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Nr. 35 So gut wie früher! Ursel Scheffler: „Kugelblitz in Hamburg“ Von Anne Spitzner Rubrik: Evergreens
Ein neuer Band „Kommissar Kugelblitz“! Als Kind und als Jugendliche war ich ein Riesenfan dieser Reihe, so hat es mich nun besonders gefreut, als ich den neuesten Teil der Serie, „Kugelblitz in Hamburg“ als Rezensionsexemplar in Händen hielt. Und eins kann ich gleich vorweg schicken: Es hat mir genauso gut gefallen wie früher. In Hamburg hat es Kugelblitz als Leiter der Sonderkommission Mosaik gleich mit einem ganzen Haufen von Kriminalfällen zu tun. Der Name der Sondereinheit ist passend gewählt: Kugelblitz und seine Mitarbeiter setzen viele kleine einzelne Verbrechen zu einem großen Ganzen zusammen, um den Kopf der Bande zu fassen, die hinter all dem steckt. Tatkräftig mit von der Partie sind seine Neffen Martin und Charly und deren Freunde. So ist bei „Kugelblitz in Hamburg“ also alles beim Alten: Kugelblitz löst seinen Fall, und die Leser dürfen Kapitel für Kapitel mitraten, denn auch die gute alte rote Geheimfolie ist noch mit dabei. (Wer sie nicht kennt: Am Ende jedes Kapitels werden dem Leser mehrere Fragen gestellt, die man bei aufmerksamer Lektüre, mit ein bisschen Nachdenken oder ein bisschen Krimi-Wissen beantworten kann. Die Antworten auf diese Fragen erscheinen dann, wenn man die rote „Geheimfolie“ über ein rot gepunktetes Feld legt. Als Kind fand ich das superspannend, und bestimmt ist das auch noch heute so, obwohl man die Antwort auf viele Fragen auch einfach googeln könnte.) Apropos googeln. Ursel Scheffler ist über 80 Jahre alt. Davon merkt man kein bisschen was. Hier wird gegoogelt, gepostet, in die Cloud hochgeladen, hier werden Handys geortet und Selfies geschossen, wie sich das für eine Gruppe von Teenagern respektive Ermittlern auf der Höhe der Zeit ebenso gehört. Trotzdem kommt natürlich auch der gute alte gesunde Menschenverstand noch zur Anwendung. Das Buch spielt, wie der Titel schon sagt, in Hamburg. So jagen Kugelblitz und seine Helfer die Verbrecher in der HafenCity, im alten Elbtunnel und in der Elbphilharmonie. Hamburg wird dabei lebendig geschildert; jeder, der schon einmal da war, wird es wiedererkennen. Außerdem enthält das Buch, nachdem der Böse „gesiebte Luft atmet“ – dass Kugelblitz ihn erwischen würde, war ja wohl von vorneherein klar – noch ein paar Seiten zur Hamburger Geschichte und zu wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt sowie 100 Wörter Hamburgisch, mit denen sich sprachbegeisterte Hobby-Detektive den einen oder anderen neuen Ausdruck zulegen können. Fazit: „Kugelblitz in Hamburg“ ist genau das, was man als Fan der Reihe erwartet hat. Ein neuer Fall, altbewährte Methoden (sowohl bei Kugelblitz als auch bei der roten Folie) und manchmal leichte, manchmal kniffelige Zwischenfragen zum Mitermitteln. Daumen hoch! (ab 10)
Ursel Scheffler: „Kugelblitz in Hamburg“ Schneiderbuch 2018 224 Seiten, 10 Euro ISBN 978-3505141300
Nr. 34 Kein einziger böser Traum Michael Ende: „Das Traumfresserchen“ Von Anne Spitzner
Ein zeitloser Klassiker wurde endlich neu aufgelegt: Der Thienemann Verlag hat eine Neuauflage des Bilderbuchs „Das Traumfresserchen“ von Michael Ende mit Bildern von Annegert Fuchshuber herausgegeben. Die Geschichte ist so märchenhaft wie wunderschön: Im Schlummerland lebt die Prinzessin Schlafittchen, die Nacht für Nacht von bösen Träumen heimgesucht wird. Ihr verzweifelter Vater macht sich auf die Suche nach einem Heilmittel – und findet das Traumfresserchen, einen „Traum-Igel“, der wie die Igel im Garten das Ungeziefer unter den Träumen frisst. Mit einem Gedicht muss man das Traumfresserchen einladen, die bösen Träume aufzufuttern, denn es kann nur kommen, wenn es gerufen wird. Dann aber tut es seine Arbeit so gründlich, dass Prinzessin Schlafittchen keinen einzigen bösen Traum mehr hat. Die Vorstellung vom Traumfresserchen hat mich fast meine ganze Kindheit hindurch begleitet (ich bekam sogar einmal vorgeworfen, ich hätte die Geschichte abgeschrieben, weil ich sie in der Grundschule beinahe wortwörtlich nacherzählen konnte!), und ich finde die Idee nach wie vor umwerfend. Ein Traum-Igel, der sich an den bösen Träumen gütlich tut, vor denen wahrscheinlich jedes Kind immer mal wieder Angst hat, und die Sicherheit, dieses Traumfresserchen mit dem Gedicht herbeirufen zu können – toll! Die Bilder von Annegert Fuchshuber verleihen der Geschichte eine weitere Dimension, bereichern sie so sehr, wie das nur wirklich gute Illustratoren können. Sie gibt dem Traumfresserchen eine Gestalt, die irgendwo zwischen einem Irrwicht und einem Igel liegt, und fängt die Stimmung der Geschichte perfekt ein: Die Sorge von Schlafittchens Eltern, die weite Welt, die der König auf der Suche nach einem Heilmittel durchstreift, und die missmutige Ungeduld des Traumfresserchens mit den Menschen, den „Umstandskrämern“. Dieses Buch eignet sich perfekt zum Vorlesen vor dem Schlafengehen, und ich freue mich schon darauf, es mit meinem Sohn zu teilen, wie es meine Mutter mit uns geteilt hat. Die Neuauflage dieser wundervollen Geschichte ist mehr als angebracht. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass dieses Buch in jedes Kinderbücherregal gehört. (Ab 4)
Michael Ende: „Das Traumfresserchen“ Mit Bildern von Annegert Fuchshuber Thienemann 38. Auflage seit 1978 32 Seiten, Euro 12,99 ISBN 978-3522415002
Nr. 33 Anhängsel Axel Scheffler: Das Grüffelokind Von Susan Müller
Wer kennt ihn nicht inzwischen, den Grüffelo? Das Tier, das eigentlich der Phantasie der Maus entspringt und so furchteinflößend aussieht. Und doch jedem Kind Freude bringt! Jetzt kommt da noch das Grüffelokind, welches sich unheimlich für die Erzählung des Grüffelo interessiert. Und als dieser schläft, begibt es sich heimlich in den Wald. Es will die Maus kennenlernen. Eine neckische Erzählung, angehängt an den Bestseller Grüffelo mit guten, das „Original“ aufgreifenden Bildern, passend für die Zielgruppe. (Ab 3)
Axel Scheffler / Julia Donaldson: Das Grüffelokind Aus dem Englischen von Monika Osberghaus Beltz 2013 30 Seiten, Euro 8,95 ISBN: 3-407-79362-6
Nr. 32 Ein Farbenhimmel Sue Scullard: "Miss Harriets Reise mit dem Drachen" und "Miss Harriets Ballonfahrt um die Welt" Von Siri Kornfeld
Die Freude ist groß: Mit „Miss Harriets Reise mit dem Drachen“ und „Miss Harriets Ballonfahrt um die Welt“ sind zwei Bilderbuchklassiker neu aufgelegt worden, die Lebensfreude und Farbenlust auch den Kindern der Gegenwart in die kalten 10er Jahre bringen. Nicht alle Eltern (besonders die heute älteren Eltern nicht, und auch für sie ist es eine echte Entdeckung): Der erste Band erzählt, wie Miss Harriet, eine wilde und mutige Forschungsreisende, endlich einen Drachen entdecken will. Nach einer recht eigenwilligen Reise mit einem Ballon entdeckt sie ihn dann auch, sowie das Ei, das im Laufe der Handlung geklaut wird. Beides nimmt sie mit zurück nach England, wo sie ihre Reise begann. Dort wird der Drache gegen den Willen Miss Harriets in einem Käfig eingesperrt - doch nicht umsonst ist Miss Harriet so mutig: Alles endet gut, für das Ei und für den Drachen. Eine besondere Finesse ist der Rückgriff auf eine Erinnerung aus Miss Harriets Kindheit, die eine tragende Rolle spielt. Die Illustrationen passen: Phantasievoll, außerdem sehr bunt und knallig. Man kann immer wieder etwas darauf entdecken. Die Sprache: Geschrieben in einer sehr schönen, aber doch verständlichen Ausdrucksform. Kleine Notizen aus der Sicht von Miss Harriet machen die Hauptfigur so richtig lebendig. Im zweiten Band gibt es noch weitere Hauptpersonen, nämlich Miss Harriets Neffen Wilhelm und ihre Nichte Rebekka. Die beiden organisieren eine Ballonwettfahrt um die Welt. Damit unterscheiden sich die beiden Miss-Harriet-Bände deutlich, da ja Miss Harriet im ersten Band Forschungsreisende ist, hier aber eine Weltreise rein zum Spaß unternimmt. Die Ballonwettfahrt um die Welt mit siebenundsechzig Teilnehmern ist auch insofern eine für ein Bilderbuch etwas schwierige Idee, weil der Kampf der Nationen Grundlage ist, also deutsche und englische und französische etc. Ballonfahrer gegeneinander antreten. Alles läuft zwar fair ab, es gibt nur gute Verlierer, aber der Beigeschmack des Textes ist etwas fad. Zumal der Sieger feststeht: Selbstverständlich Miss Harriet und ihre kleinen Verwandten. Das hätte die Figur Miss Harriet gar nicht nötig gehabt. Die Kinder spülen das Charakteristische und Klare weich, und die Spaßreise tut ein Übriges. Vielleicht ist es aber nur das Lied des fast immer schlechteren zweiten Bandes, das wir hier wieder singen müssen. Wären da nicht die Illustrationen! Sie sind auch im Ballonfahrt-Band eine Betrachtung –ach was, viele Betrachtungen- wert, ein Farbenmeer! (besser: Ein Farbenhimmel) Detaillierte Phantasiezeichnungen, vollkommen kitschfreie Zone. Gut, dass es diese beiden Bücher wieder gibt.
