Kerstin Kugler, Anette von
Bodecker-Büttner: „Klettermax“
Von Anne Spitzner
Die
Eltern von Max sind vor kurzem bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Seitdem lebt er bei seinem Onkel Tom in Wien, allerdings ist es
hauptsächlich dessen Haushälterin Frau Stern, die sich um den Jungen
kümmert. Max hat es nicht leicht, neue Freunde zu finden, er ist
schüchtern, und das einzige, was er richtig gut kann, ist klettern. Als
Max wieder einmal von seinen Mitschülern gehänselt wird, hilft Livo ihm
aus der Patsche. Wie Max danach erfährt, ist Livo ein rumänisches
Straßenkind, das zum Stehlen in Wien lebt, Teil einer Bande ist und von
seinem Chef geschlagen wird, wenn er nicht genug Geld oder Diebesgut mit
nach Hause bringt. Weil Livo bei dem Zwischenfall mit Max‘ Mitschülern
seine ganze Beute aus der letzten Woche abgenommen worden ist,
beschließt Max, ihm zu helfen, und er kann ja nun mal so gut klettern…
Man ahnt, wie die Geschichte weitergeht. „Klettermax“
von Kerstin Kugler und Annette von Bodecker-Büttner erzählt – so der
Klappentext – „jede Menge Abenteuer“ und von „wahre[r] Freundschaft“.
Max und Livo lernen nämlich noch zwei andere Kinder kennen, und als es
am Ende ganz brenzlig wird, werden sie von ihren Freunden gerettet.
Es ist eine seltsame Mischung aus verdammt
hartem Tobak und oberflächlich dahinplätschernder Konflikte, die einem
Leser da aus „Klettermax“ entgegenkommt. Die Charaktere sind sehr
stimmig, und in Max kann man sich richtig gut hineinfühlen, aber der
Plot schreit an einigen Stellen sehr auffällig „Zufall!“ Natürlich ist
es ein Buch für Kinder, und meiner Meinung nach ist es eine gute und
ziemlich wichtige Idee, sich auf diese Weise mit dem Thema „Einbrüche
durch Banden osteuropäischer Straßenkinder“ auseinanderzusetzen, aber
inhaltlich wäre das Buch damit eigentlich schon ausgelastet. Der Verlust
von Max‘ Eltern wird sozusagen nur am Anfang und am Ende der Geschichte
überhaupt thematisiert, und ich finde es geradezu empörend, einen
Einschnitt von solcher Tragweite nur als Aufhänger für eine ganz andere
Geschichte zu benutzen. Durch die Aufnahme dieser beiden Themen wirkt
das Buch inhaltlich überfrachtet. Zudem gelingt es Kugler und von
Bodecker-Büttner auch nicht, echte Spannung aufzubauen; denn es wird
zwar für Max und Livo gegen Ende des Buches ziemlich gefährlich, aber
irgendwie ist die ganze Zeit klar, dass den beiden nichts geschehen wird
– weder durch den Chef der Straßenbande noch durch den Arm des Gesetzes,
der sie am Ende doch noch zu fassen bekommt. Am Ende löst sich alles in
äußerstem Wohlgefallen auf – Max versteht sich auf einmal mit seinem
Onkel, hat Freunde gefunden, und Livo kommt in Rumänien in eine
Einrichtung für betreutes Wohnen, wo er nicht mehr geschlagen wird und
lernen darf, wieder ein normales Kind zu sein. Dieses absolute Happy End
wirkt genauso unecht wie der dramatische Höhepunkt kurz zuvor, und damit
bleibt beim Zuklappen des Buches ein fader Nachgeschmack zurück.
Fazit: Ein vorhersehbares Buch mit
abgehackten Dialogen, merkwürdig agierenden Protagonisten und einem
unrealistischen Ende. Das einzige, womit ich mich wirklich anfreunden
konnte, war der Charakter Max – aber der allein tröstet über den Rest
des Buches leider nicht hinweg.
Der
pseudowitzige Titel weckt zwiespältige Gefühle, die sich bei genauerer
Lektüre bestätigen. Zum einen sind da die ganz lustigen, farben- wie
detailfreudigen Zeichnungen von Ina Hattenhauer. Zum anderen werden die
Abenteuer des Murmeltiers Billy von den nicht unbedingt phantasievollen
Alliterationen (vgl. Titel, „Wildes Wiesental“ etc.) und anderen
Mittelmäßigkeiten auch nicht besser. Der Schrönk zum Beispiel, den Billy
im Bunten Wald trifft, ist – trotz Pluspunkt fürs Ö – im Grunde doch
nichts anderes als ein weiterer Pixar-isierter Harmlosigkeitsvertreter
generischen Ultrabekömmlichkeitshumoristikums für Kinder, die zu
mediokren Erwachsenen hochgezüchtet werden sollen. Und wenn sich der
Protagonist in „Billy Backe gegen Billy the Kid“ mit „Mein Name ist
Backe. Billy Backe. Mit der Lizenz für Ideen“ vorstellt, dann ist der
öde James-Bond-Verweis nur die Spitze des aus schlaumeierhaft-„frecher“
Langeweile bestehenden Uninspiriertheitsberges. Da helfen selbst „super-duper-hyper-dyper-geniale
Ideen“ wie Horst-Dieter der Haselnussbaum nicht weiter. Zugegeben, die
Igel-Indianer sind ein überraschendes Bild, aber das rosafarbene Pferd
namens Rosa – wie „verrückt“ ist das denn! – macht jede Originalität
gleich wieder zunichte. Zugegeben, des Häuptlings Stinkender Fußgeruch
nach „dreimal ausgefurzter[r] Leberwurst“ ist nicht nur
„karacho-ekelhaft“, sondern auch ganz witzig, zumal der Duft zwecks
Gewinn von „nacktem Wissen“ inhaliert wird, aber der asiatische
Kampffloh, der „Kung-Fu und Karate und Taekwondo“ – wie „verrückt“ ist
das denn! – kann, macht jede Originalität gleich wieder zunichte usw.
Im Endeffekt läuft das Buch auf eine sehr
giga-wiga-mega-straßenfega-durchwachsene Ansammlung von mehr oder minder
substanzlosem Hyperbolisieren und diversen Abgeschmacktheiten hinaus,
die hie und da mit halbwegs netten, jedoch stets plump inszenierten
Einfällen aufwarten. Es dominiert wohlfeiles Wortgespiele („Anti-Schocken-Herzen“,
„Pi-Raten“) in Kombination mit seelenloser Beliebigkeit, die man als
Kille-Kacke-randomisierte-Albernheiten-(im negativen Sinne des
Wortes)-müde-Nummer bezeichnen könnte. Eine Schande, dass so viele
Autoren glauben, gute Kinderliteratur und anspruchslose, grob montierte
Derbheiten seien austauschbar.
Vieles ist in diesem Buch reichlich
unclever, weshalb folgende Auszüge die dazugehörigen begeisterten
Amazon-Rezensionen als falsch ausweisen, da die Rezensenten nicht zu
wissen scheinen, was gute (Kinder-)Literatur draufhaben sollte:
„Mit dem öffnen des Buches taucht das Kind
und auch Erwachsene in eine andere Welt. [...] Die Charaktere sind zum
verlieben.“ / „Zu jeder Geschichte gibt es bunte Bildern, Reime und
jeder Menge Wortwitz, die auch größeren Kindern und Erwachsenen Spaß
machen.“ / „Das Buch liefert so viel Fantasie, Wortwitz und Spannung für
ein Kinderbuch, dass es immer wieder (vor-) gelesen wird und auch bei
der zigsten Wiederholung noch Spaß macht. […]Zum Selberlesen für
Leseanfänger ist das Buch eher nicht, da man schon als Erwachsener mit
manchen Reimen und Namen ganz schön kämpft.“ / „Wir haben unglaublich
viel Spaß mit den lustigen Charakteren und den vielen genialen
Wortwitzen.“ / „Es sind einige nicht so einfach phonetisch zu erfassende
Wörter dabei. Denn so fantastisch-einzigartig die Handlung und ihre
Protagonisten sind, umso mehr lebt die Geschichte auch von
Wortschöpfungen und bis dahin unbekannten Formulierungen, die erst
einmal zu erlesen sind.“ / „Billy Backe aus Walle Wacke überzeugte nicht
nur meine Motti (7 J.) sondern auch Papa und mich auf voller Ebene.“
Wenig feinsinnige Skurrilität aus dem
Bahnhofsautomaten und Allerweltsschrägheiten von der Wurststange lassen
die Forderung erwachsen,
Es-sich-mit-dem-Kinderbuchschreiben-zu-einfach-Machen endlich als
Schriftstellersünde offiziell anzuerkennen? Die Sache ist einfach die:
Kinder sind nicht doof, doof ist nur der Umstand, dass die Kleinen noch
nicht gelernt haben, ein Veto einzulegen und deshalb dazu neigen,
Doofheiten zu tolerieren. Fazit: Kaugummiwüste und Derivate gehören
nicht ins Kinderzimmer. Zu Risiken und Nebenwirkungen …
Alternativvorschlag: Andy Griffiths’ „The Day My Butt Went Psycho!” und
anderes.
Ein Umwelt-Mitmachbuch - für jeden
Umweltfreund unantastbar
Claudia Huboi: Forschen, tüfteln, bauen
Von Anne Spitzner
Das
Buch „Forschen tüfteln bauen“ von Claudia Huboi soll ein
Umwelt-Mitmachbuch für Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren sein, mit
dem wichtige Themen unserer Zeit über Experimente, Projekte und
Bastelideen erarbeitet werden können.
Wer dieses Buch allerdings mit dieser
Erwartung aufschlägt, wird bitter enttäuscht. Sicher, das Buch macht auf
den ersten Blick einen hübschen Eindruck, ist grafisch gut aufbereitet
und schön bunt. Das ist aber dann auch schon fast alles.
Zu Beginn jedes Kapitels werden Fragen zum
Thema Umwelt aufgeworfen, eine ganze Seite voll, ohne dass sie
verständlich wären; diese sollen dann mit den folgenden Seiten
beantwortet werden können. Dabei ist es allerdings häufig so, dass die
„kurzen Sachtexte“ eine starke Diskrepanz zwischen viel zu komplexer
Sprache und lächerlichen Vereinfachungen aufweisen, die nicht nur
geradezu Kleinkindsprache enthalten, sondern auch die wichtigen Themen
wie Klimawandel oder Nachhaltigkeit verzerrt darstellen. Diese
Verfälschungen reichen von gravierenden Übersetzungsfehlern
(beispielsweise wird auf S. 130 „offshore“ mit „küstennah“ übersetzt,
obwohl es das genaue Gegenteil bedeutet) bis hin zu inhaltlichen
Fehldarstellungen, beispielsweise das Verantwortlichmachen der
Polkappenschmelze für den Anstieg des Meeresspiegels (in Wahrheit steigt
der Meeresspiegel hauptsächlich deswegen, weil entweder Festlandeis
abschmilzt und weil sich das Meerwasser aufgrund des Temperaturanstiegs
erwärmt und deswegen ausdehnt. Das Abschmelzen von im Wasser treibenden
Eisbergen, die auch in dieser Form ein gewisses Volumen an Wasser
verdrängen, hat jedenfalls mit dem Anstieg des Meeresspiegels recht
wenig zu tun). Derartige Verfälschungen finden sich in nahezu jedem
Sachtext, und sie stehen neben ohne jegliche Erklärung verwendeten
Fachwörtern. Zudem werden Probleme verniedlicht („allerhand CO2“,
„einige Tiere und Pflanzen sind vom Aussterben bedroht“). Die in den
80er Jahren vorherrschende Katastrophenpädagogik ist zwar zu Recht
mittlerweile verpönt, aber verharmlosen darf man Umweltprobleme trotzdem
nicht! Kommasetzung und Rechtschreibung wirken zudem, als seien sie
nicht allzu gründlich lektoriert worden.
