Gelungene Balance zwischen Sprachspiel und
Sprachreflexion
Anton G. Leitner Hg: „Ein Känguru mit Stöckelschuh“
Von Ada Bieber
Anton
G. Leitner Hg.:
"Ein Känguru mit Stöckelschuh. Neue Gedichte für Kinder."
Illustrationen von Heidrun Boddin.
Verlag Sankt Michaelesbund 2012.
Euro 19,90., S.79
ISBN 978-3-943135-00-8
Es ist eine hohe Kunst, ausgezeichnete Lyrik für Kinder
zusammenzustellen, die dem kindlichen Sprach- und Welterfassungsvermögen
einerseits entspricht und andererseits durch spielerische
Sprachreflexion die Kinder herausfordert! Die Lyriksammlung „Ein Känguru
mit Stöckelschuh“, herausgegeben von Anton G. Leitner, erfüllt dies auf
wundervolle Weise, denn in der Sammlung, die von Heidrun Boddin
freundlich und kindgerecht illustriert wurde, finden sich Gedichte, die
gleichermaßen eingänglich wie lustig sind. Dadurch sprechen sie ihre
Adressaten an und können durch Sprachspiel und Ausdruckstraining zu
einem reflexiven und ästhetischen Umgang mit Sprache beitragen. Die
Auswahl der Gedichte, u.a. mit Gedichten von Mario Wirz oder Axel
Kutsch, ist insofern für die jungen Leser geeignet, als sie die Balance
hält zwischen einfachen Reimen, die zum mit- und nachsprechen anregen,
und einem anspruchsvollen Sprachspiel mit Besonderheiten der deutschen
Sprache. So spielt Axel Kutsch in seinem Gedicht „Vegetarier“
beispielsweise auf erhellende Weise mit nicht immer ganz logisch
zusammengesetzten Komposita oder Mario Wirz zeigt in seinem Tiergedicht
„Unterschiede“ Kindern den Umgang mit wörtlich gemeinten Aussagen und
nicht wörtlich zu verstehenden Phraseologismen. Aber auch andere
Sprachphänomene kommen in den Gedichten zum Vorschein, beispielsweise
dialektale Ausprägungen in der Schriftsprache oder auch optische
Spielereien mit der Schrift. Die Gedichtsammlung macht daher nicht nur
kleinen und großen Kindern riesigen Spaß, sondern ist auch bestens für
Vermittlungssituationen geeignet, da die vier zentralen Kompetenzen des
Deutschunterrichts ›Lesen‹, ›Zuhören‹, ›Schreiben‹ und ›Sprechen‹
gleichermaßen angesprochen und geübt werden können. Die Gedichtsammlung
im überschaubaren Bilderbuchformat sei also nicht nur allen Familien,
sondern auch allen Lehrern nachdrücklich empfohlen.
Der Zyphius ist ein gewaltiges Ungeheuer,
das auf dem Grunde des Meeres haust. Jedenfalls erzählt man sich das.
Man erzählt sich auch, er habe eine Löwenmähne und könne Feuer speien,
und noch viele andere Dinge.
In dem wundervoll illustrierten Buch „Die
Geschichte vom Zyphius“ stellt Robert Göschl diesen Fisch vor. Anders,
als man vielleicht gewohnt ist, geht die Geschichte direkt auf dem
Einband los und zieht sich dann einer Schlange gleich durch das ganze
Buch. An den meisten Stellen reimt sie sich, und auch, wenn die Reime
manchmal etwas holprig sind, macht es doch Spaß, sie zu lesen.
Das Wichtigste sind aber – vollkommen zu
Recht – die mit viel Liebe zum Detail gezeichneten Illustrationen.