Sue Scullard: "Miss Harriets Reise mit dem Drachen" Aus dem Englischen von Hildegard Krahé Lappan 2005 40 Seiten, € 12,95 ISBN 978-3830310976
Sue Scullard: "Miss Harriets Ballonfahrt um die Welt" Lappan 2012 32 Seiten, € 12,95 ISBN 978-3830311270
Nr. 31 Wundervolle Geschichten für Kinder Gianni Rodari: "Gutenachtgeschichten am Telefon" Von Ada Bieber
Gianni Rodari war einer der bekanntesten Kinderbuchautoren Italiens und hat die Kinder- und Jugendliteratur im 20. Jahrhundert wie kein anderer geprägt. Seine Erzählsammlung „Gutenachtgeschichten am Telefon“ liegt nun in einer Neuübersetzung im Fischer Verlag in der Reihe „Die Bücher mit dem blauen Band“ vor. Die kurze Rahmung schafft eine Klammer, innerhalb derer kurze, witzige und kluge Geschichten ihren Platz finden, die sich sowohl zum Vorlesen als auch auch zum Selberlesen eignen. Es handelt sich um Nonsense-Geschichten, die allerdings nicht nur unterhalten, sondern auch in ihrer parabelhaften Anlage nachdenklich machen können, da sie zwar phantastisch daherkommen, aber stets wahr sind, auch wenn sie im eigentlichen Sinne nicht stimmen können. In der gekonnten Verwebung von Phantastik- und Nonsens-Elementen mit tiefgründigen Aussagen über die Welt liegt gerade die große Stärke der Geschichten. So tauchen en passant Sätze wie „Die Träne eines frechen Kindes wiegt weniger als der Wind, die eines hungrigen Kindes wiegt mehr als die ganze Erde“ auf und lenken den Blick neben allem Witzigen auf das wirklich Wichtige.
Rodari hat es sich zudem nicht nehmen lassen, implizit in witziger oder kritischer Weise mit bekannten Werken der Weltliteratur oder Figuren bestimmter Genres zu spielen. Dabei fallen insbesondere die Reisegeschichten des kleinen Hans Taugenichts oder die Geschichten über „Alice Purzelchen“ in Auge. Alice erinnert nicht nur an ihr berühmtes Vorbild, weil sie „immer und überall hineinfällt“, sondern auch weil sich offenbar Größenverhältnisse verschieben und sie so klein ist, dass sie überall verschwinden kann oder gar Metamorphosen durchleben könnte. Doch dann erinnert sich die kleine Alice, dass sie doch lieber zu ihrer sie liebenden Familie zurückkehrt, und das Spiel mit der Sprache und der Phantasie findet einen harmonischen Ausklang. Die Geschichte „Zahlen erfinden“ erinnert an das „Hexeneinmaleins“ in Goethes „Faust“ - und die Comicmaus an Walt Disneys Mickey Mouse. Diese ist jedoch, als sie auch dem Comicheft in die Welt purzelt, beinahe sprachlos und kann lediglich Geräusche und verzerrte Laute von sich geben, sodass sie – obwohl eigentlich der natürliche Feind – nur in einer Comickatze einen Gefährten findet. Diese witzige Geschichte ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass Rodari wichtige Diskurse aufgreift, allerdings so griffig, dass Kinder einen großen Spaß an solchen Auseinandersetzungen haben.
Die „Gutenachtgeschichten“ gehören zur großen Kinderliteratur des 20. Jahrhunderts und erinnern an Texte von Krüss oder Nöstlinger und sollten auf keinen Fall im Bücherregal eines Kinderzimmers fehlen! Am meisten Spaß werden machen sie jedoch, wenn sie abends vorgelesen werden und sie zu tatsächlichen Gutenachtgeschichten werden ... (Ab 5)
Gianni Rodari: "Gutenachtgeschichten am Telefon" Aus dem Italienischen von Anke Schimming Mit Illustrationen von Anke Kuhl Fischer Schatzinsel 2012 208 Seiten, € 14,99 ISBN 978-3-596-85481-3
Nr. 30 Kindheit und Abenteuer: Das beste "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" in der diogenes-Ausgabe Von Thomas Lang
Tom Sawyer und Huck Finn, nun zwei Jungs aus der weltliterarisch ersten Garde, man braucht nicht viel zu sagen. Das amerikanische Original, vielleicht nur so viel, ist für den normal sterblichen unenglischen Europäer unlesbar. Vollgepumpt mit Slang und Dialektismen, ein einziges Gemurmel des Mississippi. Das mutet sich kaum ein Erwachsener zu und, auch wenn wir sowohl von Kindheit als auch von Abenteuer keine Ahnung mehr haben (oder uns einreden lassen, davon keine Ahnung mehr zu haben), mutet es hoffentlich auch keiner der dauerfrühgeförderten nächsten Generation zu. Also eine deutsche Ausgabe! Es gab vor allem zwei Ausgaben zu lesen für mich, um festzustellen, welche es denn sein solle (Lore Krüger -1914 in Magdeburg geboren, 1933 geflüchtet, seit 1941 in den USA, ab 1946 in Ost-Berlin- hat die besprochene Übersetzung geleistet (1921 erstmals erschienen); eine für jugendliche Leser gut geeignete Fassung; die andere ernstzunehmende und treffsichere ist von Andreas Nohl (bei Hanser erschienen; und für den gereiften Twain-Leser passend) und um festzustellen, welche Ausgabe die am schönsten illustrierte es denn sein solle (das Hanser-Buch in Dünndruck erfüllt bibliophile Wünsche, hat aber keine Illustrationen - zielgruppengerecht: siehe oben; Tatjana Hauptmann fängt in ihren Bildern die Abenteuerromantik ein, und das im Schuber, in zwei Bänden und in Halbleinen), und ich tat es, las und las. Kindheit und Abenteuer! Mark Twain erzählt davon und gehört einfach dazu; ein Begleiter durch diese spannende Zeit. Ohne geht es nicht, da fehlte etwas. Um es kurz zu machen: Kein Tag ohne Twain! (Ab 10)
Mark Twain: "Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn" 2 Bände, in Halbleinen Aus dem Englischen von Lore Krüger Mit Illustrationen von Tatjana Hauptmann Diogenes Verlag 2012 816 Seiten, Euro 29,90 ISBN 978-3-257-00890-6
Die Lebenserwartung des Krokodils Hodeir / Ungerer: Warwick und die 3 Flaschen Von Eva Burghausen
„Warwick und die 3 Flaschen“ stammt aus einer Zeit, als die Kinderliteratur versucht hat, den Kindern mehr als flauschige Bärchenbilder vorzusetzen. Deswegen geht man an ein solches Buch -1967 erstmals erschienen- nicht nur wegen der großen Namen, die es geschaffen haben, anders heran. Doch geübt in Stumpfsinn, sucht man zugleich auch nach dem „tieferen“ Sinn. Wenn man dann fertig gesucht hat und sich locker macht, bleibt festzustellen: „Warwick“ ist ein Kinderbuch, einfach nur und doch so sehr. Es macht Spaß, weil es frei von Vorgaben ist, solcher der Pädagogik stellt man fest, dass es einfach nur ein Kinderbuch ist. Das macht Spaß, weil es frei von Vorgaben ist, Weder Neue-Pädagogik-Ideologien von früher noch „Ich muss früh gefördert werden, ist das toll“- Gehirnwäschen von heute. Einfach für Kinder! Die Story: Zwei Krokodile bekommen Besuch aus Schottland. Das Besuchskrokodil ist frech, hält sich nicht an die Regeln und die friedliche Koexistenz, die die alternden Gastgeberkrokodile mit ihrer Umgebung mühsam ausgehandelt haben, beißt dem Postboten den Bart ab, fährt beleidigt nach Hause. Aufgehängt ist das alles an der berühmten schottischen Brühe, die die beiden Krokodile vom Gast geschenkt kriegen wollen, aber nicht kriegen. Das ist Anfang und Ende der Geschichte - nix mit der schottischen Brühe, der Gast trinkt alles allein aus. Illustriert ist das besitzenswerte Buch natürlich im Kontext der Zeit, aber egal - wissen wir ja heute, wie viele Fehlentwicklungen sich breit gemacht haben. Die Bilder zu „Warwick“ sind kinderfreundlich, bunt, aber nicht überladen, sind schön, sind etwas für Kinderaugen. Wie das ganze Buch. (Ab 4)
Andre Hodeir: Warwick und die 3 Flaschen Mit Illustrationen von Tomi Ungerer 32 Seiten, Euro 16,90 Diogenes 2010 ISBN 978-3257005141
... glücklich entgegenkommt Carlo Collodi: „Pinocchio“, illustriert und übersetzt von Mario Grasso Von Thomas Lang
Bei diesem fabelhaft schönen Buch muss man eher über den Illustrator sprechen als über den Autor. Der nämlich ist Carlo Collodi, der „Pinocchio“ geschrieben hat; an der Bedeutung von Buch und Schöpfer gibt es wenig Zweifel. An den Bildern zu dieser „Pinocchio“-Ausgabe sind auch keine nötig: Mario Grasso hat klassische Illustrationen geschaffen, die sich geschmeidig in die Geschichte vom Holzfigürchen schmiegen. Die Besonderheit, dass Grasso -der 1941 in Mailand zur Welt kam und im Alter von acht nach Basel kam; er ist Schweizer und Italiener- das Buch auch übersetzt hat, ist ein Umstand, der dem Gesamtbild des Buches glücklich entgegenkommt. Die Nähe von Text und Bild ist selten so eng und zuträglich wie hier. Dem Band merkt man seinen Massenprodukt-Charakter kaum an; in Halbleinen gebunden, großformatig, gutes Papier, eine edle Ausgabe für Leute, denen Haptik und Optik am Herzen liegen. Einzig die Lesefreude trübend: Die Kapitel sind zweispaltig gesetzt - für Kinder ist das schwierig zu lesen. Aber der Gesamteindruck bleibt. Eine ideale Klassikerausgabe.