Bei „forschen tüfteln bauen“ handelt es
sich der Intention nach unter anderem um ein Bastelbuch. Die Bastel-
oder Experimentieranleitungen sind allerdings weder besonders
ausführlich, hilfreich oder gut illustriert (manchmal ist auch mal gar
keine bzw. kaum eine Bastelanleitung vorhanden). Es findet sich auch
nirgends der Hinweis, dass man sich (als bastelndes Kind) von einem
Erwachsenen helfen lassen sollte, doch die meisten Dinge sind für ein
7-12-jähriges Kind nicht allein zu schaffen, zumal die knappen
Bastelanleitungen abstrakt und nicht unbedingt immer nachvollziehbar
sind. Teilweise fehlen sehr wichtige Hinweise.
Auch die Bastelideen zeichnen sich nicht
durch herausragende Kreativität aus. Ein paar sind ganz nett, zum
Beispiel die Barcode-Tiere oder die Polarstation; manche, gerade die aus
Müll, wirken, als seien sie nur dabei, weil sie aus Müll sind, und diese
werden nicht einmal konsequent umgesetzt. Die Illustrationen sind stets
mit eingefügten grafischen Elementen verfremdet, sodass man nur mit Mühe
die eigentliche Bastelei erkennen kann. Am meisten hat mich persönlich
jedoch geärgert, dass für zwei Bastelideen Balsaholz verwendet wird
(Balsa ist ein neotropischer Baum, und Tropenholz sollte für jeden
Umweltfreund eigentlich unantastbar sein…).
Insgesamt wird „forschen tüfteln bauen“
seinen selbstauferlegten Ansprüchen also keineswegs gerecht. Allen, die
sich für wirkliche Experimente und richtige Informationen zum Thema
Umwelt interessieren, sei vom Kauf dringend abgeraten…
Kristina Calvert,
Sabine Dittmer: "Wolkenbilder und Möwendreck"
Von Anne Spitzner
In ihrem Buch „Wolkenbilder und Möwendreck“
schicken Kristina Calvert und Sabine Dittmer eine Möwe (namens Möwe) in
die unterschiedlichsten Geschichten. Es sollen „Möwen- oder
Wolkengeschichten“ sein, „die zum Selberdenken, Miteinanderdenken und
Weiterdenken anregen“. Eine ganze Menge Denken also für ein einzelnes
Buch.
Wahrscheinlich ist das auch der Grund, aus dem die
einzelnen Geschichten so kurz geraten sind: Sie sollen ja zum Denken
anregen, nicht zum Lesen. Allerdings stellt sich hier die Frage nach der
Zielgruppe, denn wie viele Kinder haben philosophisch vorgebildete
Eltern, die mit den Begriffen „Erkenntnislehre“ oder „philosophische
Anthropologie“ etwas anfangen können?
Von der Theorie her ist es so gedacht: Es geht um
vier zentrale Themen der Philosophie, nämlich Erkenntnislehre, Ethik,
Metaphysik und philosophische Anthropologie. Zu diesen vier Themen, die
durch unterschiedliche Farben und jeweils eine zentrale Frage
gekennzeichnet sind (allerdings in der Einleitung nicht erklärt werden,
sondern erst im Glossar am Ende des Buches, auf das es wiederum zuvor
keinen Hinweis gibt), gibt es jeweils vier Geschichten. Diese umfassen
lediglich fünf bis zehn Sätze. Es geht darin um Möwe, die Möwe, die
verschiedene andere Tiere trifft. Am Ende des kurzen Textes werden zwei
Fragen aufgeworfen, die teilweise gar nichts mit dem Text zu tun zu
haben scheinen. Oder die, na ja, gelinde gesagt seltsam sind: „In
welcher Welt gibt es gleichzeitig hungrige Haie, Gewitter und Musik?“
ist eine davon. Sie gehört zu einer Geschichte, in der Möwe träumt, die
Antwort könnte also sein „im Traum“, doch auch in der realen Welt gibt
es alle diese Dinge.
Auf den Bildern gibt es oft wesentlich mehr zu
entdecken als im Text, Philosophie hin oder her.
Im Übrigen habe ich im ganzen Wort vergeblich nach
dem Wort „Wolke“ gesucht… keine einzelne Geschichte hat auch nur im
Entferntesten etwas mit Wolken zu tun. Insgesamt also: Eine schöne Idee
für alle, die schon immer mal mit Kindern philosophieren wollten. Für
alle, die unter „Geschichten“ mehr verstehen als ein paar Sätzchen, ist
dieses Buch dagegen eine Enttäuschung.
„Ich muss leider draußen bleiben“: Stereotyper
Chaos-Köter ist eher hübsch-hässlich als überzeugend!
Von Ada Bieber
Das Buch „Ich muss leider draußen bleiben“ von
Julia Breitenöder ist zwar ein teilweise witziges und für einige Kinder
bestimmt auch ein lesemotivierendes Hundebuch, da es über pfiffige
Charaktere und über übliche Slapsticks verfügt, doch kann man dieses
Buch kaum als originell bezeichnen. Der Plot ist ebenso simpel wie
abgenutzt: Eine Patchworkfamilie kommt zu einem Tierheim-Hund auf Probe,
der von der Mutter nicht gewollt ist und bei den Kindern, zumal dem
Mädchen Thilda, mitnichten die Wunschvorstellung eines süßen, kleinen
Knuddelhundes erfüllt. Denn „Herr Hund“ scheint das genaue Gegenteil zu
sein: groß, zottelig, alt, stinkend und faul. Bei genauerer Betrachtung
fällt allerdings auf, dass dieser Hund doch dem gängigen „Knuddelschema“
entspricht, denn „Herr Hund“ verhält sich ähnlich naiv-irrational wie
ein Kind, überschüttet in steinerweichender Weise ausgerechnet
diejenigen, allen voran Thilda, mit seiner hundetreuen Liebe, die ihn am
wenigsten wollen und veranstaltet dabei allerlei Chaos, was einem
kindlichen Lust- und Spielprinzip gleichkommt. Dieser naive, alte und
große Hund mit all seinen Macken und Defiziten wird gerade durch diese
Macken liebenswert. Denn durch sie erscheint er vermenschlicht und wird
gerade vielleicht für Kinder, in deren Umwelt nicht alles der Norm
entsprechend verläuft, zur Identifikationsfigur. Wen wundert es da noch,
dass die Patchworkfamilie am Ende gar nicht mehr ohne eben diesen Hund
glücklich sein kann und der liebesbedürftige Chaos-Köter die Herzen
seiner neuen Familie erobert?
„...ach, wie schön!“ möchte man da seufzen und muss
doch erkennen, dass dieses Buch gerade deshalb funktioniert, weil
auftragsmäßig alle gängigen und aktuellen Stereotype bedient und
sprachbildlichen Fangnetze ausgeworfen wurden. Der Hund kann zwar die
Herzen seiner neuen Familien weich werden lassen, dem kritischen Leser
allerdings wird höchstens flau im Magen.
Denn innovativ ist das nicht. Eine literarische
Neuentdeckung auch nicht! Und die ganz große Unterhaltung trotz aller
Klischees erst recht nicht! Ist es da noch zu empfehlen? Eine echt
Empfehlung mag man nicht so recht über die Lippen bringen, aber eine
schlechte Wahl für Kinder mit niedriger Lesemotivation auf der Suche
nach leichter und lustiger Lesekost ist dieses Buch sicherlich auch
nicht. Auch wenn der Titel nicht recht passt und auch die am Kapitelende
enthaltenen Hundewitze reichlich altbacken wirken, so sind doch die
Illustrationen häufig treffend-witzig, die Sprache einfach und der Text
groß gedruckt! Die Empfehlung kann sich folglich nur an diejenigen
richten, die auf der Suche nach leicht-lustiger (oder sollte man besser
sagen: „hübsch-hässlicher“ ) Kinderliteratur sind! Ansonsten gilt für
dieses Buch: „Ich muss leider draußen bleiben“!
Martina Wildner: "Cora und Fred. Ein
Zwilling kommt selten allein"
Von Anne Spitzner
Cora und Fred sind Zwillinge. Zweieiige Zwillinge, deshalb sind sie
eigentlich ganz normale Geschwister, die nur zufällig gleich alt sind.
Trotzdem werden sie wie Zwillinge behandelt, und manchmal ist das
ungerecht. Zum Beispiel können sie nicht mehr mit kleinen Geschwistern
rechnen, oder jeder von ihnen darf viel zu wenige Gäste zu seinem
Kindergeburtstag einladen. Sie kriegen immer zu zweit Geschenke – sei es
nun eine Kamera, die sie sich teilen müssen, oder zwei Eidechsen, obwohl
Cora eigentlich ein ganz anderes Haustier möchte. Und Cora und Fred tun
vor allem eines: Sie streiten sich.
Nun mag man einwenden: Aber das ist es eben, was Geschwister den ganzen
Tag machen. Und das wäre eigentlich gar nicht falsch. Die Frage ist nur:
Muss man dann Bücher darüber schreiben? Wenn die Kleinkriege von Fred
und Cora nur Streiche, Streit und Dinge wie Mutproben etc. darstellen,
von denen ich mich erinnern kann, dass ich sie mit meinem Bruder auch
hatte, muss ich das dann lesen?
Daran
zweifeln, dass es kurzweilig geschrieben ist, möchte ich nicht. Die
Illustrationen sind auch nett anzusehen, aber ansonsten ist dieses Buch
eigentlich banal. Die Familienkonstellation ist so, wie sie vor fünfzig
Jahren üblich war, der einzige für mich spannende Moment passiert, als
Cora von zwei Mädchen in der Schule geärgert wird, weil sie ein
künstlicher Zwilling ist, und dann zu Hause von ihrer Mutter über
künstliche Befruchtung aufgeklärt wird. Doch wirklich sinnvoll wird das
Thema nicht angegangen; es heißt dann, als Cora fragt, ob sie ein
„künstliches“ Kind ist: „Darauf antwortete Mama nicht.“ Und später nur
„Am Abend erklärte sie uns das mit den Babys richtig genau.“ Ansonsten –
ein Leser, der nicht gerade weiß, wie künstliche Befruchtung
funktioniert, wird hier nicht informiert, erfährt nicht, weshalb genau
Cora so wütend ist, als sie als „künstlich“ bezeichnet wird. Alles ein
bisschen oberflächlich, und im Rest des Buches ist es nicht besser.
