt sich, dass auch hier nicht Menschliches der rote Faden ist (o Kinder, ihr fremder Planet!), und nur das hätte den Weg auch zum Verständnis der künstlerischen Leistung Buschs geebnet. Max und Moritz fügen übrigens nur Erwachsenen Übles zu. Darin liegt eine unbestreitbare Parallele zu den genannten Biographien.
Familien am Abend: "Hägar" dazu
(librikon) Und nun Band 2 der Hägar-Gesamtausgabe! Die kurzen Strips, die knallende Pointe – alles wie gehabt. Nur etwas eindeutiger: Die Beziehung von Helga und Hägar ist althergebrachtes Eheklischee, das Kind bleibt Kind, die Späße sind die üblichen. Heute ist „Hägar“ vielleicht sogar noch eine Spur lustiger als zur Entstehungszeit: Die Mütter und Väter, die - so sie sich nicht unter Mühen ausklinken – morgens loshetzen, am späten Nachmittag die abgekämpften Kinder absammeln, am Abend merken, dass ihnen persönlich ihre Arbeit gar keinen Wohlstand bringt, die haben zwar in mancherlei Hinsicht Wikingerqualität (wann kommt der Ausbruch?), aber Zeit für das, was bei „Hägar“ im Vordergrund steht, haben sie gar nicht mehr. Die Scherze, die Ewigkeitsanspruch haben und deshalb so viel Freude machen (Helgas weibische Eifersüchteleien, Hägars maskuline Dümmlichkeiten), benötigen alle den sozialen Rahmen Familie und Gemeinschaft. Weggekürzt, aber lebendig kann man ihn zusammen mit „Hägar“ erleben; Köpfe zusammenstecken und die Abendstunden nutzen, um gemeinsam „Hägar“ zu lesen. Sich die Späße beim Einschlafen noch einmal erzählen, kaputtlachen. Heiße Empfehlung für "Hägar" – richtig etwas fürs Familienleben.
Dik Browne: Hägar der Schreckliche Gesamtausgabe 2 (1975 bis 1977) Hardcover im Querformat (schwarz-weiße Abb.) Egmont Verlagsgesellschaften mbh 2008 320 S., 29,95 Euro ISBN: 978-3770431489
Folge 1: "Tortillas für die Daltons" Von Ole de Vries
Der Aufbau der Geschichte stimmt. In „Tortillas für die Daltons“ (Band 28) geht es nicht um einen einfachen Ausbruch der Daltons. Nein: Sie werden geklaut. Ein mexikanischer Verbrecher hält die Kutsche für eine Postkutsche, entführt sie nach Mexiko und bringt damit die Verbrecher Daltons außer Landes. Diplomatische Verwicklungen! Mexiko droht den USA, sie sollen ihre Kriminellen im eigenen Land behalten und erinnert unsanft an vernichtende Niederlagen der US-Amerikaner… Die USA zucken zusammen und parieren. Sie senden ihre Superspezialgeheimwaffe. Lucky Luke reitet durch Mexiko, durch Dörfer während der Siesta und fragt sich, was die Daltons da eigentlich wollen. Und die? Sie üben für ein Musikfestival, wo sie als mexikanische Musiker auftreten wollen, um es dann zu überfallen. Ihr Lehrer will sich dauernd aufhängen – die Daltons brüllen nur anstatt zu singen. Klingt jetzt blöd: Aber der ganze Comic ist zum Brüllen. Der beste „Lucky Luke“.
Weg mit dem Rauchverbot für Lucky Luke! Kinderschutz, der keiner ist, ist Kindergefährdung Von Ole de Vries
Ein echter Cowboy ohne Zigarette? Aber ja! Lucky Luke musste mit dem Rauchen aufhören. Dagegen ist ja im Grunde nichts einzuwenden. Im Grunde – doch bei jedem Weiterdenken gelangt man dazu, das Rauchverbot zu verbieten. Entstanden ist der Wechsel von Kippe zu Grashalm im Mundwinkel aus dem Willen, die Kinder schützen zu wollen vor einem schädlichen Vorbild. Was für ein Fehlschluss! Schutz funktioniert nicht, indem Kinder keiner rauchenden Comicfigur anschauen dürfen, sondern, indem Kindern zu Stabilität verholfen wird. Hier sollen Kinder in Wahrheit vor dem Erwachsenenwerden, vor selbständigen Entscheidungen geschützt werden: Ein Sechsjähriger greift nicht zur Zigarette! Die Angst ist ja wohl eher, dass er es mit 16 tut. Aber ist ein rauchender Comiccowboy die Ursache für spätere Raucherkarrieren? Natürlich nicht. Das weiß jeder. Der Hase liegt ganz woanders im Pfeffer. Lucky Luke wird ohne Rauchen zu einer unglaubhaften Figur, sein Reiz gerade für Jungs (die durch ihn zum Lesen kommen könnten) liegt auch in seinem Wahrzeichen, der Zigarette im Mund. Doch die Selbstverpflichtung, eine Art „good governance“ des Verlages, verlangt nach einer Zigarettenethik, die es so, abgesplittert von Ethik, nur noch im schiefen Begriff „Wirtschaftsethik“ gibt. Und aus der Ecke kommt das Rauchverbot für Lucky Luke auch: Aus der Gedankenkürze eines Managements, das in Konzernstrukturen, nicht aber in kulturellen Zusammenhängen denkt. Unter Managern grassiert schon lange der Gesundheitswahn als Sinnersatz (und oft als: Kindersatz). Unter die verschlägt es nur, wer sich in Fitness-Clubs abstrampelt, während selbständig denkende Menschen darüber nur den Kopf schütteln und einen weiten Bogen um die Management-Etagen machen. Die Fitness-Herren müssen Feinde der Lucky-Luke-Kultur sein! Freiheit war ihnen immer fremd. Was sie verpasst haben, soll nun auch kein anderer haben dürfen – schon gar nicht die Kinder anderer Männer. Im Gefolge hängt sich dann an Politikern und Pädagogen dran, was eilfertig keinen Trend von Erfolgreichen verpassen will. Wir müssen davon ausgehen, dass Menschen mit Mut, mit echtem Verantwortungsbewusstsein Lucky Luke weiterrauchen lassen würden. Lucky Luke beim Rauchen zu sehen, ist nicht schädlich; schädlich ist es zu suggerieren, ohne Zigaretten in Comic und Kinderliteratur würde ein Kind nicht auf die Idee kommen zu rauchen. Kinderschutz, der keiner ist, ist Kindergefährdung. In diesem Sinne empfehlen wir heiß die Bände 43 und 44 von Lucky Luke, die - neu aufgelegt - den Helden nur auf dem Cover mit Grashalm zeigen und innen noch immer das gute, überzeichnete Cowboyleben, wie es eben war. Mit Zigarette!
Lustig ist das Wikingerleben!Über die Gesamtausgabe von "Hägar der Schreckliche"Von Klaus Schikowski
Wer kennt sie nicht, diese kleinen Comic-Strips in den Tageszeitungen, in denen auf engstem Raum lustige Geschichten erzählt werden. Manche wurden durch die Regelmäßigkeit zu engen Freunden, deren Geschichten man immer wieder gerne liest. Da sich die Comic-Strips nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen, haben nun die Verlage einen neuen, kleinen Trend entdeckt – es ist der Trend zu Gesamtausgaben von klassischen Funny-Strips im bibliophilen Format. Den Anfang machte der Carlsen-Verlag mit den Peanuts und kurz darauf zog Ehapa mit Garfield nach. Die Erfolge der Reihen scheinen den Verlagen recht zu geben, und so liegt nun der erste Band eines Strips vor, der zu den erfolgreichsten der letzten 30 Jahre zählt: Die Rede ist von Hägar dem Schrecklichen. Hägar erscheint in nahezu 2.000 Zeitungen in 60 Ländern. In Deutschland trieb er sein Unwesen zwar schon in verschiedenen Verlagen, aber eine Gesamtausgabe stand bislang aus. Daher ist es umso erfreulicher, dass der von Dik Browne entwickelte Strip nun in einer chronologischen Ausgabe erscheint. Denn der querformatige Hardcover-Band versammelt etwa 620 Strips aus den Jahren 1973-1975 und ist mit einer Einführung des Übersetzers versehen. Hägar ist eigentlich eine Parodie auf die Doppelfunktion als modernen Firmenchef und Familienvater. Nur dass Hägar Wikingerhäuptling ist und sein Beruf das Plündern und das Rauben. Das Markenzeichen des Strips sind die ständigen Irrungen und Wirrungen, mit denen Hägar konfrontiert wird. Ständig wird an seiner Autorität gezweifelt – auch innerhalb der Familie. So werden in dem Strip die Rollen von Mann und Frau oder die Schwierigkeiten bei der Erziehung thematisiert. Aber auch sein Beruf als brandschatzender Wikinger wird aufs Vergnüglichste persifliert. Nach und nach entwickelte Browne eine Reihe von Nebenfiguren wie den Pechvogel Sven Glückspilz, wobei die Qualität des Strips nicht nachließ. Vielleicht liegt es einfach an der Menschlichkeit, mit der der Häuptling seinen Wikingertaten nachgeht, und die aus Hägar einen universellen Charakter gemacht haben. Die Kunst des Comic-Strips liegt darin, einerseits auf engstem Raum eine pointierte Geschichte zu erzählen und andererseits etwas sowohl für Erwachsene als auch für Kinder zu schaffen. Browne ist dies hervorragend gelungen. Die Strips sind trotz der Thematik harmlos und die Charaktere sind liebevoll gezeichnet. Es ist erstaunlich, wie wohl es Browne gelingt, mit nur minimalen Variationen immer wieder lustige Begebenheiten aus dem Leben von Hägar zu erzählen. Auffallend ist jedoch, dass die Strips in dieser Fülle sehr schnell sättigend wirken und man das Buch schnell wieder zur Seite legt. Aber beizeiten möchte man doch wieder darin blättern. Gesammelte Comic-Strips zu lesen ist nichts für Ungeduldige. Und es sollen ja noch viele weiter Bände folgen, denn nach dem Tod von Browne zeichnet sein Sohn Chris den Strip bis heute weiter. Wer also noch einmal in seinen Erinnerungen schwelgen möchte und ein Faible für komische Wikinger hat, ist mit diesem Buch gut beraten. Aber bei einem Preis von 29,95 € ist der Band als Geschenk-Buch wohl eher ein Geschenk für die Eltern als für die Kinder.