Carlo Collodi: Die Abenteuer des Pinocchio Übersetzt und illustriert von Mario Grasso Lappan Verlag 2011 173 Seiten, Euro 19,95 ISBN 978-3830311508
Einfach Kind sein Florence Parry Heide: „Schorschi schrumpft und zwei weitere Schorschi-Geschichten“ Von Eva Burghausen
Es ist ein Klassiker, entstanden in den siebziger Jahren in den USA, als ein Illustrator wie Edward Gorey (1929 - 2000) nicht pink und lila und ohne 3 D-Effekte zeichnen konnte, schwarzweiß und ohne Effekte. Der Text zu diesen hervorragenden Bildern (heute, aus dem Rückblick müsste man wohl so gewichten) stammt von der 1919 geborenen Florence Parry Heide, der mit ihren „Schorschi“-Geschichten ein Welterfolg gelang. Ein Geheimnis dieser sehr ernstzunehmenden Reihe ist es, wie viel die Hauptfigur, der Junge Schorschi (die Namenswahl in der Übersetzung - aus heutiger Sicht etwas unglücklich, weil regional, - und, wo nicht üblich, albern) Autorin, Illustrator und Leser bedeutet. Es klingt absurd, sollte doch jede Hauptfigur Bedeutung haben. Aber in der Kinderliteratur - mehr denn je der heutigen - werden die Hauptfiguren benutzt, ihre Freiheit nicht akzeptiert, immer eingeschränkt und wenn das nicht, so doch begründet. Man hat Angst vor dem freien Kind, fürchtet, es wird sich zu keinen Leistungen bringen lassen. Im Unterschied zu Schorschi: Er darf sein, wie er ist. Und sogar anders werden (zum Beispiel schrumpfen). Ein Buch, das Kindern von heute viel geben kann. (Ab 8 und zum Vorlesen)
Florence Parry Heide: „Schorschi schrumpft und zwei weitere Schorschi-Geschichten“ Mit Illustrationen von Edward Gorey Aus dem Amerikanischen von Hans Wollschläger und Dorothee Asendorf Diogenes 2008 192 S., Euro 16,90 ISBN 978-3257011388
Kind darf basteln F.K. Waechter: "Opas Hucke Mitmachbuch" und "Die Kronenklauer"
Friedrich Karl Waechter: „Opa Huckes Mitmachbuch“ Diogenes Verlag 2010 131 Seiten, Euro 16,90 ISBN 978-3257011500
Friedrich Karl Waechter: „Die Kronenklauer“ Diogenes Verlag 2010 188 Seiten, Euro 18,90 ISBN 978-3257011319
(librikon) Ob die Zeit für FK Waechters Bücher für Kinder wieder gekommen ist? Jedenfalls ist hohe Zeit dafür! Für Kinder ist es mehr als erholsam, sich mit Büchern wie „Opa Huckes Mitmachkabinett“ und „Die Kronenklauer“ zu beschäftigen; ja, es könnte ein Rettungsanker sein. Mit diesen Büchern soll –aus heutiger Sicht: endlich einmal – kein Effekt bei den jungen Lesern erzielt werden. Sie sollen Spaß machen, sie sollen der Kreativität von Kindern entgegenkommen und nicht an ihnen zerren. Sie lassen Freiheit. Dafür sind sie, müssen sie sein: Vollkommen unverklemmt. Es gibt nackte Frauen, es wird geraucht und Alkohol getrunken. Von Kindern wird einfach nur erwartet, mitten in diesem Buch kindliche Freuden zu empfinden, und das gelingt. Dass diese Goldenen Siebziger Jahre der Pädagogik verpufft sind, dass sie (es wird irgendwann eine Untersuchung wert sein) vielleicht sogar Wegbereiter für den kinderzerstörerischen Leistungs- und Frühförderungswahn sind. Es könnte sein. Aber diese Bücher stehen für die Achtung vor dem Kindlichen. Es darf frei gebastelt, gemalt, zerschnitten, gerätselt werden. Der diogenes Verlag hat zwei sehr schöne Bücher aufgelegt, und es fällt natürlich schwer, sie einfach zu zerlegen. Es ist ein schönes Hängen am Buch in einer Überraschungseier-Kreativität, wo man auspackt, zusammenstöpselt und wegschmeißt. Diese FKWaechter-Eisberge, an denen die Hirnforscher und Lernjünger zerschellen, wecken die Liebe zum Buch. Keine konditionierte, sondern eine individuelle.
Der Rhythmus stimmt Friedrich Feld: „Lok 1414 geht auf Urlaub“ Von Thomas Lang
Friedrich Feld: „Lok 1414 geht auf Urlaub“ Mit Bildern von Rolf Rettich Boje-Verlag 2010 64 Seiten, Euro 7,95 ISBN: 978-3414821171
Eine Lok fährt immer zwischen Alt- und Neustadt hin und her. Eines Tages wird sie immer langsamer, immer langsamer, schließlich bleibt sie stehen. Da hört Alfred, der sie fährt, wie die seit 61 Jahren treu dienende Lok jammert und sagt, sie könne nicht mehr. Das erste Mal in all den Jahren! Alfreds Entscheidung steht schnell fest. Er füllt die Kohlen nach und lässt den Schuppen offen, damit sie auf Urlaub gehen kann. Alfred droht die Entlassung – denn die Lok 1414 fährt wirklich ab. Führerlos ist sie unterwegs. Ein schneller Zug kommt hinter ihr her, sie muss vor ihr wegrasen. Es reicht nicht, sie ist zu langsam, und nun weicht sie aus, weg von den Schienen. Hinein in ein Abenteuer, von dem wirklich nicht zu sagen ist, dass man erahnen könnte, was passiert. „Lok 1414“ ist 1951 erschienen, das Büchlein (das ganze große Abenteuer hat 59 Seiten) hat dann bis in die sechziger, siebziger Jahre hinein massenweise Kinder begeistert (natürlich auch per Schallplatte, es gab eine qualitätsvolle Hörversion). Der Vergessenheit fiel es dennoch anheim, und nun wird es wieder verlegt, weil die Generation, die es als Kind kannte, sich erinnern möchte. Friedrich Feld (1902 bis 1987) war ein geübter Kinderbuchautor und ein honorabler Mensch (die Nazizeit musste der Österreicher in England verbringen), und dieses Eisenbahn-Buch, das eine kleine Geschichte der Eisenbahnen in der deutschsprachigen Kinderliteratur begründen könnte, hat nur Miniaturangestaubtheiten in manchen Formulierungen. Als historisches Buch ist es nicht zu lesen. Lok 1414 hat einfach eine tolle Geschichte, deren Erzählrhythmus stimmt. (ab 6)
Kein sehr ausgeglichenes Verhältnis zwischen Bild und Text Oscar Wilde / Lisbeth Zwerger: Der selbstsüchtige Riese Von Steffen Wunder
Oscar Wilde: Der selbstsüchtige Riese Mit Illustrationen von Lisbeth Zwerger Minedition 2010 32 S., Euro 14,95 ISBN 978-3865661166
Jeden Tag spielen die Kinder nach der Schule im Garten des Riesen. Dieser ist bei seinem Freund, dem Menschenfresser von Cornwall, bei einem Besuch hängen geblieben. Als er nach sieben Jahren wieder zurückkommt, vertreibt er die Kinder aus seinem Garten und errichtet eine Mauer um ihn. Von nun an ist es dort immer Winter. Während sich außerhalb der Wandel der Jahreszeiten in all seiner Pracht vollzieht, herrschen Frost und Kälte im Garten des Riesen. Eines Tages bricht überraschenderweise der Frühling wieder ein. Der Grund dafür ist, dass die Kinder durch ein Loch in der Mauer wieder in den Garten gekommen sind. Der Riese erkennt seine Selbstsucht und beschließt die Mauer einzureißen. Als die Kinder den Riesen sehen, rennen sie schnell weg. Nur ein kleiner Junge, der den Riesen nicht sehen kann, weil er Tränen in den Augen hat, bleibt. Er will einen Baum besteigen, schafft es aber noch nicht. Der Riese hilft ihm. Nachdem das die Kinder gesehen haben, kommen sie wieder zurück. Von nun an steht der Garten den Kindern als Spielplatz zur Verfügung, doch der kleine Junge ist verschwunden. Die anderen Kinder sagen, sie haben ihn nie gekannt. Die Jahre vergehen und der Riese wird alt. Eines Tages sieht er den Jungen in seinem Garten. Er hat blutige Male an Händen und Füßen, Wunden der Liebe. Wie ihn der Riese in seinem Garten spielen ließ, will er ihn jetzt seinen Garten, das Paradies, zeigen. Darauf stirbt der Riese. Die international angesehene Illustratorin Lisbeth Zwerger bebildert oft klassische Geschichten, besonders Märchen, und gibt ihnen somit neuen Glanz. Mit Oscar Wildes „Der selbstsüchtige Riese“ hat sie eine gute Wahl getroffen. Die Geschichte ist sehr berührend und geht dem Leser ebenso an das Herz wie die Erkenntnis dem Riesen. Zudem ist sie durch die Symbole des ewigen Winters für die Herzenskälte und der christlichen Symbolik für die ewige Liebe anspruchsvoll und somit auch für ältere Leser interessant. Da diese Symbole einfach zu verstehen sind, können sie aber auch Kindern erklärt werden und ihnen somit nahegelegt werden. Dadurch, dass Zwerger den Riesen nicht als ein Fabelwesen, sondern als einen großen, alten Mann darstellt, öffnet sie eine zweite Ebene. Sie überträgt die Griesgrämigkeit des Riesen auf alltägliche Menschen. Somit kann man sich gut mit der Situation identifizieren und sich hineinfühlen. Interessant ist auch, dass die Illustratorin viel mit leeren Flächen arbeitet. Nicht nur weiße, sondern auch blasse oder helle Farben bilden die aquarellartigen Hintergründe. Landschaften sind, wenn überhaupt, nur durch feine Striche angedeutet. Die meisten Kulissen und Requisiten sind weiß, so als hätte man sie vergessen auszumalen. Aber gerade dadurch fallen sie besonders auf und bekommen ihren außergewöhnlichen Stil. Die Figuren sind sehr zurückhaltend koloriert. Es werden nur wenige, sehr unauffällige Farben verwendet. Diese blassen, kraftlosen Farben passen gut zur winterlichen Stimmung, um die es in der Geschichte hauptsächlich geht. Schade ist, dass die Bilder wenig aussagen, da sie nicht viel abbilden. Sie sind ohne den Text nur schwer verständlich und somit für kleinere Kinder unzugänglich. Sie erzählen nicht die Geschichte, sondern begleiten nur den Text, auch wenn sie den ein oder anderen Aspekt belichten, der die Geschichte in eine etwas modernere Richtung lenkt, wie etwa die Darstellung des Riesen. Viele schöne Momente der Geschichte, beispielsweise das Gespräch zwischen dem Riesen und dem Jungen, sind leider nicht abgebildet. Daher lebt das Bilderbuch von seinem Text. Ein etwas ausgeglicheneres Zusammenspiel von Bildsprache und Text wäre also wünschenswert. „Der selbstsüchtige Riese“ ist ein durchaus anspruchsvolles Bilderbuch für Leser, die sich auch an außergewöhnlichen Bildern begeistern können. Es erzählt eine schöne Geschichte, die nur teilweise so umgesetzt wird, wie es ihr zustehen sollte.