Zusammenfassend: Cora und Fred sind ein Zwillingspaar, das sich
streitet, von seinen Eltern geschimpft wird, geliebt wird, in die Schule
geht usw. Das kann man lesen – muss man aber nicht.
Etwas Neues: Nun werden keine Pferde oder Hunde oder Katzen vor bösen,
bösen Menschen gerettet, sondern Delfine.
Dieses Buch handelt von Marie. Marie, ein Mädchen, das gegen ihren
Willen nach Spanien ziehen muss, weil ihre Eltern dort eine Pension
aufmachen wollen. Marie, ein Mädchen, das übervorsichtig ist und nie
ohne Erste-Hilfe-Kasten aus dem Haus geht - schließlich könnte ja mal
eine Schlange kommen und einen in den Fuß beißen oder eine Mücke einen
hinterhältig angreifen oder man könnte ja mal einen Sonnenbrand
bekommen, wenn man nicht Sonnenschutzmittel Stärke 500 mithat und sich
nicht alle 10 Minuten damit einschmieren kann. Marie ist natürlich auch
noch ein Mädchen, das ihre panische Angst vor Wasser überwindet, um
Delfin-Babys vor José, dem fiesen Onkel ihrer Freundin Carlotta Pilar,
zu retten. Aber das interessanteste sind die Geräusche, die Marie so
macht: Marie seufzt (das ist ja noch normal, aber sie), brummt, grunzt,
schnaubt, japst und quietscht. Vielleicht hat die Autorin Marie ja mit
einem Bären oder Schwein verwechselt? Dass ihre Eltern immer mit
Vornamen und Nachnamen in dem Buch auftauchen (Isabelle und Jan
Rehschmidt oder Herr und Frau Rehschmidt), ist dann völlig egal; man
gewöhnt sich mit der
Zeit auch an diesen Stilbruch. Bemerkenswert ist
auch noch, dass die sanfte, ängstliche und schüchterne Marie mit der
wilden, angstfreien und ungestümen Carlotta Pilar Freundschaft schließt.
Diese Idee von dem wilden Mädchen, das ihr schüchternes Pendant zur
Heldin macht, gab es ja noch nie… Aber trotz dem Heldinnendasein traut
sich Marie am Ende immer noch nicht, vom Felsen ins Wasser zu springen,
denn schließlich ist sie ja nicht so „verruckt“ (sic!) wie Carlotta
Pilar!
»EIN
BRUTALES UND MUTIGES BUCH. DIE ZEIT« steht auf dem knallroten Aufkleber
eines aus dem Dänischen übersetzten Bändchens mit dem vermutlich gewollt
unklaren Titel NICHTS Was im Leben wichtig ist (der, wo’s dadurch besser
ankommen soll, auch mal als zu NICHTS gekürzt auftritt). Brutalität,
Barbarei, eine Mutigkeit – nein danke!
Von einigem
literarischen Interesse könnte das Büchlein wegen einiger Passagen so ab
dem achtzehnten Kapitel sein, wo aus dem sonst wenig stimmigen
Handlungsstrang sich ergebend das schreibende Ich seine Hurrah-Statisten
als Deppen vorführt.
Der Buchtitel
wie auch die einleitenden Sätze mit Variationen (wie sie ähnlich zum
Beispiel in buddhistischer Literatur, bei Schopenhauer, bei Kierkegaard,
bei Georg Büchner und etwas weitergeführt bei J. P. Jacobsen vorkommen)
sollten sicher zum Nachdenken auffordern. Der Protagonist wurde schnell
ausgegrenzt und am Schluss der Geschichte sadistisch hingemordet, was
obendrein durch ein konstant aus dem Geschehen sich in den Vordergrund
schiebendes weibliches »Ich« mit den Worten »Und ich weiß, dass man mit
der Bedeutung [Bedeutung ist das Schlüsselwort der gesamten Handlung]
nicht spaßen soll« kommentiert wird, unmittelbar gefolgt von einem vom
übrigen Text abgehobenen Schlusssatz des ganzen Buches: »Nicht wahr,
Pierre Anthon [das ist der Name des sadistisch hingemordeten
Protagonisten]? Nicht wahr?«
Die prospektiven
Bestsellerkunden reichlich bedienend wird in dem Buch konstant mit
Gewaltandrohungen herumgeworfen und gegenseitiges Quälen, Abhacken von
Körperteilen, psychischer Terror zur Darstellung gebracht wie auch mit
einer aus diesem Kontext geschehenen psychisch nachhaltigen
Vergewaltigung gespielt. Dazu war der Autorin, Janne Teller, zwanghaftes
Mobbing in einer Schulklasse als Ausgangspunkt gerade recht, so ein
Tatort ›Schulklasse‹ hat sich schon immer für umsatzfördernde
Etikettierungen »Kinderbuch« angeboten. Entsprechend wird die deutsche
Ausgabe von einer Abteilung ›Kinder- und Jugendbuch‹ des deutschen
Verlegers betreut. Als lebten wir in einem Niemandsland, wo keiner die
Verantwortung hat und niemand zu
einem Regress herangezogen wird. In
erster Linie zu hinterfragen wäre indessen die leichtfertige Prämierung
der dänischen Originalausgabe durch das dänische Kulturministerium wie
auch das unbekümmerte Ausschlachten des Buches durch die dänischen
Schulbehörden für Examensaufgaben trotz begründeter mehrfacher Einwände
von kompetenter Seite. Und was von vielen befürchtet wurde –dass junge
Leser verschreckt und verstört vom Buch sind und gefährdet in der ihnen
zustehenden seelischen Unversehrtheit – ist längst eingetreten.
Der Rezensent
hat Sachbücher mit buddhistisch orientierten Meditationsanleitungen
geschrieben, er vertritt eine zuträgliche Kommunikation in einer
Bürgergesellschaft im Sinne des dänischen Theologen Grundtvig, des
Initiators der Volkshochschulbewegung, und er ist Autor von Band 117, J.
P. Jacobsen, der Sammlung Metzler.
Und dann auch noch „Emily Erdbeer kommt
zur Schule!"
(ms) Es gibt Bücher, die einen mit offenem
Mund dastehen lassen. „Emily Erdbeer“ ist so ein Buch. In einem Land, in
dem der Staat meint, er sei die besseren Eltern, in dem der Moment
kommen wird, wo Eltern zu dicker Kinder vor Gericht kommen, da ist
dieses Buch, das sich an die Leute wendet, die eher essen als lesen, ist
dieses Buch ein Täterbuch. Es kombiniert Essen und Schule, zwei
Bereiche, die schon immer propagandaanfällig waren. „Nur wer arbeitet,
soll essen.“, fand schon der reale existierende Sozialismus, und unsere
Hartz IV-Polit-Vordenker finden das wieder. Dass selbst im ZK der KPdSU,
ganz oben bei den sowjetischen Parteibonzen, mit einem Häkchen ergänzt
war: „Nur wer hier arbeitet, soll essen.“, ist kein Zynismus, sondern
logisches Weiterdenken. Wer bestimmen darf, wer wann wo Hartz-IV für
Essen bekommt, der findet natürlich auch, dass vor allem ihm der erste
Platz am Topf zusteht. Essen ist also Ideologie, und Schule ist es auch.
Und „Emily Erdbeere“ kombiniert beides. Ein Manifest also geradezu!
Erster Schultag, wie toll, Freundschaften,
die es so nie gibt, Kinder, die den Druck von der Lehrerin gleich mal
weg-essen. Es wird die ganze Zeit gegessen in dem Buch, und nur Zeug
ohne ein Fitzelchen Vitamine. Die Primitivität der Institutionssüchtigen
und der Schlechternährer trifft sich und ist sich erstaunlich ähnlich.
Wie politisch Radikale sich ähneln.
Wenn man „Emily Erdbeer“ das erste Mal
liest, verirrt man sich in dieser Fremdheit, und man könnte meinen, es
sei Avantgarde. Dieses in rosa gehaltenen, mit tollen Namensideen
entzieht sich der intellektuellen Erstbewertung. Wenn man das Buch laut
vorliest und nett betont, dann liegt man lachend in der Ecke, weil es
eine hanebüchene Geschichte mit hanebüchenem Hintergrund ist. Doch dann
der Schreck: Emily Erdbeere wird in Serie produziert. Es ist
Total-Verneblung. Und Bob der Baumeister, das ist schon echte Literatur
dagegen.
(lr) Marie Hamsun hat sich nicht damit begnügt,
die Frau des berühmten norwegischen Schriftstellers zu sein. Sie ist von
1939 bis 1943 auf Lesereisen im Nazi-Deutschland unterwegs gewesen. Dort
hat sie aus ihrem Buch „Die Langerud-Kinder“ gelesen, einem
Kinderroman-Idyll von 1924, das sich in Deutschland hunderttausendfach
verkaufte. Für viele Druckerzeugnisse war kein Geld da, für gute,
anständige Bücher keine Erlaubnis; hier aber wurden vom
Propagandaministerium alle Hebel in Bewegung gesetzt. Goebbels und Marie
Hamsun schätzten sich gegenseitig. Dass auf ihren umjubelten Lesungen
Kinder saßen, die im „Bund deutscher Mädchen“ zwangsorganisiert waren
und in Uniformen zum Beklatschen kamen (dazu gibt es
Zeitzeuginnenberichte), merkte Marie Hamsun wohl nicht, dass draußen
jüdische Kinder deportiert wurden, scherte sie nicht.
Ein großes Werk steht für sich, es
existiert unabhängig von äußeren Bedingungen. Das macht es aus. Marie
Hamsun hat sich der nationalsozialistischen Rassenideologie
verschrieben, und „Die Langerud-Kinder“ bedienten sie zu voller
Zufriedenheit der Nazis. Ein Übriges tat ihr Schreibstil, der für
literarisch Kundige lächerlich ist und wie eine Parodie auf Knut Hamsun
wirkt – ein zweifelhaftes Buch von einer zweifelhaften Autorin mit
berühmtem Namen.
Wie ein solches Buch erneut in die Regale
kommen kann, ist nur mit dem Walser-Effekt zu erklären. Der Herausgeber
hat sich einem historisch blinden Rechtskonservativismus ergeben, der
sich vor ein noch so büchernahes Leben drängt und ein Gedankengut
offenbart, das bei einem Literaturkritiker – das nämlich ist der
Herausgeber bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, auch noch zuständig
für Kinderliteratur! – sehr bedenklich ist.
Nun müsste kein deutscher Verlag sich für
so etwas hergeben. Der S. Fischerverlag hat es getan. Dessen Geschichte
ist bitter geprägt vom Antisemitismus, wie ihn Marie Hamsun guthieß. Mit
einem solchen Buch beschädigt sich dieses Traditionshaus enorm.
(so) Stian Hole ist beliebt.