Dik Browne: Hägar der Schreckliche Gesamtausgabe 1 (1973 bis 1975) Hardcover im Querformat, schwarz-weiß. Egmont Verlagsgesellschaften mbh, 2007 320 S., 29,95 Euro ISBN: 978-3-7704-3147-2
Ahnvater Busch oder: Was Comic kann! Eine Hommage in neun Streichen von deutschen Comic-Künstlern: "Wilhelm Busch und die Folgen" Von Klaus Schikowski
Hier und da hört man ein wenigvon Strizz und Flix und Moers und König, doch der Comic steht im Rufe des tiefsten Schunds auf höchster Stufe. Aber ruft man: "Wilhelm Busch!" Sofort: Trommelwirbel, Tusch! Und schon tönt das Loblied: Freilich! Dies Gesamtwerk ist uns heilig!"
Der Comiczeichner Ralf König bringt es auf den Punkt. Während Wilhelm Busch in den hohen Weihen der Kultur angelangt ist, wird der Comic weiterhin misstrauisch beäugt. Doch sind nicht die Zusammenhänge augenscheinlich? Daher ist passend zum Wilhelm-Busch-Jahr dem Ahnvater der Bildergeschichte jüngst ein Comicband gewidmet worden: "Wilhelm Busch und die Folgen" heißt dieser und die besagten Folgen sind so vielfältig wie großartig. Der neue Sammelband bringt die klassischen Geschichten mit zeitgenössischen Strömungen des Comics zusammen. Und feiner noch: diese Hommage wird ausschließlich von deutschen Zeichnern bestritten. So entsteht eine Werkschau, die die verschiedenen gegenwärtigen Stile und Schulen vereint. Der Leser findet den Manga (Comic nach japanischer Prägung) ebenso wie den Pantomimen-Comic und weitere Formen der Bildfolge, mal humoristisch-locker, mal künstlerisch verfremdet oder autobiografisch-modern. Die teilnehmenden Zeichner lesen sich wie ein Who's Who: Ralf König modernisiert die Streiche von Max und Moritz und lässt die beiden nun knollennasigen Knaben an verbotenen Gelüsten teilhaben und Volker Reiche, der jeden Tag auf den Feuilletonseiten der FAZ mit seiner Serie "Strizz" reüssiert, bringt die Grausamkeiten von "Willis Welt" farbenfroh auf den Punkt. Dabei entfernt er sich noch am ehesten von den Erzählungen Buschs, alle anderen Zeichner und Zeichnerinnen übertragen alte Geschichten oder schwelgen in Kindheitserinnerungen. Der Zeichner Ulf S. Graupner liefert eine Busch-Variante im Stil des ostdeutschen Magazins Mosaik, und Ulf K. lässt seinen Bilderbuch-Charakter "Der kleine Herr Paul" erstmals im Comic erscheinen und ihn auf den Pechvogel Hans Huckebein treffen. Am gewöhnungsbedürftigsten ist sicherlich der wüste Stilmix von DuO, zwei deutschen Zeichnerinnen, weil er die Popkultur unserer Tage in grellen Mangabildern widerspiegelt und trotzdem auf eine Vorlage von Busch verweist. Das ist womöglich auch die große Besonderheit des Bandes, der den Erwachsenen und Eltern zeigt, was die Kinder heutzutage lesen und was der Comic zu leisten in der Lage ist. Zwar können auch Kinder an so mancher Geschichte ihren Spaß haben, aber andere Geschichten sind nicht für ein junges Lesealter geeignet, da sie allzu wild und derb pointiert sind. Aber damit stehen sie natürlich den Pointen von Busch in keinster Weise nach. Alle Zeichner des Bandes werden ausführlich vorgestellt, dazu kommt eine Einführung des Comic-Experten Andreas C. Knigge, in der er die Entwicklung der Bildergeschichte zum Comic kenntnis- und detailreich nachzeichnet. So ist dieser akkurat gemachte Band in mehrfacher Hinsicht eine Aufforderung zur (Neu-)Entdeckung.
Martin Jurgeit (Hg.) Wilhelm Busch und die Folgen Egmont Verlagsgesellschaften 2007 144 Seiten, 15 Euro ISBN 978-3-7704-3173-1
Der Rezensent ist Publizist und Fachjournalist für Comics.
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