Franz Hohler: In einem Schloss in Schottland lebte einmal ein junges Gespenst
Für immer in Schottland Franz Hohler: „In einem Schloss in Schottland lebte einmal ein junges Gespenst“
(librikon) Ein kleines Gespenst schafft es einfach nicht, gruselig zu sein. Niemand erschreckt sich vor ihm. Was aber soll das für ein Gespenst sein, dass niemandem Angst einjagt? Die Eltern sind verzweifelt. Dann die Lösung: Was es von der Natur nicht mitbekommen hat, das muss es also lernen! Also nach Schottland, in ein Spukschloss, zu einem gruseligen Lehrmeister. Dort reist es hin, und immer wenn es im Schloss dem alten Gespenst begegnet, schreit dieses ohrenbetäubend, grauenhaft – ganz klar, dass das ganze Dorf sich fürchterlich fürchtet. Das alte Gespenst – es hat, das ist das überraschende Ergebnis, selber unbändige Angst. Durch seinen Gast wird ihm diese genommen, die Dorfbewohner fassen Vertrauen, es gibt am Ende ein großes Fest auf dem Schloss, und das kleine Gespenst fragt seine Eltern, ob es für immer in Schottland bleiben darf. Kindern macht eine solche Geschichte große Freude. Nichts ist überfrachtet, es wird nicht alles erklärt, warum man lacht oder warum man sich erschrickt, das ist eben so. In Kombination mit den sehr originellen Illustrationen, die in den siebziger Jahren (das Buch ist 1979) mal up-to-date waren, mit Kindern aber immer noch gut anzuschauen sind, ist es ein wahrer Evergreeen.
Alexander Alan Milne: Pu der Bär
Ohne moralische Plattitüden: Winnie-the-Pooh Von Tanja Lindauer
"Oh, wie wohl wär mir am Morgen
"Hier kommt nun Eduard Bär die Treppe herunter, rumpeldipumpel, auf dem Hinterkopf, hinter Christopher Robin. Es ist dies, soweit er weiß, die einzige Art treppab zu gehen, aber manchmal hat er das Gefühl, als gäbe es in Wirklichkeit noch eine andere Art... Jedenfalls ist er jetzt unten angekommen und bereit, dir vorgestellt zu werden. Winnie-der-Pu." So beginnen die Erzählungen über die Abenteuer des mittlerweile über 80 Jahre alten Bären. Pu der Bär, oder auch Winnie der Pu, der die Treppe runterrumpelt und -pumpelt, ist ein verfressener, etwas einfältiger aber liebenswerter Bär, der schon von Beginn an die Herzen der Kinder, und auch so manches Erwachsenen, im Sturm erobert hat. Pate für den honigversessenen Bären war das Stofftier von Milnes Sohn Christopher Robin. Die Geschichten um Christopher Robin, seinem Bären und den Tieren aus dem Hundert-Morgen-Wald sind abwechslungsreich und beinhalten einige Abenteuer, in dem nicht selten ein Topf Honig zentrale Bedeutung hat. Schon in der ersten Episode wird gezeigt, was der kleine Bär alles für seine Lieblingsspeise Honig auf sich nimmt. So wälzt sich Pu der Bär im Dreck, um als schwarzes Wölkchen vor blauem Himmel getarnt mit einem Ballon zu einem Baumwipfel zu schweben. Denn dort ist ein Bienenstock voll mit dem köstlichen süßen Gold versteckt. Natürlich gelingt Pu das Vorhaben nicht: Pu kommt an den Stock nicht heran und er muss von Christopher Robin befreit werden. Aber nicht nur der Honig gibt Anlässe zu neuen „Expiletionen“ auch gefährliche Heffalumps müssen aufgespürt werden, auch wenn eigentlich keiner so genau weiß, wie ein Heffalump eigentlich aussieht.....Bei seinen Abenteuern wird der Bär von Christopher Robin und den Tieren aus dem Hundert-Morgen-Wald begleitet. Vor allem das ängstliche Schweinchen Ferkel ist trotz der „großen Gefahren“ die überall lauern, stets an seiner Seite. Aber auch die anderen Tiere, wie der miesepetrige Esel „I-Ah“, der seinen Schwanz verliert und der großmäulige „Tieger“ und die schlaue „Oile“ sind immer wieder für ein Abenteuer zu haben. Die vielen Nonsense-Dialoge, Reime und Lieder sorgen für jede Menge Spaß und laden den Leser immer wieder aufs Neue zum Lachen und Schmunzeln ein. Neben Pus Reimen (beispielsweise „Der Schnee, der SCHNEE-tideli-pom“) sorgen Neologismen (Heffalumps) oder falsch geschrieben Wörter für einen weiteren Spaßfaktor. Die Gefahren, die es zu bezwingen gilt, sind etwa Unwetter oder Heffalumps. Dabei kommt natürlich niemand ernsthaft zu Schaden. Die Abenteuer sind dabei mit viel Gespür für die kindliche Imaginationskraft, einer guten Portion Ironie und sprachlicher Verspieltheit geschrieben. Kleine Schwächen, die jeder kennt, werden auch bei den Tieren des Hundert-Morgen-Waldes thematisiert: Eitelkeit, Verfressenheit, schlechte Laune. Hiervon können sich auch Pu und seine Freunde nicht freisprechen, aber durch Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft werden solche Eigenschaften wieder ausgeglichen. Auch wenn I-Ah beispielsweise immer schlecht gelaunt ist, für die Freunde ist es selbstverständlich, dass sie ihm bei der Suche nach seinem Schwanz helfen. Denn wahre Freunde helfen sich immer! Aber moralische Plattitüden und einen erhobenen Zeigefinger wird man in diesen Erzählungen dennoch vergeblich suchen. Denn nur eines war dem Autor wichtig: Dass Kinder auch Kinder sein dürfen! Und auch Erwachsene können bei der Lektüre das Kind in sich wiederentdecken.
Die
Rezensentin ist freie Redakteurin und Übersetzerin in Bonn.
Nr. 21 Annie M.G. Schmidt Wiplala
Anni M.G. Schmidt: Wiplala – kannst Du zaubern? Mit Illustrationen von Philip Hopman Aus dem Niederländischen von Sanne und Ulf Daum Boje-Verlag 2009 102 S., Euro 14,95 ISBN: 978-3414821713
Ein absoluter Klassiker Annie M.G. Schmidt: „Wiplala – Kannst du zaubern?“ Von David Schmidhofer
Die Neuauflage dieses Klassikers der 1995 verstorbenen niederländischen Kinderbuchautorin von Weltruhm ist ausgesprochen ansprechend gestaltet. Ein bunter, stabiler Einband, die starken Seiten und die zahlreichen Illustrationen von Philip Hopman tragen dazu bei. Ein richtiges Kinderbuch eben, an dessen literarischer Qualität auch bei der äußeren Gestaltung kein Zweifel gelassen wird. Ein verregneter Tag, ein viel beschäftigter Vater und zwei aufgeweckte Kinder. „‚Wir haben ein langweiliges Leben‘, seufzte Nella Della. ‚Es geschieht zu wenig‘“. Doch kurz darauf geschieht etwas, was man wahrlich nicht mehr langweilig finden kann. Ein Zwerg, genauer gesagt ein Wiplala, tritt in das Leben der Familie und bringt es gehörig durcheinander. Denn Wiplala kann zaubern, besser gesagt er kann „tinkeln“. Allerdings nicht besonders gut. Und das ist der Anfang eines Abenteuers. Nach einigen Zauberunfällen, bei denen Wiplala den Vater, die Katze und den Dichter Arthur Hollidee versteinert, passiert das Schicksalhafte: Wiplala verwandelt die ganze Familie in Zwerge. Leider kann er sie nicht mehr zurückverwandeln, weshalb sich die vier wohl oder übel an die neue Situation anpassen müssen. Ein Leben in der alten Wohnung kommt nicht mehr in Frage, denn sie wurden bereits entdeckt und haben Angst, für Geld vorgeführt oder wissenschaftlich untersucht zu werden. Die vier sind nun ständig auf der Flucht. Sie fliegen auf Tauben, reiten auf Katzen und Enten und werden in Manteltaschen und Aktenkoffern mitgenommen. Sie essen aus Puppengeschirr, fahren mit der Spielzeugeisenbahn, schlafen in fremden Häusern und naschen sich durch einen Delikatessenladen. Dabei lernen sie die Welt mit anderen Augen kennen, denn das Leben als Zwerg bringt auch viele Schwierigkeiten mit sich. Ständig muss man sich verstecken, Haustiere werden zur Gefahr und wenn man Hunger hat, kann man sich nicht einfach etwas kaufen. Wiplalas begrenzte Zauberkünste sind ihnen dabei nicht immer eine Hilfe. Doch alles, was Wiplala tut - und scheint es anfangs noch so verhängnisvoll zu sein - wendet sich letztendlich zum Guten. Der erfolglose und unbekannte Dichter Arthur Hollidee gelangt, nachdem ihn Wiplala versteinert hat, zu unerwarteten Ehren. Ein sehr krankes Kind, bei dem die Zwergenfamilie Unterschlupf findet, wird wieder gesund. Und auch die Verwandlung der Familie kann Wiplala schließlich wieder rückgängig machen. Wiplala ist der chaotische Gegenpol zum braven, korrekten und etwas realitätsfernen Vater, der selbst in den größten Schwierigkeiten noch darüber nachdenkt, ob das, was er tut, überhaupt erlaubt ist, während Wiplala in kindlicher Sorglosigkeit immer genau das tut, was ihm gerade in den Sinn kommt. Beide Charaktere werden sympathisch und liebenswert dargestellt. Doch auch böse Menschen kommen in der Geschichte vor: Der Dieb Rikus Rel und die noblen Damen Adele und Luise. Leichtsinnig wie Wiplala, korrekt wie der Vater, ausgestoßen wie Rikus Rel oder bürgerlich wie die noblen Damen – ob ein Mensch der Norm entspricht oder nicht , sagt letztlich nichts über seine Liebenswürdigkeit aus. Ein weiterer Grund für den hohen pädagogischen Wert des Buches ist die Thematisierung der Kluft zwischen der nüchternen Welt der Erwachsenen und der phantasiereichen Wahrnehmung der Kinder. Schon im jüngsten Alter müssen sich Kinder in unserer modernen Welt in Systeme integrieren, die nur allzu oft unpersönlich und unnachgiebig sind. Sie müssen sich Kategorisierungen, Beurteilungen und Einstufungen unterwerfen. Da ist es erfrischend und wohltuend, märchenhafte Geschichten über Zwerge, Zauberei und gut gemeinten Ungehorsam zu hören. Ausgelassenes Kinderlachen ist garantiert, wenn man die Passage mit dem verblüfften Minister vorliest, der gerade bemerkt hat, dass das Denkmal, für das er eine Rede hält, sich bewegt: „Sie haben kein Recht, sich zu bewegen, Sie sind aus Stein!“ "Wiplala – Kannst du zaubern?" ist für Kinder der unterschiedlichsten Altersgruppen geeignet… und begeistert auch den vorlesenden Erwachsenen.