Sein neuestes Bilderbuch „Garmans Sommer“, das der norwegische Autor
schrieb und auch illustrierte, ist mehrfach ausgezeichnet worden und die
Feuilletons loben: „Die Zeit“ spricht von einem „großartigen Lach- und
Erinnerungsbuch“, die „Faz“ von einem „Stück von Glück“, die Deutsche
Presse-Agentur von einer „mit fantastischen Collagen geschmückten
Geschichte über den ersten Schritt hinaus ins große Leben“. Da wird man
aufmerksam ob solchen Beifalls.
Es geht um den sechsten
Sommer in Garmans jungem Leben, den Sommer, bevor er in die Schule
kommt. Die drei älteren Tanten kommen wie jedes Jahr zu Besuch und
sitzen im bunten Garten von Garmans Mutter, bewundern ihre
schöngewachsenen Blumen. Garman hat Angst vor der Schule, im Gegensatz
zu den Nachbarzwillingen kann er„Rhabarber“ nämlich noch nicht von vorne
und hinten lesen und hat auch nicht deren Zahnlücken an der Seite.
Garman fragt die Erwachsenen um sich, vor was sie denn Angst hätten.
Denn das haben sie auch: Tante Ruth davor, dass der Winter kommt und sie
bald nur noch mit Hilfe eines Rollators gehen kann. Tante Borghild
fürchtet sich vor dem Sterben, Garmans Vater davor, Garman und seine
Mutter verlassen zu müssen, wenn er mit seiner Geige auf Orchesterreise
geht. Garmans Mutter, die mit ihrem roten Kleid an der Hecke sitzt, hat
Angst vor dem Zahnarzt. Nur Tante Augusta ist im Alter zu vergesslich
geworden, um noch irgendwas zu fürchten.
Garman schaut sich in diesem
Sommer die Gebisse der Tanten und die silbernen Haare an ihrem Kinn an,
die Maikäfer mit den Punkten und den toten Spatz im Garten: Das Leben
ist vergänglich und der erste Schultag wohl ein Schritt in die
Ernsthaftigkeit. Man versteht, warum dieses Buch auffällt. Die Bilder
halten den Betrachter fest und stoßen ihn gleichzeitig ab, in ihrer
Mischung aus Fotorealismus und computergenerierten Illustrationen. Die
Gesichter der Hauptfiguren sehen aus wie fotografiert, während der
Hintergrund, die Blumen, die Natur, meist gemalt scheinen. Das alles
schafft eine irritierende Bebilderung, die sich als Spannungswelt
zwischen kindlichem Traum und erwachsener Realität verstehen ließe.
Stian Hole zeigt hier gewiss
einen ganz eigenen Stil und hat mit Hilfe moderner Technik eine recht
ungewöhnliche Ästhetik geschaffen. Bei alledem bleibt nur die Frage: Was
soll das für ein Kinderbuch sein? Der Hanser Verlag gibt an: Ab fünf
Jahren. Die Bilder alleine sind nun völlig ungeeignet für Fünfjährige,
weil es selbst für erwachsene Leser schwierig ist, einen Zugang zu
diesem Pseudo-Fotorealismus zu finden. Vielleicht sind norwegische
Kinder anders gepolt. Vielleicht wirken die Bilder mit den
ausdruckslosen, leeren Gesichtern auf heutige Kinder nicht so grausam,
wie sie das auf den ersten Blick tun. Aber liebevoll sind sie nicht.
Dies sind keine Illustrationen, die Kinder einladen würden, dem Weg
eines Buchs offen und neugierig zu folgen, weil sie nicht weitergehen
als ihr eigener Computerrahmen. Sie sind erstarrt und regen nicht zum
Fantasieren an. Dazu ist die Geschichte langatmig und plätschert in
Ermangelung eines roten Fadens unmotiviert vor sich hin. Es scheint, als
sei der Text vor allem dazu da, die Bilder zu kommentieren. Einer
eigenen Dramaturgie folgt er jedoch nicht. Die knappen Detailaufnahmen
finden nicht zusammen. Garman bleibt blass und ausdruckslos, seine
Mutter wirkt wie eine Schaufensterpuppe im roten Kleid, wie auch keine
von den anderen zwischenmenschlichen Beziehungen hier eine eigene
Nuance hat.
Dass so gerne die humorvolle Seite des Buches betont wird,
ist erstaunlich. Es ist eines von diesen Büchern, das weiß, dass es neu
in seiner Art ist und Erwachsenen gefallen muss. Es ist eines von den
Büchern, die intellektuelle Erwachsene gerne an Kinder verschenken, um
sie frühzeitig zu bilden. Es ist ein Bilderbuch für Erwachsene. Wofür
die das brauchen, wäre die Frage, wieso diese Kinderdomäne eingenommen
werden muss, wäre eine andere. Wieso dieses Buch häufig so vorbehaltlos
gelobt wird, ohne nach einer Kinderperspektive zu fragen, ist in jedem
Fall erstaunlich.
Alter, Tod und Neuanfang
lassen sich auch anders erzählen. Kindgerechter und vor allem
liebevoller.
Und dann auch noch „Darwin für Kinder und
Erwachsene“!
(as) In dem Buch „Darwin für Kinder und
Erwachsene: Über die ungeheure Verschiedenartigkeit von Pflanzen und
Tieren“ unternimmt Volker Mosbrugger den Versuch, den berühmten
Naturforscher und ersten Entdecker der natürlichen Selektion einem
breiteren Publikum, vor allem auch aus jungen Leuten, zugänglich zu
machen. Anscheinend hat er wohl festgestellt, dass es zum Darwin-Jahr
2009 noch viel zu wenig Literatur über Charles Darwin gibt. Und an sich
ist die Idee, ein Darwin- Buch für Kinder und Jugendliche zu verfassen,
ein prima Gedanke.
Nur leider ist das Buch an sich ein Schuss
in den Ofen. Schon allein äußerlich ist es nicht ansprechend, sieht aus
wie das Deckblatt eines ein wenig fantasievoller gestalteten Schulbuchs.
Das bedeutet also: schon auf den ersten Blick wirkt es nicht besonders
interessant.
Natürlich ist das eine Fehleinschätzung,
denn Charles Darwin war eine sehr interessante Persönlichkeit. Nur
leider lässt Mosbrugger den Hauptteil der Erzählarbeit Darwin selber
erledigen und meldet sich kaum selbst zu Wort. Das Buch besteht
hauptsächlich aus Auszügen aus Darwins Werken und Autobiografie, und der
Text von Mosbrugger erstreckt sich lediglich auf kurze Einleitungen
dazu. Es ist gängige Praxis, vor allem Kinder mit dem Inhalt von
Sachbüchern nicht zu überfordern; aber der Inhalt dieses Buchs würde
gerade mal für einen Zeitungsartikel über Darwin ausreichen, nicht aber
für ein Portrait von „Darwin für Kinder und Erwachsene“, wie es im
Untertitel heißt.
Die Passagen, die Darwins selbst schreibt,
sind hochgradig interessant, und die Illustrationen von Hans Traxl sind
schön anzuschauen, aber für ein wirklich lesenswertes
Portrait von
Darwin reicht dieses Buch leider nicht aus. Für Erwachsene, die mit der
Theorie der natürlichen Selektion vertraut sind, enthält es viel zu
wenig; für Kinder dagegen viel zu viel. Es ist zu kompliziert für junge
Leser, die diese Theorie nicht kennen, diesen genialen Gedanken ohne
jede weitere Erklärung und dann auch noch in der immerhin 150 Jahre
alten Sprache Charles Darwins nachzuvollziehen.
Es hätte dem Buch gut getan, hätte
Mosbrugger es entweder für Kinder oder für Erwachsene geschrieben; so
aber hängt es irgendwo dazwischen und wird keiner der beiden Gruppen
wirklich gerecht.
(bb) Alinda, das Hundemädchen, will
unbedingt das tolle Buch aus dem Buchladen haben. Ihre Mutter sagt nein,
denn das Geld ist knapp. Plötzlich steht ein Wachmann da. Alinda hat das
Buch eingesteckt, ohne zu bezahlen. Sie bekommt schreckliche Angst, weil
sie glaubt, ins Gefängnis zu kommen. Der Wachmann drückt ein Auge zu. Zu
Hause basteln Alinda und ihre Mutter sich ihr eigenes Bilderbuch.
„Das will ich haben!“ erfüllt die
Erwartung von Erwachsenen, die von einem Kinderbuch Hilfestellung in
bestimmten Lebenssituationen erhoffen. Es stellt sich jedoch die Frage,
ob auch Kinder Spaß an der Geschichte haben. Hier wird mit erhobenem
Zeigefinger auf das ungehorsame, konsumorientierte Verhalten von Kindern
und deren Folgen aufmerksam gemacht. Der Text und die farbige
Illustration des Bilderbuches wirken an manchen Stellen einschüchternd.
Kinder sind den Verlockungen unserer Konsumgesellschaft hilflos
ausgesetzt. Doch anstatt Kinder zu verängstigen, sollte ihnen lieber die
Situation erklärt werden und die Eltern sich ihrer Vorbildrolle bewusst
werden. Zum Glück gibt es am Ende
des Buches ein Happy End. Die Idee,
ein Erlebnis in Text und Bild zu verarbeiten, ist eine lobenswerte
Anregung.
Ein gutes Kinderbuch ist ein Kinderbuch,
das viele Kinder mögen. „Das will ich haben!“ ist ein aufwendig bunt
illustriertes Buch, das Erwachsenen gefällt, die mit der Erziehung ihrer
Kinder überfordert sind und sich Unterstützung von dieser Geschichte
versprechen.
Und dann auch noch „Wie Niklas ins Herz
der Welt geriet“!
(so) Die rote Nase des Tierarztes hat
direkt auf Lola gezeigt, als er sagte, dass sie nicht mehr aufwachen
würde. Seitdem aber wacht Niklas nicht mehr aus seiner Traurigkeit auf.
Selbst wenn seine Mutter jetzt besonders liebevoll zu ihm ist und das
„leckerste Essen“ kocht, auf das er sich während der Schule freuen
könnte, fehlt ihm Lola, sein Hund, immer noch. Es ist Herbst und im
Schulhof ist der Blumenkasten, wo jedes Kind eine eigene Blume pflanzte,
leer. Darüber hängt nasser Nebel und Niklas denkt daran, dass die
Lehrerin, die mit ihnen diese Blumen pflanzte, gesagt hat: „Man sieht
die Schönheit der Dinge immer erst, wenn sie weit weg oder verschwunden
sind“ Niklas hält diesen Satz für ausnehmend wahr, besonders jetzt, wo
der Winter naht und ihm gar nichts mehr so schön vorkommt wie damals,
als Lola sich frostigen Schnee aus dem Pelz schüttelte. Im Laufe des
Winters wird der traurige Junge den alten Johannes treffen, der alleine
auf einer Bank sitzt und an seine verstorbene Frau Martha denkt. Und im
Frühling, wenn die Blumen wieder blühen, begreift Niklas nach einigen
Gesprächen mit Johannes, dass es eine Kraft des Erzählens gibt, die
reinigt und klärt und heilt. Nun kann Niklas über die Welt wieder
sagen: „Es ist schön so, wie es ist. Oder?“
Dieses „Oder“ aber ist vielleicht das
Problem: Niklas hat zwischen Kummer und Liebesverlust stark mit der
Beliebigkeit zu kämpfen, in einer Geschichte, die von Bäumen, die in den
Himmel wachsen und alten Männern erzählt und sich dabei nicht der
Gefahr ihrer gängigen Motivwahl bewusst ist. Sprechende Details fehlen
ebenso wie überzeugende Dialoge. So kann das Erzählen keine eigene
Sprachperspektive auf die Welt eröffnen. Niklas ist eine Leerstelle, der
die Spur Originalität fehlt, um interessant zu werden. Er ist vor allem
schwermütig. Und ein Kind, irgendwo zwischen acht und zwölf Jahren. Lola
ist ein Hund, der mit nassem Fell geliebt wurde. Und leider wird sehr
offensichtlich gesagt: Das ist jetzt traurig. Das ist jetzt arg traurig.