Manchmal ist die Satzschlange so perfekt in das Bild integriert, dass
man ein wenig suchen muss, bevor man die Wörter findet. Natürlich ist
man länger mit dem Betrachten der Bilder als mit dem Lesen der kurzen
Sätze beschäftigt, aber das ist wahrscheinlich so beabsichtigt. Man kann
– allein oder zu mehreren – suchen, was der Zyphius alles in seinem
Verdauungssystem hat, wenn es um seine Ernährung geht (an der Stelle
wird z.B. auch die Verschmutzung der Meere thematisiert, ganz am Rande
und doch sehr deutlich). Man kann zählen, wie viele Fische er in seinen
Fangarmen gefangen hat und noch vieles mehr, was sich sonst noch so
darin verheddert; und man kann über die Widersprüche diskutieren, die an
einigen Stellen auftreten. Die sind so gewollt – schließlich geht es
hier um das, was man sich über den Zyphius erzählt, und nicht darum, was
der Zyphius wirklich ist. Deswegen geht es wie in den Legenden hoch her
(man nehme nur die Tatsache, dass der Zyphius unter Wasser Feuer speien
können soll) und auch nicht immer logisch zu – wie in dem meisten, was
man sich „so erzählt“.
So viel sei verraten: Am Ende wird
aufgelöst, wie der Zyphius wirklich ist. Und dann fühlt man sich… nun
ja, das wird hier nicht verraten. Die Geschichte vom Zyphius muss jeder
selbst lesen – man kann sich nämlich nicht darauf verlassen, was „man“
so über ihn sagt…
Es gibt Bilderbücher, da stimmt einfach alles. Text
und Bilder sind so perfekt, dass es absolut nichts auszusetzen gibt. Sie
sind selten, doch sie kommen vor. „… 6,7,8, Gute Nacht“ gehört dazu. Es
handelt sich um eine Sammlung von Gute-Nacht-Gedichten. Der Begriff ist
in diesem Fall wörtlich zu nehmen, denn fast alle Gedichte enden mit den
Worten „Gute Nacht.“ Die Gedichte sind sehr kurz und dadurch angenehm zu
lesen – die ideale Lektüre vor dem Einschlafen. Sie handeln von
Wildschweinen im Rüschenrock, Schlüsselbeinen, die mit Schlüsselblumen
befreundet sein wollen, guten Feen, fliegenden Elefanten und jeder Menge
lustiger und auch trauriger Leute.
Das Herzstück dieses Buchs sind die Illustrationen.
Die Bilder haben eine unbeschreibliche Ausdruckskraft und lassen den
Betrachter nicht mehr los, wenn sie ihn in ihren Bann gezogen haben.
Neben tusche- und kreideartigen Zeichnungen sind in den Bildern auch
aufgeklebte Blätter von Bäumen und Stückchen von bedruckten Seiten zu
sehen. Die Figuren und Landschaften sind sehr detailverliebt und
aufwendig gestaltet. Dadurch wirken sie lebendig. Doch keine Zeichnung
gleicht der anderen. Ein breites Spektrum an Stilen ist vertreten,
sodass auf jeder Seite Abwechslung geboten ist. Manche Zeichnungen
erinnern an mittelalterliche Kupferstiche, andere an moderne
Werbe-Grafik. Von kindlichen Gemälden über klassischen Bilderbuchstil
bis hin zu Malerei des 19./20. Jahrhunderts ist alles vertreten. Die
Hintergründe sind dagegen meist schlicht gestaltet oder fehlen, was –
zum Thema passend – sehr beruhigend wirkt und – wer hätte es gedacht? –
zum Weiterträumen anregt. Aber auch die Figuren selbst haben etwas
Beruhigendes. Sie sind alle überwiegend farblos, da sie entweder
schwarz-weiß oder in Pastellfarben gehalten sind. Das passt prima zur
Nacht und legt sich wie ein Schleier über die Gesamtstimmung, die
verdunkelt wird, aber nie gruselig, sondern einschläfernd wirkt. Manche
Figuren schauen sogar etwas traurig drein und können allein durch ihr Aussehen
und ihre Gestaltung tief berühren.
Ganz anders sieht es mit den Texten aus. Sie stehen
im Kontrast zu den düsteren Zeichnungen, denn sie sind geistreich,
witzig und verspielt. Wir lernen Figuren wie den seltsamen Koch Maestro
Minestrone, Fischers Fritz aus dem bekannten Zungenbrecher,
Schlüsselbein und Schlüsselblume – die Begriffe werden hier wörtlich
genommen – und fernsehguckende Meerjungfrauen kennen. Durch das Spiel
mit gleichklingenden Wörtern und die mehrfache Verwendung genialer Reime
machen diese Gedichte besonders viel Spaß. Hinzu kommen die
ungewöhnlichen Einfälle bezüglich des Inhalts der Gedichte.