Der Rezensent ist freier Übersetzer u.a. für Niederländisch in Wien.
Nr. 20 Lewis Carroll: Alice im Wunderland
Lewis Carrolls "Alice im Wunderland" oder: Oben ist unten und unten ist oben Von Tanja Lindauer
Scheine, was du bist, und sei, was du scheinst – oder einfacher ausgedrückt: Sei niemals ununterschieden von dem, als was du jenen in dem, was du wärst oder hättest sein können, dadurch erscheinen könntest, dass du unterschieden von dem wärst, was jenen so erscheinen könnte, als seiest du anders! (Lewis Carroll: Alice im Wunderland)
Jeder kennt und liebt sie. Die verträumte Alice, die bei einem langweiligen Picknick einschläft und in ihr Wunderland abtaucht. Lewis Carrolls Erzählung gehört auch über 150 Jahren nach der Erstauflage noch zu den Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur. Der Mathematiker und Sprachwissenschaftler Caroll liebte Sprachspiele und logische Rätsel, die er kunstvoll in seinen Roman einbrachte. Zeit und Raum scheinen in Alices Wunderland anderen Gesetzmäßigkeiten zu folgen und sind teilweise sogar außer Kraft gesetzt. Die siebenjährige Alice beobachtet müde ein sprechendes weißes Kaninchen. Alice folgt diesem mittlerweile berühmten weißen Kaninchen in den Bau und betritt damit eine phantastische, bunte und skurrile Welt. Als sie den Kaninchenbau betreten hat, fällt sie in die Tiefe und landet sanft auf dem Boden in einem Zimmer. Auf einem Tisch entdeckt sie einen Schlüssel zu einer winzigen Tür, durch die sie allerdings unmöglich passen kann. Doch sie findet eine Flasche auf dem Tisch, die mit einem Schildchen versehen ist, auf dem „Trink mich!“ steht. Nachdem Alice davon getrunken hat, schrumpft sie immer weiter und weiter. Das Mädchen bemerkt erst zu spät, dass es den Schlüssel auf dem Tisch liegen gelassen hat. Nun probiert es ein Stück Kuchen, worauf es regelrecht in die Höhe schießt und somit viel zu groß wird; nun kann Alice wiederum unmöglich den Schlüssel erreichen. Alice fängt ganz bitterlich an zu weinen. Und sie weint und weint und weint, bis ein riesengroßer Tränensee entsteht. Nachdem Alice einen Handschuh des Kaninchens aufhebt, schrumpft sie wieder und wird so eine Schiffsbrüchige in ihren eigenen Tränen. Sie begegnet auf ihrer Seefahrt Wesen aus dem Wunderland. Darunter auch eine Maus, die die trockenste Geschichte aller Zeiten erzählen möchte, damit alle wieder trocken werden. So beginnen Alices Abenteuer im Wunderland. Nachdem Alice dem Kaninchen gefolgt ist, fällt sie zunächst kilometerweit in die Tiefe und tritt somit in diese phantastische Welt ein, in der ihr Wissen und ihr Erlerntes keine Gültigkeit besitzen. Diese Welt scheint einer ganz eigenen Logik zu folgen, was immer wieder mit einer guten Portion Humor unter Beweis gestellt wird. Alice begegnet bei ihrer Reise durch das Wunderland eigenartigen Wesen, wie etwa dem Verrückten Hutmacher, der Raupe, der falschen Suppenschildkröte oder der Grinsekatze. Der Autor überrascht den Leser mit seinen phantasievollen Beschreibungen und Nonsens-Logiken. Carroll läutete mit seinem Werk ein neues Zeitalter der Kinder- und Jugendliteratur ein, das als "Golden Age of Children’s Literature" in der Literaturgeschichte einging. Durch Nonsens, Satire und Humor ist es dem Autor gelungen, die phantastische Kinder- und Jugendliteratur als eine feste Instanz zu etablieren. Rätsel wie „Warum ist der Rabe kein Schreibtisch?“, oder: "Ist es das selbe wenn man sagt: „ich sehe alles, was ich esse“ und „ich esse alles, was ich sehe?“ begleiten Alice und den Leser auf dem Weg durch das Wunderland. Auch bekannte englische Kindergedichte werden in der Erzählung immer wieder auf's Korn genommen. So wird etwa Jane Taylors „Funkel, funkel kleiner Stern“ zu „Funkel, funkel Fledermaus!“ umgedichtet und parodiert. Aber auch Kritik an der Schuldidaktik des 19. Jahrhunderts sind in "Alice im Wunderland" zu finden. Denn Alices Wissen wird von den Einwohnern des Wunderlandes meistens als langweilig, seltsam oder falsch angesehen. Viele Diskussionen zwischen Alice und den Wunderland-Wesen sind von einer Nonsens-Logik gekennzeichnet, die den Leser oft zum Schmunzeln bringt. So werden unlogische Erklärungen zu logischen Prämissen deduziert. Man denke hier etwa an die Dialoge mit der Grinsekatze oder dem Hutmacher. Das bereits 1865 veröffentlichte Buch erfreut sich nach wie vor einer ungebrochenen Beliebtheit. Und Adaptionen und Anspielungen, die geradezu ein Eigenleben entwickeln, sind zahlreich. Douglas Adams, Gert Prokop und sogar James Joyce ließen sich durch die Erzählung inspirieren, und auch Hollywood bedient sich immer wieder gerne dieses Romans. So wird in "Matrix" Neo (gespielt von Keanu Reeves) darauf hingewiesen, dass er dem weißen Hase zu folgen habe. Und auch Tim Burton wird 2010 eine neue Verfilmung präsentieren. Alice im Wunderland ist für Groß und Klein immer wieder aufs Neue ein Lesespaß, bei dem es viel zu entdecken und lernen gibt!
Die
Rezensentin ist freie Redakteurin und Übersetzerin in Bonn.
Nr. 19 Erich Kästner: Pünktchen und Anton
Kein Gleichmarsch! Niemals bei Kästner „Pünktchen und Anton“: Ein Kinderroman für Kinder der Gegenwart
(librikon) Allein die Nachdenkereien! Die hat Erich Kästner zwischen die Kapitel von „Pünktchen und Anton“ geschoben, man muss sie nicht mitlesen, aber wer sich anstrengen will, der kann es tun. Das kennen wir gar nicht mehr: Ohne erzieherischen Oberauftrag etwas erklären zu sollen wie Stolz, Mut, Lügen. Das bedeutet, den Menschen in Ruhe zu lassen mit seinen Gedanken, nur einen kleinen Anstoß zu geben und dann in seine Denkfreiheit zu vertrauen. Wer etwas Falsches tut, der ist auch ein Mensch, findet Kästner und zückt kein Notenheft und wertet ab. Kinder persönlich zu brechen, sie in ihrem Charakter zu erschüttern und zum Gleichmarsch ab in die Wirtschafts- und Gesellschaftsmaschinerie zu erziehen, das geschieht erst heute. Nicht bei Kästner! Warum nur? Den Kindern ging es schlechter, Anton muss seine kranke Mutter versorgen, er muss abends Schnürsenkel verkaufen, der Sozialstaat war weit weg, und man wünschte, er würde auch heute seine Aufgaben übernehmen, wenn man sich Antons Leben anschaut. Eine wie Pünktchen gibt es heute noch, aus reichem Hause, finanziell sorgenfrei, aber einsam. Und dass sie sich mit Anton anfreundet, dafür müsste auch heute eine ziemlich gewagte Romankonstruktion her. „Pünktchen und Anton“ ist ein Kinderroman für Kinder der Gegenwart! Kästners Sprachwitz, seine Könnerschaft, die Perspektive der gerade auftretenden Personen einzuflechten, seine Liebe zum einfachen Volk, an dem er genau das Liebenswerte schildert, das sollte man Kindern zutrauen, auch wenn einem manches altmodisch vorkommt. Kinder verkraften das! Dafür bekommen sie ein glückliches Ende, und dass sich immer alles fügt, obwohl es auf der Welt Gute und Schlechte gibt.