Das ist jetzt so traurig, dass man betroffen zu sein hat. Gegen solche
Anleitung zur Rezeption mag sich nun in manchem Leser ein leichter Trotz
regen. Denn um eigenes Denken, was denn Trauer bedeuten könnte, geht es
hier eher nicht. Die behauptete philosophische Ebene ist unsauber, die
Vergänglichkeit von
Schönheit an Blumen, die Endlichkeit des Lebens am
Himmel erläutern zu wollen, ist gewagt, weil hier nicht einmal witzig
oder selbstironisch. Was das Ganze zu einer Geschichte macht sind, eher
die ausdrucksstarken Illustrationen von Ayano Imai, die zum Beispiel
einen Hund unter einem Handtuch zeigen, der sich genau so schüttelt, wie
sich nasse Hunde eben schütteln. Irgendwie bleibt das Gefühl, dass
Niklas gerne der kleine Prinz wäre. Er ist nur etwas denkfaul dafür.
Und dann auch noch ein „Deutschbuch“ für
die Gymnasialklasse 7
(lr) Das ist natürlich an sich seit
Schulpflichtgedenken schon dumm: In seinem Deutschbuch lesen! Wer das
tut, muss mit Strafe rechnen, und sie folgt auf dem Fuße. Der arme
hilflose Leser muss sich dauernd nach seinem Selbst fragen, sich
selbstbespiegeln – das heißt: Sich von Erwachsenen bespiegeln lassen,
denn die Pädagogen, die sich ausdenken, dass eine Siebtklässlerin auf
dem Gymnasium auf der ersten Seite des Deutschbuches über „Mein
Alltags-Ich“ nachdenkt, haben natürlich ein Alltags-Ich vor Augen, das
mit den Teenagern von heute rein gar nichts zu tun hat. Drei Seiten
später erblödet man sich, aus der „Bravo“ (mit großem Product Placement)
zu zitieren, und der Weg in ein Deutschbuch von gestern, das sich
unheimlich modern vorkommen will, ist gemacht. Man traut es sich den
Autoren kaum zu sagen, aber wenn man dem entgehen möchte, dass man die
Interessen der jeweiligen Generation gar nicht trifft: Wie wäre es mit
Klassikern? Genau dasselbe bei „Über Freizeit nachdenken“: Wenn ich
nichts mehr darüber
weiß, was Teenies in ihrer kargen freien Zeit tun:
Wie wäre es, ihre Freude an Sprache und Literatur zu wecken? Mit einem
Deutschbuch? Das klingt den Herren und Damen Verfassern wahrscheinlich
zu wirklichkeitsfern. Aber Heranwachsende haben einen besonderen Sensus
für sich anbiedernde Erwachsene, die so tun, als wären sie ihnen ganz
nah, aber im Zweifelsfall doch die Keule herausholen. Deren Tonfall kann
das „Deutschbuch“ an keiner Stelle überwinden. Verlogene Zeit, verlorene
Zeit.
(am)„Das ist so: Ihr seid wie ein
Kühlschrank für diese Welt, denn ohne euch würde alles vergammeln.“
Die Geschichte von Jesus und seinen zwölf Aposteln ist nicht neu
erfunden oder auf andersartige Art interpretiert worden. Die „Volx-Bibel“ gibt sie nur in einem „neuen“ Deutsch wieder.
Das System ist ganz einfach: Die
Volksbibel für das Volk vom Volk geschrieben. So konnte jeder, der
wollte, sich im Internet bei der Übersetzung der Bibel beteiligen und
sie in das angebliche heutige Deutsch übersetzen. Den Stern von
Bethlehem dabei als GPS System zu bezeichnen, scheint noch ein geringes
Übel, wenn man bedenkt, dass Jesus nicht wie der Sohn Gottes, sondern
wie ein 16jähriger aus dem tiefsten Berliner Ghetto spricht. Nach dem
"Neuen Testament 3.0" (Untertitel) sind wir nach Jesus' Meinung alle
„Schisser“
die sowieso „nichts schnallen“.
Obwohl die Idee lobenswert klingt, die
Bibel "dem Volk" zugänglicher zu machen, ist der Versuch doch wohl eher
gescheitert. Zumindest bilde ich mir ein, dass die deutsche Bevölkerung
nicht nur aus 16jährigen Sprücheklopfern besteht. Anderenfalls müssten
sich Goethe, Schiller und Luther natürlich dauernd im Grabe umdrehen.
Jeder, der die Bibel in ihrem normalen
Übersetzungszustand gelesen
hat, sollte sich lieber ein Glas Wasser und Kopfschmerztabletten beim
Lesen der "Volx-Bibel" neben sich stellen. Und für diejenigen, die das erste Mal die
Bibel lesen und sich unglücklicherweise diese Ausgabe dafür
ausgesucht haben, wird der Glaube an Gott von nun an ewig etwas
Lächerliches haben. Denn egal, was jemand für große Taten und Wunder
vollbracht haben soll, ernst nehmen kann man ihn einfach nicht mehr,
wenn man ihn mit
diesem Denglisch-Fäkalien-Sprachgemisch assoziiert.
(ms) In diesem mächtig daherkommenden
Bilderbuch werden die Kinder früh eingeschworen, was es heißt, ein
pseudodemokratisches Polizeiverständnis zu haben. Da präsentiert sich
die geballte Staatsmacht als Einschüchterungsapparat von Bürgern, die
ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, für die die Unschuldsvermutung gilt,
die sich im öffentlichen Raum frei bewegen wollen. Eure Bürgerrechte,
Kinder, sind klein und unbedeutend, das vermittelt dieses Buch, ihr lebt
unter dauernder Polizeipräsenz, die technisch perfekt und technokratisch
funktionierend alles überwacht und sich gegen Euch stellt, weil ihr in
einem überreizten, angstgeschüttelten Staat lebt, der vergessen hat, auf
wen seine Polizei noch mal aufpassen soll. So rekrutiert man Nachwuchs:
Wer die
Menschen um sich in Schach halten will, wer freiheitliche
Gesetze für gefährlich hält, wer innere Ordnung mit Friedhofsstille
verwechselt, der kann sich durch dieses Buch schon einmal auf seine
Zukunft als Polizist vorbereiten. Gute Chancen, dass er seine
Kindergartenkameraden später schön unter Kontrolle halten kann. Von
Typen, die nach diesem Buch ihr Polizeibild entwickeln, werden sie
nichts anderes erwarten. Die nerven schon in jungen Jahren.
Und dann auch noch "Bobo Siebenschläfer
wird nicht müde"
„Bobo Siebenschläfer“ läuft seit Jahren,
läuft und läuft und läuft. Ein wenig ängstigt einen ein solch langer,
ununterbrochener Erfolg. Zunächst hatte man ja noch an einen
Überraschungscoup glauben können. Da träumte man sich in den
Bobo-Schöpfer, Markus Osterwalder (Text und Bilder), hinein, in die
Freude über den unverhofften Sieg über normale, großformatige
Bilderbücher mit aufgebrezelten Aussagen. In sein Zurücklehnen, seinen
Rückzug unter Tantiemenregen. Aber Osterwalder macht immer weiter.
Die Zeiten verändern Bobo und seine
Eltern. Sie sind dicker geworden, auf dass niemand Aids oder Bulimie bei
ihnen vermutet. Mama Siebenschläfer hat das reine Mutteroutfit abgelegt
und trägt jetzt figurbetonte Kleider und zeigt mal Bein. Wer will schon
noch nur Mutter sein? Oder gar so aussehen? Abgekämpft wirkt sie
trotzdem; kaum ein Wunder, nach fast dreißig Jahren mit einem Kind, das
nicht gescheit wächst, kaum älter, kaum reifer wird, und auch an Mama
Siebenschläfer vollzieht sich das Grauen der ewigen Jugend, trotz
schwankenden Gewichts. Da ist es nur folgerichtig, dass die Geschichten
eben nicht mehr die alte Frische haben. An irgendjemandem können die
Jahre ja nicht spurlos vorbeigehen. Die frühere Kürze, die Stringenz
ohne Abweichen, ja, nicht einmal einer Kurve in der Handlung, sie ist
perdu. Ist eine Geschichte mal eine schöne Reminiszenz an die alte
Klasse, dann zerstört der neue, nicht nur im echten Leben fatale
Zeigefinger sie sofort. Ein Blick in die Gesichter aber verrät, dass sie
selber neben sich zu stehen scheinen, selber zu spüren scheinen, dass
das nicht mehr ihre gute Geschichte ist. Ein Versehen des Zeichners?
Oder ein höchst geübter Hinweis für uns Leser, zu den alten Bänden zu
greifen?
Der frühere Bobo ist –wie der heutige- am
Ende jeder Geschichte eingeschlafen, in einen kindlichen Schlaf
gefallen, um den man ihn beneiden konnte. Jetzt ist sein Einschlafen so,
wie es bei vielen Kindern ist, die durch das Leben gejagt werden. Bobo
hat sein Nicht-Tempo verloren. Es gibt Kindergartenfeste, Termine,
Verabredungen, eine ständige Zukunft. Irgendein Lärm stört die Familie
immer, und sie steht nun auch unter dem Druck konformen
Sozialverhaltens. Wie schön war das früher, der Zoobesuch zum Beispiel –
er wäre auch heute zerrüttet durch falsche Ansprüche, so wie es die
Familie Siebenschläfer jetzt ist. Für den nächsten Band müssen wir wohl
mit der Scheidung rechnen.
(rk)„Der Herr Augustin“ begeht viele
Todsünden. Zu allererst mimt es, ein künstlerisches Kinderbuch zu sein,
aber nach wenigen Seiten fällt man darauf doch nicht herein – dazu ist
es graphisch zu professionell gemacht. Das zieht nach sich, dass die
Gesichter ausdruckslos sind, mit billigen Imitaten von Gefühlsregungen,
seelenlos, ohne Verbindung zu ihrem Schicksal.