Anspruchsvolle Unterhaltung ist hier garantiert.
Doch stört die Kluft zwischen den
dunklen Bildern und den frischen Texten? Nein, es ist genau diese
Spannung, die jedes Kapitel zu etwas Besonderem macht. Mit solchen
Gedichten, die man garantiert mehr als einmal mit größter Freude lesen
kann, macht Schlafengehen Spaß. Da kann einer „Guten Nacht“ und süßen
Träumen nichts mehr im Weg stehen.
Der Rezensent ist Kinderbuchautor,
Literatur- und Kunstkritiker. Zuletzt ist von ihm das Essay "Altmodische
Literaturwissenschaft und knackig frische Rezension" erschienen.
Ungewöhnliche Freundschaften und gegenseitige Hilfsbereitschaft
Kristina
Dunker: "Wo bin
ich nur?, fragt Kater Murr"
Von Bettina
Meinzinger
Kristina
Dunker/Lena Pflüger
Wo bin ich nur?, fragt Kater
Murr
Beltz & Gelberg 2011,
geb., 32 S., EUR 12,95
ISBN 978-3407794505
Während des
Familienurlaubs soll Kater Murr von der Oma gepflegt werden. Doch auf
dem Weg zu Oma Anni geht Murr im Verkehrschaos verloren. Er nimmt
Zuflucht in einem U-Bahnschacht, wo nicht nur Spinnen und sogar ein
Fuchs hausen, sondern auch eine fiese Rattenbande, angeführt von
Killer-Kalle, die es auf den einbeinigen Raben Hinke-Klaus abgesehen
hat. Aber Kater Murr ist mutig und nimmt es mit den bösartigen Nagern
auf.
In „Wo bin
ich nur?“ geht es ums Verlorengehen und wieder nach Hause finden, um
ungewöhnliche Freundschaften und gegenseitige Hilfsbereitschaft. Der
Text dazu ist durchgehend gekonnt gereimt von der mehrfach
ausgezeichneten Kinder- und Jugendbuchautorin Kristina Dunker. Auch die
Illustrationen von Lena Pflüger sind ein Glücksfall. Besonders gut
gelingt es ihr, den Kontrast zwischen dem wohligen Zuhause und den
finsteren, gemein-bedrohlichen Gewölben im Stadtuntergrund festzuhalten,
die dem Kater so fremd sind. Einzig Oma Anni hätten ein paar Runzeln und
Falten mehr gut zu Gesicht gestanden.
Die Rezensentin ist freie Lektorin und
Kulturjournalistin in Berlin.
Edith Wolf, Florian Mitgutsch: "Wie war das
doch gleich? Gedichte für Kinder"
Von Steffen Wunder
Edith
Wolf: "Wie war das doch gleich? Gedichte für
Kinder"
Mit Illustrationen von Florian Mitgutsch
Rieder Verlag 2011
64 Seiten, Euro 12,95
ISBN 978-3941172487
Gedichte spielen in unserer Kultur schon
immer eine wichtige Rolle. Die Lyrik ist in der Belletristik älter als
die Prosa und galt ihr lange Zeit als überlegen. Besonders in der
englischen Volkspoesie haben Gedichte einen bedeutenden Wert. In England
und Amerika wurden mündlich überlieferte Kindergedichte unter dem
Begriff Mother-Goose-Reime gesammelt und sind dort jedem Kind bekannt.
Auch in Deutschland wurden von 1805 bis 1808 Volksliedtexte, darunter
auch Kinderlieder, von Achim von Arnim und Clemens Brentano unter dem
Titel „Des Knaben Wunderhorn“ herausgegeben. Durch die Beschäftigung mit
der eigenen Vergangenheit in der Romantik wurde der Ursprung der
nationalen Kultur interessant und das Sammeln von mündlich
weitergegebenen Gedichten begann. Aber auch spätere bekannte Autoren wie
James Krüss, Joachim Ringelnatz und Erich Kästner verfassten Gedichte
für Kinder. Und selbst heutzutage umfasst das kollektive Gedächtnis der
Kinder eine Anzahl altbekannter Lieder, Abzählreime und Balladen,
zumindest Teile davon. Dennoch denkt man bei zeitgenössischer
Kinderliteratur zunächst an Romane und Erzählungen. Gedichte werden
entweder mit der Vergangenheit oder mit gegenwärtiger Nischen-Literatur
in Verbindung gebracht. Hoffentlich ändert sich das mit Edith Wolfs
Gedichtband „Wie war das doch gleich?“
Nicht umsonst wurde zuerst auf die
traditionelle Lyrik verwiesen, denn der Gedichtband lässt alte
dichterische Formen in neuem Glanz aufblühen. Besonders die
Mother-Goose-Reime sind Wolfs neuen Gedichten erstaunlich ähnlich.