In der
"Schriftenreihe Essays zur Kinderliteratur" (Autumnus Verlag) erscheint als Heft
9: Mareile Herbst: "Unterhaltsamer Anmerkungsapparat zu bedeutenden
Kinderbüchern I: Zu Kästners "Pünktchen und Anton", "Das doppelte Lottchen", zu
Preußlers "Räuber Hotzenplotz", "Das kleine Gespenst"
Nr.18
Michael Ende: Momo Thienemann Verlag 269 S., 14,90.- ISBN: 978-3522119405
Von einem, der auszog, die Zeit zu suchen Michael Endes "Momo" Von Ulrike Ufer
„Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. [...] Dieses Geheimnis ist die Zeit. […] Denn Zeit ist Leben. Und Leben wohnt im Herzen.“ Michael Ende
Versuche, die Zeit zu erklären, gibt es viele. Aber nur wenige sind wohl so einfach und so kompliziert zugleich wie der, den Michael Ende hier unternommen hat. Denn und das ist schon die Erklärung und somit die Quintessenz von „Momo“: das Geheimnis Zeit und Leben kann nur erlebt, nicht aber erklärt werden. So einfach diese Weisheit zunächst klingt, so haarig ist sie. Eine Großstadt - die gerade durch das Fehlen jeglicher örtlicher Fixierung zum Symbol für alle modernen Großstädte wird – ist der Schauplatz für Endes berühmte Geschichte um das Mädchen, dass der Geschichte seinen Namen gab. Die Handlung ist nicht weniger symbolisch: Graue Herren rauben den Menschen ihre Zeit und damit ihr Leben. Ein kleines Mädchen namens Momo, dessen Herkunft genauso unklar bleibt, wie jegliche sonstige Eckdaten der gesamten Geschichte, vertreibt nach einer langen Suche das böse Graue, beschützt von einem mysteriösen, zeitlosen Zeitverwalter namens Meister Hora, unterstützt von der Schildkröte Kassiopaia und bewaffnet mit einer Blume, die für Momos Träume und die Kraft des phantasievollen Lebens steht. So rettet sie im Alleingang ihre Freunde, die Menschheit und sich selbst. Was kann man noch Neues sagen, über einen solchen Klassiker, den durch seine Verfilmung sogar all diejenigen kennen, die ihre Nase nicht gern in Bücher stecken? Was wurde noch nicht besprochen an einem Text, zu dem es mehr Seiten Forschungsliteratur gibt, als die Geschichte selbst füllt. Die Frage, ob es ein gelungener Text ist, wurde schon häufig behandelt. Ist das Prädikat Klassiker aber wirklich verdient? Dass es ein Muss für jedes Bücherregal im Kinderzimmer ist, scheint schon die seit 26 Jahren anhaltende Popularität zu garantieren. Ob es aber für erwachsene Kinder eine ebensolche Empfehlung ist, lässt sich schon schwerer beantworten. Auch wenn die Bejahung dieser Frage nicht unbedingt ein Gütekriterium darstellt, ist sie doch gerade bei Ende interessant, der die Meinung vertrat, auch ein Erwachsener müsse sich immer einen Rest Kindsein bewahren. Kann man beim Lesen von Momo also wieder zum Kind werden? Ist Momo damit ein Text für alle „Kinder“? Es gibt Kinderbücher, die begeistern Erwachsene so sehr, dass sie sie dazu bringen, mitternachts in alberne Kostüme zu schlüpfen und in langen Warteschlangen vor Buchhandlungen zu stehen. Und es gibt Bücher, die liest ein Großgewordener zwar immer noch mit Vergnügen. Aber es gibt bestimmte Empfindungen, die sich beim Lesen in späteren Jahren einfach nicht mehr einstellen. Und es gibt Kinderbücher, die können nur Kinder lesen, soweit sie schon lesen können, weil Erwachsenen schlicht der Zugang fehlt. Und dann gibt es Michael Ende, dessen Texte sich, wie so oft, nur schwer kategorisieren lassen. Momo ist ein Buch für eine ältere Leserschaft, eine, die schon selbst lesen kann. Und doch wird es immer wieder als erstes großes Vorlesebuch genutzt und geliebt. Es ist stellenweise so plakativ, dass man es nur als Kind lesen kann. Und dennoch kann man Teile davon nur als Gleichnis verstehen. Es ist philosophisch und rätselhaft. Und trotzdem vermittelt es die einfachsten Wahrheiten. Es ist wie seine zentrale These eben einfach und kompliziert zugleich, was möglicherweise einer der Gründe dafür ist, dass man auch als Erwachsener durchaus viel Vergnügen beim Lesen dieses Klassikers haben kann. Und obendrein ist diese Geschichte von den Möglichkeiten der Phantasie und vom der heilenden Kraft, die das Hinhören und das Sich-Zeit-nehmen hat, nicht nur für kleine Kinder lehrreich. Es ist ein Kinderbuch für Erwachsene und ein erwachsenes Buch für Kinder, vergnüglich und charakterbildend zugleich – also alles, was einen Klassiker ausmacht. Bleibt die Frage nach dem Spannungsfaktor. Dass man diesen nur bestätigen kann, liegt nicht zuletzt an einem weiteren Punkt, in dem Endes Texte diese ihm eigene Nicht-Kategorisierbarkeit aufweisen. Diesen thematisiert er selbst schon durch die Genrebezeichnung, die er dem Text zuschreibt: Ein Märchenroman sei „Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte“. Nach diesem Untertitel ist der Ausgang der Geschichte bereits klar. Und dennoch bleibt ein wichtiger Rest Spannung, erzeugt durch die Vermischung von Phantastik, Märchen und Roman. Alltägliches trifft auf Außergewöhnliches, Reales auf Übersinnliches. Und so wird aus einer Geschichte über ein kleines Mädchen im Kampf gegen übersinnliche Zeitdiebe ein Märchen über die Phantasie im Kampf gegen die lieblose Hektik modernen Lebens. Das Märchen verweist bei Ende letztlich immer wieder auf die Realität und ihre tatsächlichen Probleme. Es erinnert an die Kostbarkeiten menschlichen Lebens. Und diese, das macht der Text einem einmal mehr deutlich, sind eigentlich, obwohl real, das Unglaublichste von allen Phänomenen. Und darüber kann und sollte man staunen. Tun wir es also Momo gleich und staunen wir! Auf diese Weise könnten wir wie Kinder unsere Welt wieder ein wenig verzaubern,. Und wenn wir mit ihnen gemeinsam Momo lesen, machen wir daraus womöglich das Buch, „das den Menschen die Zeit zurückbrachte“, Zeit zum Vorlesen, Zeit zum Zuhören, Zeit zum Phantasieren, eben Zeit zum Da(-)sein. „Denn Zeit ist Leben.“
Die
Rezensentin ist studierte Germanistin und Mitarbeiterin der Librikon-Redaktion.
Nr. 17 Rudyard Kipling: Die Dschungelbücher
Aus dem Englischen neuübersetzt von Gisbert Haefs Mit Illustrationen von Martin Baltscheit Boje Verlag 2008 506 S., Euro 39,95 ISBN 978-3414821669
Unter dem Banner des Sieges der Literatur Eine Anschaffung fürs Leben „Die Dschungelbücher“ in der Übersetzung von Gisbert Haefs
(librikon) Ein Klassiker ist oft genug etwas, von dem alle so tun, als kennten sie ihn, und in Wahrheit kennt ihn keiner. „Die Dschungelbücher“ von Rudyard Kipling sind ein Klassiker, den man nicht kennen konnte – einem breiten Publikum vorgestellt geworden durch ein Disney-Rührstück, mit den üblichen Zutaten dieser Filme. Die Leser mussten von da an „Die Dschungelbücher“ – simplifiziert als „Dschungelbuch“ – geradezu mit den falschen Bildern verknüpfen, die Verunglimpfung, der Verrat vollbrachte ganzes Werk. Gisbert Haefs hat Kipling neu übersetzt, Martin Baltscheit für diese Ausgabe illustriert: Der Bruch mit den Assoziationen geschieht sofort. Ein dickes Buch, von einem Kind kaum in den Händen zu halten, im Schuber, Qualitätspapier, eine zu pflegende Ausgabe. Vor allem aber ist innen drin nichts, gar nichts Süßliches zu finden, so dass der Leser zum Neuanfang gezwungen wird. Schon Mowglis Gestalt hat bisweilen etwas Verstörendes, in den Illustrationen (diese Vielfalt des Künstlers, und das bei sparsamen Mitteln!) etwas Erschreckendes, die Tierwelt ist kein larmoyantes Miteinander, es gibt Härten. Doch wird einem das Buch dadurch nicht fremd, keine Distanz um ihrer selbst willen aufgebaut. Wie immer, wenn etwas wirklich gut ist, kann man nicht umhin, es ein ums andere Mal in die Hand zu nehmen. Diese Ausgabe der „Dschungelbücher“ ist eine festliche, geschmackvolle Feier unter dem Banner des Sieges der Literatur. Also eine Anschaffung fürs Leben. (Ab 10)
Nr. 16 Sempé, Jean-Jacques: Benjamin Kiesel. Die Geschichte einer Freundschaft
Aus dem Französischen von Anna Cramer-Klett Diogenes 2008 154 S., CHF 22,90, Euro 12,90 ISBN 978-3257065497
Glücklich umfangen
(librikon) Bei Benjamin Kiesel rückt das Leben ganz eng zusammen, da sitzen Kindheit und Erwachsensein nebeneinander, und sie verschmelzen wieder zu ihrem Kern: Dass sie von ein und derselben Person erlebt werden. Sempé hat in diesem Fall seine Geschichte in Bild und Text umgesetzt, und es ist die Geschichte von Unperfektioniertheit, von den riesigen Mängeln, die hinter den Menschen stehen und lauern, wann sie wieder zur Bloßstellung hervortreten können. Der eine Freund errötet, der andere niest, beide immer zur Unzeit, immer unausweichlich. Zwei Kleinigkeiten, die die Macht übernehmen, zwei Charaktere, die davon geprägt werden. Ohne diese Störung würden sie sich nicht wieder finden, Jahre, nachdem sie sich aus den Augen verloren hatten. Sempé hat hier natürlich seinen typischen Federstrich, unverkennbar, und sein Thema, das Ineinandergreifen von Melancholie und Freude, und genau das ist der Charme, der die Leser von „Benjamin Kiesel“ glücklich umfängt. (Ab 6)
Nr. 15 Hannes Binder, Peter Stamm: Heidi – Nach der Geschichte von Johanna Spyri
Nagel & Kimche 2008 42 S., CHF 29,90, € 16,90 ISBN 978-3-312-00982-4
Heidi, ein zeitloser KinderbuchklassikerHannes Binder, Peter Stamm: „Heidi“ Nach der Geschichte von Johanna Spyri Von Brigitte Bjarnason