Damit allerdings passen sie wunderbar zum
Text. Was an den Bildern in Bezug auf Formen- und Farbgebung perfekt
ist, ist in der Geschichte an geübtem Sand-in-die-Augen-Streuen zu
finden. Körnchen von dem, was Literatur ist, werden gleichmäßig über das
Buch verteilt und dann notdürftig zusammengebracht. Tatsächlich gerät
dabei der Autor in Not, und zu seinem zweifelhaften Tiefschürfen, seinen
Pseudo-Deuteleien und seinen Klischeebildern kommt eine Wahrhaftigkeit
hinzu, auf die wir erst recht gern verzichtet hätten. Sie zeigt, mangels
Können des Autors, unverfälscht ab, eine Welt, in der Kinder
alleinstehende Herren belästigen, in denen allein die Kinder sich zu
verändern, zu verbiegen haben, um den Erwachsenen das Leben zu
verschönern. Wie unangenehm es ist, unterschwelligen
Rassismus zu
bekämpfen, der sich mit dem Deckmäntelchen der Offenheit ausstattet,
weiß ich von meinen Freunden, die sich damit konfrontiert sehen. Ähnlich
erging es mir bei dieser Rezension. Der Anteil derer, für die Kinder
Feinde sind, muss bei diesem Buch vom ersten Pinselstrich bis zum Druck
sehr hoch gewesen sein. Dass der Herr Augustin mit Steinen und toten
Krähen nach Kindern wirft, ist keine verstörende Idee, sondern ein
Pogrom en miniature. Das ist wohl das Kindgerechte daran.
(lr) Die Eroberung der Kinderwelt durch
sentimentale Erwachsene ist unter der Hand längst beschlossene Sache.
Ein professioneller Undercover-Agent in dieser Angelegenheit ist Heinz
Janisch, und dass ihm nun Wolf Erlbruch sekundiert, wird den Erfolg der
Operation sichern. Der König ist irgendwie als Kind verkleidet, weil,
huch ja, „in jedem von uns ein kleiner König steckt.“ Dieses multiple
Königlein spricht mit Dingen und der Natur, wobei die gewünschte
Naivität in eine gewisse Debilität umkippt. Es ist eben schwachsinnig,
wenn Erwachsene mit Gegenständen reden, die dann auch noch wirres Zeug
zurückstammeln. Das natürlich soll Poesie sein, so eine, wie man sie
bereits auf Kalenderblättern, die dann am Kühlschrank
vergilben,
lächerlich findet. Ein wundervolles Mitbringsel für Alleinstehende,
deren Hund oder Katz schon alle Delikatessen, die in den
Lebensmittelregalen für sie vorgesehen sind, probiert haben. Was in
Heinz Janisch gefahren ist? Wahrscheinlich der Wunsch nach dem Wort mit
den vier Buchstaben, das mit G anfängt und mit eld aufhört. Dazu fehlt
leider die schlaue Weisheit im Buch vom König. Aber Erwachsene hören ja
nicht gern das Wahre.
Und dann auch noch
„Felix bei den Kindern dieser Welt"
(lr) Zu oberschicht für Diddl? Zu
kultureuropäisch für Pokémon? Dann könnte der Hase Felix genau die
richtige Geschmacklosigkeit für Sie sein! Zwar müssen Sie beim Kauf von
dem Felix-Buch alles vergessen, was Sie je über Bücher gelernt haben,
dass sie inhaltsvoll, erzählerisch aufgebaut, gut gestaltet sein können;
dafür aber bekommen Sie einen geistigen Müll in die Hand, der so wenig
mit Buchkultur zu tun hat, dass Sie gleich fröhlich-verdummt ins
Merchandising einsteigen können. Felix gibt es nicht nur als
Schulranzen, als
Kinderportemonaie (schlau, denn das ist ein schönes
finanzkrisiges Symbol für überteuerten Blech anstatt wirklichen Wert!)
---da lernt das kleine Kind gleich die Verirrungen kennen, die seine
ganze Jugend noch prägen wird--- Felix gibt es als Stifte, als Etuis,
ja, es gibt Felix sogar auf Unterhosen. Das wiederum ist das einzige,
was stimmig und passend ist an Felix. Der Ort, wo er hingehört.
Und dann auch noch
„Kleine Helden- dicke Freunde, Geschichten, die stark machen“
(fh) Freunde sind wichtig! Und Freunde
machen stark. Stark sollen auch die Geschichten in dem Buch „Kleine
Helden - dicke Freunde“ machen. Geschichten in denen es um
Freundschaften zwischen afrikanischen und asiatischen Elefanten, einem
hässlichen Entlein und einem schönen Schwan, einem pupsenden Vulkan und
einem königlichen Popel und vielen anderen realen und phantastischen
Figuren geht. Das Aufeinandertreffen von Prinzessin Leila und Leon
bildet den Rahmen für alle Geschichten, die von Jau Jau, einem weisen
Geschichtenerzähler, zum Besten gegeben werden.
Sowohl der Rahmenhandlung als auch den
einzelnen Geschichten fehlt es aber leider an sinnvoller Dramaturgie.
Besonders die Geschichte um Leila, Leon und Jau Jau wirkt konstruiert
und ist holprig in der Sprache. Die von Jau Jau erzählten
Geschichten
sind zusammenhanglos aneinandergereiht und weisen kaum märchenhafte
Elemente auf. Hier geht es nicht um den Spaß am Geschichten-Hören und Selber-Lesen oder um schöne, die kindliche Phantasie anregende Sprache,
sondern um Pädagogik, die aus allen Geschichten in einem viel zu lauten
Unterton mitklingt. Das Vor- und Nachwort, in dem sich die Autoren
ausschließlich an den erwachsenen Leser wenden und Kinderfreundschaften
analysieren, sowie Ratschläge für den Umgang mit diesen geben ,
verstärkt diesen Eindruck zusätzlich.
„Geschichten, die stark machen“, dieser
pädagogische Anspruch stört. Und ganz besonders stört er bei einem so
empfindlichen Thema wie Freundschaft.
Und dann auch noch „Pferdesprache für
Kinder - Pferdeflüstern leicht gemacht“
(jw) Na wenn doch alles so einfach wäre...
Dieses Lehrbuch geht zumindest an der
Realität, wie sie in durchschnittlichen deutschen Reitschulen zu finden
ist, vorbei. Und wer Verhältnisse vorfindet wie sie in diesem Buch
vorausgesetzt werden, der braucht eigentlich das Buch nicht. Aber das
hört sich jetzt alles negativ an - und so schlecht ist es gar nicht.
Ohne fachliche Mängel, wie in anderen Lehrbüchern auch, wird natürlich
nur der Idealfall beschrieben und nicht wirklich erwähnt, dass das so
nur seltenst klappt. Falls was schief geht, soll man sich doch bitte an
seinen Lehrer wenden, denn es wird keine Haftung übernommen. Wie schön.
(mm) Erdenretter kennen wir nun seit
mindestens drei Jahrzehnten. Sie haben alles immer schlimmer gemacht.
Ein bisschen Mülltrennen bedeutet nur, schnell den Blick fürs Ganze zu
verlieren. Die Ökobewegung beheizt Quadratmeter, fliegt durch die Welt,
hat Autos und verteidigt alle Annehmlichkeiten: Das ist aus ihr
geworden. Keine Menschen mit Sinn für Urzustände, für Menschen, die
einfach nur in der Natur sein wollen: Geht ja bei ihnen auch nicht, sie
müssen in Büros und Lobbys sitzen, um anderen ihre längst zu Ideologie
versteinerten Besserwissereien aufzudrücken. Da ist es egal, ob es um
Atomkraftwerke oder Rauche geht. Hauptsache, die Kinder anderer Leute
dürfen so wenig wie möglich. Bei all dem Verwalten von Wahrheit über die
Zukunft vergessen die selbstverliebten Retter natürlich, dass es gar
nicht um sie geht, sondern um Kinder. Das haben sie so viel auf Plakate
geschrieben, dass sie es schon selber nicht mehr glauben. Stimmt ja auch
gar nicht: Kaum jemand ist eifersüchtiger auf die Jugend als die Ökos.
Sie haben so schön die Welt gerettet und sollen dann nichts davon haben?
Zu Lebzeiten ist ihnen das Aussperren der Kinder ja gelungen; seit wir
ökologisch denken sollen, hat sich der Lebens- und Spielraum von Kindern
erschütternd verkleinert. Wenn die Seen dann vermodert, der Wald dann
leer ist, zucken die gealterten Ökos nur die Schultern und fahren zum
nächsten
Kleinod, das es zu retten gilt. Sie haben den Blick für das
Ganze verloren. Wie man so wird? Dazu ist jetzt eine Anleitung
erschienen: „Rette die Erde. Kleine Taten – große Wirkung“. Da wird
jedes Denken in Zusammenhängen unterbrochen, um Ankreuzlisten zu
Geschirrspülen auszufüllen. Doch mit Spieß, mit geistiger
Eingeschränktheit und ohne Veränderungswillen hat noch keiner
irgendetwas gerettet. Was dieses Buch soll? Die Kinder sollen kürzer
duschen, damit Alte weiter in ihr Urlaubsorte fliegen können.
Und dann auch noch „Annika und die
geheimnisvollen Freunde“
(lr) Es gab eine Zeit, da war man jung und
hat Schlager verachtet. Dann kam eine Zeit, in der man sie heimlich
hören durfte: Ganz laut und schrill, unter dem Deckmäntelchen des
Lustigmachens. In Wahrheit durfte so eine Riesengruppe Spießer endlich
ihrem miesen Geschmack huldigen. Als die Mode abebbte, wurde das nächste
Vehikel ins geistige Aus zum Hipsein erklärt, Schrebergärten. (In diesen
schon seit längerem verdächtig biederen
Prenzlberg-Familien auch
„Datschen“ genannt. Macht es nicht besser.) Das geistige Milieu war dort
nie woanders als am Boden. Und da kraucht es auch herum, wenn es sich
mit dem „wilden“ Ökogarten, an dem sich die kleinkarierten (aber
wenigstens unverlogenen) Nachbarn stören, unheimlich wild vorkommt. Wenn
den zu bemitleidenden Kindern dann auch noch Phantasiewesen wie
„Gartenfreunde“ angedient werden, sind wir bei Endstation „Annika und
die geheimnisvollen Freunde“ angekommen. Ein Buch für Spießerexzesse,
ein Buch für den Prenzlauer Berg.
Und dann auch noch „Vier Freunde und das
verlassene Pony"
(jw) Die
Beschreibung der vier Freunde (2 Jungs, 2 Mädchen, jeder ein Pony oder
Pferd, gehen in dieselbe Klasse, wollen in den Sommerferien einen
viertägigen Wanderritt machen, natürlich ohne Erwachsene) habe ich mir
ja noch angetan, bis zum verlassenen Pony bin
ich nicht mehr
vorgedrungen. Das für meinen Geschmack schlechteste Buch, das ich je rezensieren sollte. Muss ich das noch fertig lesen? Soll für 10+ sein.
Ich habe noch keine zehnjährigen Jungs gesehen, die sowohl Pferde als
auch Mädchen toll finden und mit denen freiwillig ihre Ferien verbringen
wollen. Wer soll sich mit der Handlung identifizieren? Und der
Schreibstil - schon mal gar nicht das Ding von Kindern, erinnert es doch
stark an ein Drehbuch mit allzu expliziten Angaben.