Humor, ein einfaches Versmaß, ein spielerischer Umgang mit Sprache,
Personen mit komischen Namen oder Tiere im Mittelpunkt, zauberhafte
Gestalten – das sind Elemente die beide Gedichtarten gemeinsam haben.
Aber es gibt auch moderne Aspekte in Wolfs Gedichten. So möchte im
Gedicht „Auf dem Meeresriff“ eine Krabbe vom Hummer, dem – auch im
Gedicht so bezeichneten – Star des Meeres eine Handynummer haben. In
„Bei Familie Spritzig“ tragen die beiden Kinder Moonboots.
Die Gedichte handeln von Kindern,
tollpatschigen Erwachsenen, Tieren, Zauberwesen wie einer Hexe, die an
einem Kochduell teilnimmt, einem Zauberer oder einem Troll, von Märchen,
aber auch von allgemeinen Themen wie Freundschaft, Eifersucht und
Ferien.
Ihrer Sammlung stellt die Autorin ein
kurzes Gedicht mit dem Titel „Tschilli Tschilli Billi“ (russisch für „Es
war einmal …) voran. Es ist eine Erinnerung an ihre russische
Großmutter, die gerne Märchen erzählte. In diesem Gedicht wird
beschrieben, wie bereits Vergangenes in der Erinnerung ewig weiterlebt.
Das ist eine perfekte Einleitung zu diesem Gedichtband. Gerade der Klang
der gereimten Sprache hallt lange in den Ohren nach, manchmal sogar seit
der Kindheit. Eine Wiederbegegnung mit der Kindheit ist aber auch das
Fantastische und Irrationale, das die Kindergedichte ausmacht. Nicht nur
die Autorin wird in die unbeschwerten Tage durch das Schreiben
zurückversetzt, sondern auch der Leser durch das Rezipieren der
Gedichte.
Im Gedicht „100
Küsse“ wird aus der Sicht eines Kindes beschrieben, wie wichtig ihm ein
anderer Mensch, wahrscheinlich ein Erwachsener, ist und wie sehr es
diesen Menschen mag. Von 100 Küssen gibt es einen seinem Teddybären und
99 dieser Person. Sehr einfühlsam werden die Gefühle des Kindes mit
wenigen, aber umso aussagekräftigeren Sätzen dem Leser direkt ins Herz
gelegt.
Den Titel des
Gedichtbandes gibt das Märchengedicht „Wie war das doch gleich?“
Sämtliche Motive aus den Grimms Märchen werden hier aufgegriffen und zu
einem Potpourri neu zusammengemischt. So schläft das tapfere
Schneiderlein im Rosenschloss, der Wolf schüttelt die Kissen aus und
Schneewittchen gelangt ins Pfefferkuchenhaus. Durch Einfallsreichtum und
Humor wird diese Wiederbegegnung mit den Märchen der Kindheit ein
besonderer Genuss.
Dass die Gedichte auch einen tieferen Sinn
haben können, zeigt „Zuhause ist es doch am schönsten“. Einen Troll aus
Norwegen friert es in seiner Heimat. Darum lässt er sich in einen
sonnigen Palmenwald schicken. Doch obwohl es dort angenehm warm ist,
treibt ihn das Heimweih zurück in den kalten Norden. Das Thema ist die
Sehnsucht nach der Heimat, einem Ort an dem man sich wohl fühlt und
dafür auch gerne auf andere Vorteile verzichtet. Ein anschauliches
Mittel sind dabei zwei Decken, die der Troll über und unter sich legt,
und nach seiner Rückkehr durch drei Decken ersetzen möchte. Die
abstrakte Aussage, sich in der Heimat trotz Schwierigkeiten wohl zu
fühlen, wird dadurch konkreter.