Heidi ist ein Naturkind und lebt glücklich bei ihrem Grossvater in den Bergen. Eines Tages muss sie ihre geliebte Heimat verlassen. Sie wird in die grosse fremde Stadt Frankfurt gebracht, wo sie die kranke Klara kennenlernt. Heidi und Klara werden Freundinnen, doch Heidi vermisst die Berge. Sie beginnt, im Schlaf durch das fremde Haus zu wandeln. Klaras Vater schickt sie zurück auf die Alm. Klara kommt zu Besuch und wird wie durch ein Wunder gesund. Beim Lesen der Geschichte von Heidi, Alpöhi, Geissenpeter, Klara und Fräulein Rottenmeier wurde ich an die Tränen erinnert, die ich als Kind über dem Buch vergossen habe. Die rührende Geschichte von dem Waisenkind Heidi ist ein Klassiker unter den Kinderbüchern, der nichts von seinem Zauber verloren hat. Themen wie Einsamkeit und Freundschaft berühren zu jeder Zeit die Herzen der Menschen, wenn sie auf überzeugende Weise dargestellt werden. Diesem weltweit erfolgreichen Kinderbuch wurde in der vorliegenden Bilderbuchausgabe gebührende Wertschätzung entgegengebracht. Der Autor schreibt stilsicher und konzentriert sich auf die wichtigsten Motive der Geschichte. Die qualitätvolle Illustration wirkt ein wenig düster, doch passt sie durchaus zu dem sentimentalen Charakter der Geschichte. Das Buch wird für Kinder ab 4 Jahren empfohlen. Ich würde die Altersempfehlung mindestens um ein Jahr höher ansetzen, da es sehr gefühlsbetont ist. Heidi ist ein Buch zum Vorlesen und Miteinanderreden. Wie es bei mir als Kind einen tiefen Eindruck hinterlassen und viele Fragen aufgeworfen hat, so ist es bis heute für Kinder. Trotz ihres Alters hat die Geschichte von Heidi nichts an ihrer Ausstrahlung verloren. (Ab 5)
Nr. 14 Arnold Lobel: "Das große Buch von Frosch und Kröte" Mit Bildern von Tilde Michels
Arnold Lobel: "Das große Buch von Frosch und Kröte" Mit Bildern von Tilde Michels dtv 2008 ff. 256 S., Euro 12 ISBN 978-3423713153
Ein Phänomen an Kleinstereignissen
(librikon) Natürlich war „Frosch und Kröte“ immer eine große Belastung für Kinder und Eltern. Schließlich fiel die Taschenbuchausgabe ständig wegen Überbenutzung auseinander, und die Geschichten von den beiden Herrschaften, die befreundeten Frosch und Kröte, flatterten einzeln und pointenlos durch die Gegend. Genau pointenlos aber sind sie nicht, vielmehr ein Phänomen an Kleinstereignissen und deren scheinbar sparsamer Aufbereitung. Von Seltenheitswert. Und nun auch endlich fest gebunden. (Ab 2)
Nr. 13 Roald Dahl: Charlie. Zwei Abenteuer Mit Bildern von Quentin Blake
Rowohlt 2008 352 S., 8 Euro ISBN: 978-3499214349
Beeindruckend kindgerecht: Die skurrile Welt des Roald Dahl Von Alexandra Geiselhart
Der englische Kinderbuchautor Roald Dahl schrieb die Abenteuergeschichte „Charlie und die Schokoladenfabrik“ im Jahre 1964. Das nächste Abenteuer „Charlie und der große gläserne Fahrstuhl“ folgte im Jahre 1973. Nun sind diese beiden Geschichten mit sehr gelungenen Illustrationen von Sir Quentin Blake in einem Buch veröffentlicht worden. Die Geschichte „Charlie und die Schokoladenfabrik“ dürfte vielen Lesern inzwischen durch ihre Verfilmung von Tim Burton aus dem Jahre 2005 bekannt sein, in welcher zudem Johnny Depp als überdrehter und ulkiger Schokoladenfabrikbesitzer Willy Wonka brillierte. Es geht in dieser Geschichte um einen lehrreichen Ausflug von fünf Familien in die Schokoladenfabrik des Willy Wonka, aus der die leckersten und vielfältigsten Schokoladensorten der Welt stammen. Ein Hauch von Geheimniskrämerei umgibt die Fabrik, seit sich der Fabrikbesitzer Willy Wonka vor einigen Jahren vollständig zurückgezogen hat, die Schokoladenproduktion dadurch aber nur noch besser wurde. Seine Zurückgezogenheit durchbricht Herr Wonka mit der Ausgabe von fünf in Schokoladentafeln versteckten Losen an die Welt. Ein Los verspricht einen Tag in der Fabrik. Unter den fünf Gewinnern ist schließlich auch der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Charlie Bucket. Als Erziehungsberechtigten nimmt der Junge seinen Großvater Josef mit in die Fabrik. Die vier anderen Mitstreiter sind ein verwöhntes Mädchen, ein esssüchtiger Junge, ein junger Computer- und Fernsehfreak und ein Mädchen, das von morgens bis abends Kaugummi kaut. All diesen vier Kindern und ihren Eltern widerfahren in der Fabrik und durch die dort produzierten Süßigkeiten Erlebnisse, die sie so schnell nicht vergessen werden. Charlie ist der einzige Junge, der mit stummer Begeisterung seine Umgebung wahrnimmt und mit seiner Zurückhaltung das Herz von Willy Wonka gewinnt. Dem Fabrikbesitzer erscheint Charlie damit als viel versprechender Nachfolger für die Schokoladenproduktion. Bevor der Junge allerdings die Nachfolge antreten kann, erleben Willy Wonka, Charlie, seine Eltern und Großeltern ein weiteres unglaubliches Abenteuer. Mit dem großen gläsernen Fahrstuhl der Fabrik landen die acht Personen plötzlich im Weltraum, erkunden ein von den Vereinigten Staaten in die Erdumlaufbahn gebrachtes riesiges Raumhotel und werden von der Welt plötzlich als mögliche Terroristen betrachtet. Dabei befindet sich die eigentliche Gefahr im Raumhotel selbst: die sehr bedrohlichen Bewohner des Planeten Ürm, so genannte gewürmte Nilche. Diese Kreaturen vernichten alles, was ihnen in die Quere kommt. Die Familie Bucket und Willy Wonka können den gewürmten Nilchen nur sehr knapp entkommen und haben das Glück, dass der gläserne Fahrstuhl ihnen Schutz vor den bösen Wesen bietet. Auf die Erde können die gewürmten Nilche allerdings nicht gelangen, da sie beim Eintritt in die Atmosphäre vollständig verschmoren. Mit Unterstützung der Piloten des gläsernen Fahrstuhls rettet diese Tatsache schließlich die Insassen einer amerikanischen Transportkapsel, die ebenfalls auf dem Weg zum Raumhotel ist. Denn auch dieses Gefährt wird von den Nilchen angegriffen. Familie Bucket und Willy Wonka kommen nach ihrem Weltraumabenteuer wohlbehalten in der Schokoladenfabrik an. Dort warten weitere spannende Erlebnisse auf sie. Dass Roald Dahl einer der bekanntesten Vertreter des schwarzen Humors ist, merkt man auch diesen beiden Abenteuern an. Die Geschichten überzeugen aber nicht nur durch ihren Witz, sondern durch ihre absolut fantastische und kreative Ausgestaltung. Der Autor hat eine ganz eigene Welt erschaffen, in der skurrile Charaktere miteinander und gegeneinander agieren. Die kindgerechte Polarisierung von Gut und Böse beeindruckt und stellt sich zudem derart überzogen dar, dass der erwachsene Leser von Anfang bis zum Ende schmunzeln muss. Kindern wird dies womöglich nicht auffallen, aber die Schokoladen-Welt wird sie einfach nur in ihren Bann ziehen. (Ab 9)
Die Rezensentin ist studierte Linguistin.
Nr. 12 Gudrun Pausewang: Neues vom Räuber Grapsch Mit Bildern von Dorota Wünsch
Ravensburger 2008 320 S., 14,95 Euro ISBN: 978-3473347254
Spannung kommt nicht zu kurz Von Alexandra Geiselhart
Nach „Das große Buch vom Räuber Grapsch“ gibt es nun die Fortsetzung der Geschichte um Tassilo und Olli Grapsch. Die Autorin Gudrun Pausewang, die schon viele bekannte Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geschrieben hat, lässt ihre Leser an zahlreichen spannenden Abenteuern der Familie Grapsch und ihren Freunden teilhaben. Tassilo Grapsch, der von seinem Aussehen her schon Furcht einflößende ehemalige Räuber, lebt mit seiner Frau Olli und vielen ehemaligen Zirkustieren im Juckener Ländchen. Auf den Wunsch von Olli hin hat Grapsch schon seit zehn Jahren nicht mehr geraubt. Von Tag zu Tag versinkt er allerdings mehr und mehr in Erinnerungen an die damalige Zeit, wo er raubend durch die Gegend streifte. Er langweilt sich schrecklich. Olli merkt die Bedrücktheit ihres Mannes und animiert ihn zu allerhand Tätigkeiten: Ausflüge, Reisen, das Schreiben von Gedichten oder Romanen, das Kartenspielen, eine Elchzucht und nicht zuletzt die Malerei. Eine Zeitlang verwandelt sich Grapsch tatsächlich in einen sehr erfolgreichen Maler, allerdings übertreibt er es ein bisschen und wird regelrecht besessen von der Kunst. Schließlich erkennt er aber selbst, dass dies nicht seine eigentliche Bestimmung ist, und überlässt das Malen Oskar, dem Zirkusaffen. Mit der Gesundheit von Grapsch steht es plötzlich nicht mehr zum Besten. Er verliert immer mehr Zähne, so dass ihm sein Freund Anton schließlich eine Elchgebissprothese zaubert. Sehr wohl fühlt sich Grapsch damit einige Tage lang, bis er sie eines Nachts verschluckt und daraufhin operiert werden muss. Das Krankenhaus ist allerdings nicht der rechte Aufenthaltsort für Grapsch, er fühlt sich dort einfach nicht wohl. Seine Frau Olli selbst heilt schließlich alle seine Wunden mit Kamelspucke, ein Allheilmittel, auf das sie durch Zufall gestoßen ist. Nur seine seelischen Wunden kann Olli damit nicht heilen. Grapschs Zustand verschlechtert sich. Gerade noch rechtzeitig reist da der Familienfreund Max in einem überdimensionalen und multifunktionalen Feuerwehrauto namens Optimum an. Er schlägt vor, mit Tassilo und Olli Grapsch zusammen eine Weltreise zu machen. Auch auf dieser Reise kommen die drei nicht zu kurz an spannenden Erlebnissen. Sie werden von Polizisten angehalten, können aber entkommen, da das Optimum auch als Helikopter einsetzbar ist. Mit dem Gefährt können sie sich sogar auf dem Meer fortbewegen. Dort treffen sie natürlich auf ein Schiff voller Piraten. Grapsch freut sich, da er sich mit diesen Seeräubern seelenverwandt fühlt. Olli hat in diesem Fall auch nichts dagegen, dass Grapsch schließlich die Seeräuber beraubt. Das Meer hinter sich gelassen, landen Max und die Grapschs schließlich in der Wüste, in einer Oase der so genannten Mansuren, welche sich als sehr gastfreundlich und zuvorkommend erweisen. Für eine ganze Weile lassen es sich Max, Grapsch und Olli dort sehr gut ergehen. Grapsch hegt allerdings den Verdacht, dass die Mansuren an sich gar nicht so freundlich sind. „Das sind Räuber, die Touristen ausrauben“, vermutet er. Sein Verdacht bestätigt sich schließlich. Natürlich möchte Grapsch nach der Verhaftung der Mansuren am liebsten in deren Fußstapfen treten. Er versucht, einen Touristenbus voller Senioren auszurauben, merkt dabei jedoch, dass sein Mitgefühl für die Menschen viel zu groß ist. Das Rauben hat er verlernt. Glücklich, zufrieden und mit reichem Erfahrungsschatz kehren die Grapschs und Max somit wieder ins Juckener Ländchen zu Familie und Freunden zurück. Mit dieser Abenteuergeschichte zeigt Gudrun Pausewang, dass ihre Phantasie nahezu unerschöpflich zu sein scheint. Das Buch wird an keiner Stelle langweilig, es ist purer Lesespaß, und alle Abenteuer lassen den Leser mitfiebern und in die Welt des Räubers Grapsch direkt eintauchen. (Ab 7)
Die Rezensentin ist
studierte Linguistin.