(lr) Gutenberg würde sich im Grabe
umdrehen. Für „Hexe Lilli“ hätte er den Buchdruck nicht erfinden müssen.
Ein paar lose Blätter würden genügen. Dann kann man beliebig
herausziehen, lesen und zusammenknüllen. Der nächste verpasst nichts.
Band um Band - Hexe Lilli verändert sich nicht und die Welt um sich
herum schon gar nicht. Die Geschehnisse sind austauschbar, Bilder und
Ideen werden gleich aus anderen schlechten
Hervorbringungen (gern
Hollywood-Filme) übernommen. Und die vielen PünktchenPünktchenPünktchen!
Die billigste Methode für faule Münder, damit man nicht noch um Worte
ringen muss. War das nicht mal das Wesen der Schriftstellerei? Das hat
mit „Hexe Lilli“ allerdings wirklich nichts zu tun. Da ja alle auf das
E-Book warten, manche davor warnen: Hexe Lilli kann man auch wunderbar
am Rechner lesen. Entf.
(fxg) Bei der Fußballweltmeisterschaft
hatte sich wieder einmal vor aller Augen gezeigt, dass das, was sich
beim Fußball trifft, nicht gerade gute Assoziationen weckt. Die Melange
aus Kameradschaft, Sport und Patriotismus hat einen nationalistischen
und einen sozialistischen Touch, der auf einem unzeitgemäßen Corpsgeist
beruht. Alles, was die Handlung beim Fußball vorantreibt, geht über den
Körper und tut den Geistesmenschen als Schwächling ab. Als nach dem
Herausfliegen der deutschen Nationalmannschaft einfach weitergefeiert
wurde, zeigte sich, dass ein Volk bereit war, die borderline zu
überschreiten. Durch eine Prüfung gefallen? Einfach ignorieren, einfach
feiern! Bloß die Niederlage ausblenden! Beim einzelnen Menschen wäre so
viel Realitätsverlust psychiatrisch
behandlungsbedürftig. Den Deutschen
gratuliert eine Politikergarde, die den Sport als Kollektivrausch für
sich nutzen will. Die Bücherwelt ist ganz weit weg von diesen
Niederungen; Kindern, die spüren, wohin dieser geistlose Körperkult
führt, gehört der Rücken gestärkt. Stattdessen werden Jungs in Unmengen
mit Büchern wie „Die wilden Fußballkerle“ (allein der Titel---)
überschüttet, von manchem wohl auch in der vagen Hoffnung, die Burschen
zu Lesern zu machen. Das Ergebnis werden wohl eher Bundeswehrsoldaten sein.
(mm) Ungern erwähnen wir hier eine Autorin
zweimal. Aber "Tintenherz" erzwingt eine Ausnahme. Cornelia Funke ist
reich geworden mit ihren Büchern, sie hätte die Möglichkeit, um Gutes,
Anspruchsvolles zu schreiben. Es ist verräterisch, dass ihr das nicht
gelingt, nicht gelingen kann. Sie kann nicht schreiben. Ihr fehlt
das Gespür für originelle Bilder, für eine ästhetische Sprache, für
vielschichtige Charaktere. Funke bedient sich der Ideen anderer und
panscht sie zu einem Sprachmatsch zusammen. In "Tintenherz" steigert sie
die Unerträglichkeiten dann noch ins ins Höchste, wenn sie literarische
Zitate wie von einem kitschigen Küchenkalender abgekupfert wild
ausgewählt vor die Kapitel knallt. Armer, wehrloser Twain, Dahl,
Stevenson usw. und Celan (ja!) usw. Funke macht aus Büchern ein
einziges Undsoweiter. Der Weg für Kinder, denen "Tintenherz" als literarisches
Werk angedreht wurde, zurückzufinden zu guten Büchern, ist sehr weit.
Sie sind infiziert von Flachheit. Die Vorstellung, wie wenigen es
gelingen wird, sich davon zu befreien, kann einem schon Sorgenfalten auf
die Stirn treiben. Wer von diesen Lesern soll die
Literaturwissenschaftler der Zukunft stellen? Als Trost dient die
Erfahrung, dass die billigen Erfolgsbücher mit der Zeit in der
Versenkung verschwinden.
(sr) Es ist schwer genug, Kinder
unbeschädigt durch die Vorweihnachtsstraßen zu lotsen. Schwer genug, sie
vor den unersättlichen Erwachsenen zu schützen. Schwer genug, ihre
Kinderzimmer weiterhin von Spielzeugmüll freizuhalten. Schwer genug,
überhaupt zu einem richtigen, echten Gefühl für das Kinderfest
Weihnachten zu bewegen. Und dann kommt dieses „Weihnachten in Bullerbü“
ins Haus und macht alle Bemühungen zunichte. Da werden Klischees
hochgepumpt und künstliche Erwartungen geweckt, dass es nur so scheppern
muss in der Kinderseele, wenn dann das wirkliche Leben Weihnachten
eingeholt hat. Das können die Eltern zwar noch mit vielen Ideen, gar
einem Schuss Originalität ausgleichen. Aber gegen diese wilden
Geschenkorgien, von denen die Kinder aus Bullerbü erzählen, gegen die
ist man machtlos. Das nagt an den Kindern. Von der inneren Leere nach
dem Auspacken, davon steht in dem Buch nichts. Ganz klassisch müsste man
wohl sagen, die Kinder aus Bullerbü sind schlechter Umgang.
(rk) Das Buch „Vialla und Romaro“ nutzt
den dramatischen Verlust an Beurteilungsfähigkeit deutscher Juroren. Es
wurde in verschiedenen Foren zur Empfehlung freigegeben, was niemals
hätte passieren dürfen. In diesem Werk für Kinder ab 12 wird mit Motiven
und Handlungen, die voller sexueller Abgründigkeit stecken, eine
Geschichte gespickt, nach deren Lektüre junger Leser verstört
zurückgelassen werden. Auffangbedürftig, von schwierigen, nicht
altersgemäßen Themen geradezu auf wackligen Füßen allein gelassen.
Die
Autorin, Lilli Thal –wohl ein Pseudonym, das ich nicht aufdecken konnte,
aber zu gern aufdecken würde, um die geistige Lage der Autorschaft
aufdecken zu können- greift zu allen Mitteln der pseudoliterarischen
Kunst: Die allzu modischen Fantasy-Elemente, dazu ein Märchenrausch, bei
dem ein wahrere Märchenkenner mit Grausen sein Genre beschmutzt sieht,
und schließlich das Aufgreifen einer shakespeareschen Liebe – für die
die jugendlichen Leser sich nie werden öffnen werden, wenn sie die
Erinnerung an „Vialla und Romaro“ nicht abstreifen können. Die Warnung
vor diesem kalkulierten Machwerk kann kaum dicker gedruckt sein:
Niemals, Eltern, gebt dieses Buch Euren Kindern in die Hände!
(lr) Sie sind die Volksmusik unter den
Kinderbüchern: „Ich gehe zum Kinderarzt“, „Beim Kinderarzt“, „Die
Kinderarztpraxis“ heißen sie, und sie sind allesamt heimliche
Bestseller. Im Kleingedruckten finden sich Autoren dieser Sachtexte, die
Kinder zuerst als pädagogischen Geniestreich vor dem Besuch beim
Kinderarzt vorgelesen bekommen und dann, leiderleider, andauernd hören
wollen. Wie ein Weihnachtsbaum, der im März noch steht, sind sie eine
nervige Erinnerung an einen gar nicht mal so schönen Termin. Auf dicken
Pappseiten spielen zunächst Kinder mit möglichst generationsspezifischen
Vornamen im Wartezimmer. Wahlweise haben sie irgendetwas, das den
üblichen Handlungsablauf in der Praxis erzählen kann. Gewogen, gemessen,
Spritze - die Kinder sind als Erklärungsobjekte geschaffen worden und
nun müssen sie ein ganzes Buch lang durchhalten. In „Die
Kinderarztpraxis“ dürfen sie dabei nicht einmal um Spielzeug zanken
(Wartezimmer-Szene) oder gar weinen (Spritze-krieg-Szene). Beim x-ten
unermüdlichen Vorlesen fällt plötzlich der Groschen: Was als objektiver
Sachtext daherkommt, ist in Kinderhänden ideologisch aufgeladen – nichts
mit „echter Welt“! Hat schon einmal jemand Bücher wie „Die
Kinderarztpraxis“ historisch betrachtet? Was sollte wann erreicht
werden? Wäre hochinteressant! Der Befund für heute: Bilderbücher als
Tonikum zur Vorbereitung des Kinderarztbesuches: Mit starken
Nebenwirkungen! Hier wird Kindern eingebläut, was sie zu denken haben:
„Jede Menge Spielsachen“ bewirken, dass es nicht langweilig wird
(Wartezimmer-Szene), Kinder sollen gesund sein, um wieder „in den
Kindergarten zu gehen“, um also wieder zu funktionieren (Otoskop-Szene),
getestet wird, ob man bloß genauso entwickelt ist wie alle anderen auch
(U 4 –Szene), dass man für die Lehrerin, nicht für sich selber zu hören
und zu sehen habe (Sehtest-Szene). Was wie eine Publikation der
Edelfedern aus dem Bundesfamilienministerium daherkommt, ist aber keine.
Das könnten die niemals so gut.
(lr) Die Aufschneiderin
Millie reist um die Welt, diesmal ist es nicht Paris, diesmal muss es
London sein (klar, die Zielgruppe muss ja auch ab und zu da Urlaub
machen, wo die Millie hinfährt). Millie besucht dann auch die Orte, mit
denen jeder Reiseführer die Touristen
traktiert, keine Chance, vom Weg
abzuweichen. Von den so mühselig zu lesenden wie sinnlosen Versuchen,
besonders witzig und lustig zu sein, schwiegen wir beschämt. Aber dass Millies Reisen ganz im Geist von Menschen geschehen, die Urlaubmachen
zum schrecklich öden Lebensinhalt ernannt haben, die auf
Ausflugsschiffen grauhaarig geworden sind und wohnzimmergroße Wohnmobile
mit schmalem Horizont steuern, darüber kann man nicht schweigen. Millie,
Du bist all das, wovor wir unsere Kinder bewahren möchten!