Nr.11 Ali Mitgutsch: Der Kraxenflori
Parabel 2008 29 S., Euro 9,95 ISBN: 978-3789811067
Für wahre Kinder Und eine Kindheit, die den Namen verdient
(librikon) „Der Kraxenflori“ ist ein neu aufgelegter Klassiker von Ali Mitgutsch. Unverwechselbar sein Illustrationsstil, der Wimmelbücher- Schöpfer ist auf den ersten Blick identifizierbar. Eine schwarze, eine bunte Seite im Wechsel weckt Erinnerungen der vorlesenden Eltern. Solche Bücher gab es einige, und es war die Zeit, als es noch Bilderbücher gab, die richtig und tüchtig für Kinder erzählten, die für Kinder geschrieben waren und sich in sie hineinfühlten, anstatt sie als zu klein geratene ewig wissbegierige Zukunftsträger zu sehen. „Der Kraxenflori“ gibt den Kindern den Reichtum an Phantasie und eigener Gefühlswelt, den sie brauchen, um sich wirklich ein Polster für dieses Leben anzuschaffen, eines, auf das man zurückgreifen kann. Es ist eine Geschichte, althergebracht, mit Lokalkolorit und doch auch mit überraschenden Wendungen, mit Räubern, mit Angst, mit Jubel und Trubel, eine Geschichte für wahre Kinder und eine Kindheit, die Abenteuer liebt. Die den Namen „Kindheit“ verdient. Da gehört „Der Kraxenflori“ unbedingt dazu. Ein Tusch für diese Neuauflage! (Ab 4)
Nr.10 Walter Jens: Odyssee und Ilias. Nacherzählung Mit Illustrationen von Alice und Martin Provensen
Ravensburger 2008 92 S., Euro 14,95 ISBN: 978-3473355037
Kluge, könnerische Auswahl Walter Jens feat. Homer
(librikon) Mit dem Buch „Ilias und Odyssee“ treffen Anfang des 21. Jahrhunderts gleich zwei Klassiker aufeinander. Begründungslos: Homer. Und Walter Jens, der eine kluge, könnerische Auswahl, was er nacherzählt, getroffen hat und dann in ein Deutsch gebracht hat, das unmissverständlich Literaturdeutsch ist und an das Sprachkunstwerk des Originals anknüpft. Weit, bevor die Kinder beginnen, Griechisch zu lernen, können sie so die Sagen des Altertums als Grundlagen der europäischen Kultur kennenlernen. Das weckt auch die Vorfreude, sie im Original zu lesen. Die Bebilderung, wie entsprungen von antiken Vasen, sind ein Kapitel der Illustrationskunst für sich. Kein Haushalt ohne dieses Buch!
Nr.9 Ludwig Thoma: Ein Münchner im Himmel Mit Illustrationen von Gertraud und Walter Reiner
Bassermann 2008 72 S., Euro 9,95 ISBN: 9783809418702
Eine charakterstarke Figur Ludwig Thoma at its best
(librikon) Der Dienstmann Nr. 172, der am Münchner Hauptbahnhof Gepäck trägt, dabei tot umfällt und daraufhin dem lieben Gott sowie den Engeln zeigt, was es bedeutet, einen "Münchner im Himmel" zu haben, ist eine der charakterstärksten Figuren des Bilderbuchs. Und natürlich ein Klassiker, wie er nicht nur in der bayerischen Landeshauptstadt ins Bücherregal gehört. Schließlich sind die Dialektismen des Dienstmannes Alois Hingerl, der nicht gerade auf den Mund gefallen ist, am Ende des Buches übersetzt. Aber natürlich ist es das schöne Münchner Leben, das dann auch den Alois Hingerl so anzieht, dass er vergisst, in den Himmel zurückzukehren. Vermisst wird er da nicht. Ludwig Thoma in seiner ganzen Entfaltung.
Nr.8 Rudolf Herfurtner / Anette Bley: Romeo und Julia. Das Ballett nach Sergej Prokofjew
Annette Betz Verlag 2008 29 S., 19,95.- (mit CD) ISBN: 978-3219113556
Alles gelungen Ein Klassiker, heruntergedreht auf Kinderhöhe
(librikon) Das Ballett „Romeo und Julia“ nach Sergej Prokofjew ist schon für Kinder faszinierend – wenn sie das Bilderbuch dazu in den Händen halten. Rudolf Herfurtner hat eine Geschichte rund um das Ballett geschaffen, die Kindern aus der Seele spricht –Konstantin, der kleinste aus der Ballettgruppe, darf bei der Aufführung -an einem echten Theater, auf einer echten Bühne!- nicht mitmachen – zu klein sei er! Doch bei der Aufführung fällt plötzlich der tolle Angeber Nick aus. Konstantin darf also doch auf die Bühne! Parallel dazu wird, kunstvoll ineinander verflochten, die Shakespearesche Liebesgeschichte erzählt. Die Illustrationen von Anette Bley runden das schöne Buch ab: Sie spiegeln genau die Handlung wider, changieren zwischen dem betrachtenden Kind und den Schauspielern, deren Gestus dramatisch und „bühnenecht“ ist. Bühnenbilder und Bilderbuchbilder sind nicht voneinander getrennt, sondern alle in unauffälligen Aquarell- und leicht verschwimmenden Naturfarben gehalten; das alles in mediterraner Beleuchtung. Die etwas älteren Kinder, die dann auch den Stücken der beiliegenden CD (die durch wechselseitige Numerierung mit dem Buch mitzuhören ist) folgen können, werden Bühnenspiel und Bühnenpräsenz der Figuren beachten, die jüngeren haben an der Gesamtheit des Buches ihre Freude. Die grausige Tragik von „Romeo und Julia“ ist so auch für kleine Leser zu verkraften. Ein Klassiker, heruntergedreht auf Kinderhöhe: Alles gelungen.
Nr.7
Theodor Storm Reclam, 7.- ISBN-10: 3150076684 ISBN-13: 978-3150076682
Ästhetisches Hochniveau Was mit Sprache möglich ist
(librikon) „Die Regentrude“ von dem guten alten Theodor Storm ist eine kurze, mitreißende Kindererzählung, die –anders als bei Storm gewohnt – ein gutes Ende nimmt. Ein klassisch gutes Ende: Das junge Glück tritt vor den Traualtar. Altbacken? Nein! Schon lesegereifte Kinder können hier Stimmungen aufsaugen und erspüren, was mit der Sprache, die sie täglich benutzen, alles möglich ist. Hinein in ein wundervolles ästhetisches Hochniveau.
Nr.6
Roberto Innocenti Sauerländer 2002 48 S., 18.-
ISBN-10: 3794149459
Jahrhundertealte Geschichte Also natürlich zeitlos
(librikon) „Das Hotel
zur Sehnsucht“ von Roberto Innocenti ist ein zeitloses Bilderbuch, auch
wenn es das erst seit 2002 beweisen kann. Es erzählt die
jahrhundertealte Geschichte vom Künstler, der seine Phantasie verloren
hat, traurig vor dem leeren Blatt sitzt und dann beschließt: Ich muss
sie wiederfinden! Auf Wanderschaft muss er gehen, startet sein Auto und
lässt es geschehen, nach „Weissderhimmelwo“ zu fahren. Es ist Nacht, als
er ein merkwürdiges Hotel betritt, sich, von einem Papagei aufgefordert,
ins Gästebuch einträgt. Wer sich dort alles findet! Noch nachts hat der
Maler Huckleberry Finn getroffen, am Morgen begegnet er die kleine
Seejungfrau und Peter Lorre, am Strand sieht er Antoine de Saint-Exupèry
und Italo Calvinos Baron in den Bäumen. In den anspruchsvollen, einem
Klassiker würdigen Bildern sind sie getroffen dargestellt, und im Text
wird ihre Sprache aus „ihren“ Büchern adaptiert; gelungen! Natürlich,
wenn man zusammen mit dem Maler –unter all den Fremden nun ein
vertrautes Gesicht - über die merkwürdigen Gestalten rätselt und nicht
recht weiß, mit wem man es zu tun hat, kann sich der Leser hinten im
Buch ein paar Hinweise holen. Der Maler nicht. Er bleibt Gast unter
diesen Gästen und kann gar nicht anders abreisen als: wieder voller
Phantasie.
Nr.4 Munro Leaf Ferdinand
72 Seiten Diogenes; ISBN-10: 3257065485 ISBN-13: 978-3257065480 € 12,90 Ab 4
Strahlkraft und Blumenduft Was einem Buch entströmen kann
(librikon) Ein Buch von 1936,
jetzt wieder in Neuübersetzung erhältlich: Eine zeitlose Geschichte um
einen Stier, der in der Arena nicht kämpft, sondern einfach Blumenduft
einatmet. „Ferdinand“ hat niemals an Gültigkeit und Überzeugungskraft
verloren, „Ferdinand“ strahlt Hoffnung aus, es duftet geradezu aus dem
Buch heraus nach Lebensfreude und nach Umkehr in dieser verkrampften
Welt, „Ferdinand“ ist ein echter Evergreen!
Nr. 3
Michael Ende
Michael
Ende
Der Verlag über das Buch:
Die Geschichten von
Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer sind längst Kinderbuchklassiker
geworden. Die spannenden und lustigen Abenteuer der beiden Helden mit
Scheinriesen, Halbdrachen, Kaisern, Seeräubern und vielen anderen
außergewöhnlichen Wesen erfreuen und unterhalten Kinder seit über 30
Jahren.
Nr. 2
Otfried Preußler
Otfried
Preußler
Ab 6 Der Verlag über das Buch: Kasperl und Seppel machen sich auf, den wilden Räuber Hotzenplotz zu fangen, der Großmutters Kaffeemühle gestohlen hat. Unglücklicherweise geraten sie dabei in die Hände des Räubers Hotzenplotz und des bösen Zauberers Zwackelmann.
Nr. 1 Boy Lornsen Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt
255 Seiten Thienemann Verlag ISBN-10: 352211180X ISBN-13: 978-3522111805 12 Euro Ab 8
Der Verlag über das Buch:
Wenn ein fähiger
Roboter wie Robbi und ein talentierter Erfinder wie Tobbi gemeinsam eine
Reise machen, wenn diese Reise noch in einem selbstkonstruierten
Fliwatüüt vor sich geht, dann passiert Aufregendes. In diesem Jahr hat er eine besonders schwierige Prüfungsaufgabe erwischt: Es geht um eine dreieckige Burg, einen schwarz-gelb-geringelten Leuchtturm und um den Nordpol! Zum Glück darf er aber ein Menschenkind um Hilfe bitten. Keine Frage, daß er sich da an den kleinen Erfinder Tobbi wendet, der auch in die dritte Klasse geht und gerade das Allzweckfahrzeug Fliewatüüt entwickelt hat.
Nun kann die
phantastische Reise losgehen . . .
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