(lr) Ich habe einmal
versucht, ein Zeitdiagramm von „Conni“ anzufertigen. Ihre wahrscheinlich
500 Erlebnisse terminlich und vom Zeitaufwand durchzuchecken. Zu
berechnen, wie lange sie wieder braucht, um nach ihren unzähligen
Arztbesuchen sich wieder eingekriegt zu haben, um dann ihre unzähligen
Urlaubsorte anzusteuern. Das Ergebnis: Conni hat auf jeden Fall keine
Minute Zeit, um zur Toilette zu gehen. Aber festnageln lasse ich mich
darauf nicht: Schon möglich, dass es irgendwann noch „Conni geht aufs
Klo“ gibt. Da wird dann in dem üblichen, leicht nachzuahmenden
Benachrichtigungsstil von Conni erzählt und allem, was dem ganz normalen
Kind auch so widerfährt auf dem Klo. Ja, das ganz normale Kind,
das ist das schlimmste an „Conni“, diese Zielgruppe. Denn der Preis der
Normalität ist hoch - je jünger der Mensch, desto höher, weil ein Lebtag
vorhaltend. In der „Conni“-Welt wird den Kindern davon erzählt, was
gefährlich und was nicht, welches Verhalten in der Sprechstunde
erwünscht ist und welches nicht, wie freundliche und wohlwollende, in
Aussehen und Verhalten komplett ununterscheidbaren und erschreckend
konforme Erwachsene das beste für Conni tun. Connis Leben ist
entsprechend „vermachtet“, sie hetzt (siehe Zeitdiagramm) zwischen
Kindergärten und Terminen (ja, nur, wo Eltern Kinder hinbringen, erleben
Kinder heute noch etwas – suggeriert Conni, bewahrheitet sich bei
manchen Kindern) hin und her, ein Zerrbild von Kindheit. In der
Conni-Welt, das ist fast das Schlimmste, geht es dann aber auch noch
gleichstellungsbeauftragt zu; da hat Conni eine Zahnärztin, da benehmen
sich alle wie aus dem Bürgerliche Gesetzbuch gesprungen - nein, mehr:
Conni scheint ein Produkt der Politpropaganda. Vorbildfamilie 2007. Wer
die offiziöse Welt verstehen will, muss nur lernen, bei „Conni“ zwischen
den Zeilen zu lesen. Die letzten Kinderbücher dieser Art sind längst
vergilbt und stammen aus der scheußlichen DDR. Das war das Land, in dem
verboten wurde, anders zu sein, alles Individuelle verfolgt wurde. Das
Land, in dem es möglich war, den Kindern nasse Putzlappen aufs Gesicht
zu legen, wenn sie nicht alle zum selben Zeitpunkt in den Krippen
eingeschlafen sind. Wird das wieder commonsense? Einfach
weiter „Conni“ lesen! „Conni“ wird es immer geben.
(ma) Das
Vamperl ist so ein kleiner Glücksbringer, der mal wieder nach Schema F
Licht und Freude in das Leben einer einsamen Frau bringt. Dem noch nicht
genug, treibt es nun auch noch sein Unwesen, aber nicht einfach lustig
wie der Pumuckl, sondern nein! Es reißt den
Leuten, eigentlich der
ganzen Gesellschaft die Maske herunter. Und nicht einmal danach gibt es
Frieden für die kindlichen Leser. Das Vamperl verändert die bösen
Erwachsenen obendrein, sie werden plötzlich freundlich und nett. Jede
Geschichte gleich, dazu Unterbrechungen durch
Reim-mich-oder-ich-fress-dich-Verse. Ein Glück wird diese langweilige
Holzhammermoral mit den Kindern in der Schule durchgekaut. Womit ihnen
immerhin kein gutes Buch durch den Schulunterricht verdorben wird.
(lr) Arme Enid Blyton. Hat da in ihrem
verregneten London gesessen und auf einer Schreibmaschine, die noch
krachte und nach Farbbändern roch, Bücher über die britische
Mädchenerziehung geschrieben, kannte die Verhältnisse und wusste,
worüber sie schrieb – und dann kommt der Erfolg! Weit über Blytons Tod
1968 hinaus wollten die Mädchen mehr und mehr, wollten vor allem Mädchen
aus Deutschland mehr und mehr. Sechs Bände von
„Hanni und Nanni“ stammen
wirklich von Enid Blyton, die unzähligen anderen hat eine zunehmende
Anzahl von deutschen Autorinnen und Autorenkollektiven verfasst. In
ihnen stimmt dann auch gar nichts mehr, die Sullivan-Zwillinge müssen
plötzlich in München umsteigen, um zu ihrem Internat zu fahren;
britisches Internatsleben im Voralpenland? Die Fehler überbieten sich
mit den Klischees, und das immer selbe Strickmuster macht selbst aus
schlauen Mädchen Trottel, denen man anscheinend alles vorsetzen kann.
Hätte Enid Blyton doch nur nie damit angefangen.
(lr). Ein Buch, das genauso wenig originell ist wie alles von
Cornelia Funke (die es nicht einmal versteht, ein einziges Buch lang in
schlüssigen Bildern zu bleiben) – das man aber wirklich nicht lesen
muss! Denn es gibt ja „Die Buhbuks und die Zuckerspinne“ von Marc de
Bel. Dem liegt eine ähnliche Idee zugrunde – nur ist es literarisch viel
besser. Und wenn sich jemand wundert, warum Cornelia Funke auch in ihren
Interviews so schwach und platitüdenhaft daherrredet: Das ist ganz im
Stil ihrer Bücher.
(ma). Die erwachsenen Kulturpessimisten müssen seit Jahren zugeben,
dass die Computerkids wider Erwarten doch noch zu Büchern greifen, dass
die Bildschirme in den Kinderzimmern tagelang so dunkel bleiben wie die
Mächte, gegen die Harry Potter sich zu behaupten hat. Sie müssen wie die
verhassten Verwandten, bei denen Harry seit dem Tode seiner Eltern lebt,
einsehen, dass Harry Zauberkräfte hat. Millionen Fans können mitbibbern,
wenn böse Zauberer ihr grausiges Werk vollbringen wollen - und Harry es
verhindert.
Denn Harry ist gut. Darauf ist Verlass wie
auf den klaren Aufbau der Geschichten. Spannung steht an erster Stelle,
ohne öde Belehrung, ohne Wunsch nach einer Aussage. Alle Absurditäten
gab es schon einmal: Werwölfe, geköpfte Gespenster, Hexen, fliegende
Einhörner. Auch alle bekannten Thriller-Zutaten: Unsicherheit, wer auf
welcher Seite steht, Sieg der Charaktervollen, eine kleine Portion
Kitsch. Bewährtes und Neues in der richtigen Mixtur - gut ausgeklügelt,
kaum aus der Hand zu legen. "Harry Potter" fesselt auch Erwachsene.
Warum? Da ist zunächst Rowlings Stil. Der sitzt. Besser kann der Wechsel
von wörtlicher Rede und vorantreibender Handlung nicht vollzogen werden.
Der kurze Hauptsatz bindet den Leser. Die Wortwahl ist nur bei den
Verben variantenreich; sie kümmert sich ganz um das, was geschieht.
Selten kann ein wenig Literatur aufblühen. Normalität, Stolz,
Geheimnisse - darüber wurde schon manches Buch geschrieben. "Harry
Potter" gibt in der Tat eine eigene Antwort. Das Waisenkind, das die
Dursleys aufnehmen mussten, stört ihre auf Unauffälligkeit bedachte
Existenz. Es wird eiskalt behandelt, muss in einem Schrank wohnen und
Tage darin als Strafe verbringen. Eine klare, gute Botschaft: Wer um
jeden Preis 'normal' sein will, verlässt schnell die Normen der
Menschlichkeit.
Doch wir sind in einem Kinderroman. Harry
sitzt im Schrank, weil er die Identifikationsfigur ist. Gemein
behandelt, total verkannt, aber der wahre Held. Das nimmt auch den
Erwachsenen für Harry ein, und fortan gemahnen Harrys Ängste an die
eigenen Kinderängste. Beispiel: Harry sitzt bei der Eröffnungsfeier für
das Zaubererinternat, bei der die Schüler in Klassen gewählt werden.
"Plötzlich überfiel Harry ein schrecklicher Gedanke, so plötzlich, wie
es Gedanken an sich haben, wenn man aufgeregt ist. Was, wenn er gar
nicht gewählt würde? Was, wenn er, den Hut auf dem Kopf, eine Ewigkeit
lang nur dasäße, bis Professor McGonagall ihm den Hut vom Kopf reißen
und erklären würde, offenbar sei ein Irrtum geschehen und er solle doch
besser wieder in den Zug steigen?" Ist schon gefühlsmäßig die volle
Anteilnahme da, fehlt nur noch das Einhaken in die träge gewordene
Fantasie der Erwachsenen. Es gelingt, weil Rowling die reale Welt als
Schablone nimmt, die sie dann übermalt. "Mein Name war schon auf der
Liste für Eton, müsst ihr wissen, und ich kann euch gar nicht sagen, wie
froh ich bin, dass ich dann doch hierher kam." Die britische
Gesellschaft schimmert ebenso hindurch wie die völkerverbindende Suche
nach Freundschaften, wie sie (angeblich) auf Internaten gepflegt werden:
Deswegen können sich viele Kinder für Enid Blyton begeistern. Doch
Rowling knüpft an noch mehr Leseerlebnisse aus der Vergangenheit an. Wer
heute die Rezensionen von Tolkiens "Herr der Ringe" durchgeht, bemerkt
viele Parallelen in den Lobeshymnen, die da angestimmt wurden.
Und die ja recht bekommen haben. Tolkien
ist zu einem der Klassiker der Kinderliteratur geworden. Angesichts der
Verkaufszahlen kann man sich kaum vorstellen, dass "Harry Potter" nicht
auch einen bleibenden Platz einnehmen wird. Da mit weiteren Auflagen zu
rechnen ist, könnten einige Übersetzungsschwächen beseitigt werden. "Es
hat nie keinen umgebracht!" ist im Deutschen ebenso unverständlich wie
"Beleidigt nie keinen!" Lektorieren könnte man auch Sätze wie "Und auf
die Kühler stecken sie kleine Wimpel mit G. W. drauf." " - für Gewaltige
Angeber", sagte Fred." oder "Alles dank euch dreien." Stilistische
Holprigkeiten wie "ein kräftiger Zweig peitschte ihm todbringend
entgegen" zählen wohl zu den Eigenarten der Autorin. Wie die Anflüge von
Kitsch: "Blacks ausgemergeltes Gesicht verzog sich zum ersten wirklichen
Lächeln, das Harry bei ihm gesehen hatte. Es hatte eine verblüffende
Wirkung: als ob ein zehn Jahre jüngerer Mensch hinter der ausgemergelten
Maske zum Vorschein käme."
Über all das darf der Erfolg gern
hinwegtäuschen. Schwerer wiegt das Menschenbild, das Rowling vermittelt.
Es ist mindestens problematisch. In "Harry Potter" sind die Bösen
folgerichtig vor allem mit Bosheit ausgestattet. Die Guten aber
verachten die Bösen auf eine Art, wie es in herben Thrillern üblich ist:
"Harry, diese Kanaille ist der Grund, weshalb du keine Eltern mehr
hast," schnarrte Black, "dieses sich windende Stück Dreck hätte auch
dich ohne mit der Wimper zu zucken sterben lassen. Du hast ihn gehört.
Seine eigene stinkende Haut war ihm mehr wert als deine ganze Familie."
Natürlich, der Held Harry übt trotzdem Nachsicht. Aber warum lesen
Erwachsene solche Sätze? Nur, weil "Harry Potter" spannend ist. Einen
literarischen Wert gibt es nicht. Glücklich das Kind, das in der
Potter-Manie einen klaren Kopf behält und gegen Strom schwimmt. Potter –
nein danke!