„Pudel Punadel“ ist dagegen ein Gedicht,
in dem es weniger darum geht, einen Inhalt zu vermitteln, als mit der
Sprache zu spielen. Dem Pudel hat sich ein na in den Namen eingeschoben,
sodass er nun „Punadel“ heißt. Er geht zu sämtlichen Tieren und möchte
ihnen das na anbieten, doch ihre Namen klingen durch die eingeschobene
Silbe komisch und sie lehnen alle mehr oder weniger freundlich ab.
Schließlich nimmt das S-Horn das na an und heißt von nun an Nashorn.
Durch die zusätzliche Silbe klingen die Namen der Tiere zwar recht
amüsant, dennoch werden hier die Möglichkeiten, mit der Sprache zu
spielen nicht ganz ausgeschöpft. Man hatte durchaus noch einfallsreicher
und kogenialer auf der sprachlichen Ebene arbeiten können.
Alle Gedichte sind sprachlich und
reimtechnisch einfach, aber dennoch tadellos. Die Worte sind gut
verständlich, immer zur Stimmung des jeweiligen Gedichts passend, oft
lautmalerisch oder spielerisch neu zusammengesetzt. Die Reime sind immer
perfekt, nie werden sie holperig oder zu flach. Daher sind die Texte
flüssig zu lesen.
Illustriert sind die Gedichte von Florian
Mitgutsch. Die Bilder zeichnen sich durch bunte, auffällige Farben und
einen angenehm runden, aber auch karikaturhaften Zeichenstil aus. Auch
durch aussagekräftige Gesichtsausdrücke bekommen die Figuren ihre
Wirkung. Selbst die Tiere haben menschliche Mimik und wirken dadurch
sehr lebendig. In „Matsch oder Marzipan“ wird das Schweinchen Rosa Motz
gebadet und blickt unzufrieden. Wenn es danach wieder in den Matsch
springt, kann mein seine Freude deutlich im Gesicht sehen. In „Wie man
kampflos gewinnen kann“ geht es um den Streit zwischen einem Eber und
einem Hammel. Auch hier wird durch besonders menschliche
Gesichtsausdrücke gegenseitiges Mistrauen gezeigt.
Nicht nur für Kinder, sondern auch für
Lyrikfreunde ist „Wie war das doch gleich?“ wärmstens zu empfehlen.
Hans-Joachim Gelberg: „Wo kommen die Worte her? Neue Gedichte für Kinder
und Erwachsene. Gedichte und Bilder aller Art“
Von Eva Bruchhausen
Hans-Joachim
Gelberg:
„Wo kommen die Worte her? Neue Gedichte für Kinder und Erwachsene.
Gedichte und Bilder aller Art“
Beltz Verlag 2011
262 Seiten, Euro 19,95
ISBN 978-3407799869
„Wo kommen die Worte her?“ fragt diese Gedichtsammlung und antwortet
vielstimmig. Ganz in der Handschrift von Hans-Joachim Gelberg, der hier
wieder geschickt Polyphones verbindet - sehr umfangreich und kaum zu
überschauen- und ganz in der Tradition der Jahrbücher, die viele Eltern
noch aus den siebziger Jahren kennen. Das Vorwort betont gleich die
persönliche, subjektive Auswahl: Nicht fehlt das Gedicht, das Gelberg
als Kind als Nachtgebet gesprochen hat, nicht fehlt der Ursprung des
Untertitels „Gedichte und Bilder aller Art“, der von Gelbergs Enkelin
stammt. Es ist der legendäre Gründer des Verlegers mit den orangenen
Büchern, und er hat sich die Autorität erarbeitet, nach eigenem Gusto
aussuchen zu können. Der Preis dafür ist ein kräftiger
Retro-Beigeschmack.
Sechs Großkapitel, mit Verszeilen überschrieben, keine leicht
eingängigen, keine thematische Einteilungen widerspiegelnde Titel:
„Deine Augen sind wie Sterne“ oder „Das Große bleibt nicht groß“.
Dahinter tummelt sich eine imposante Menge an herrlichen Gedichten, die
man nur zu gern liest, aufsagt, summt und auswendig lernt. Da sind
Brecht und Busch dabei und der alten Kämpen noch einige, Erich Fried und
Enzensberger, Guggenmos, Härtling, Jandl, dann aber auch an neueren,
jüngeren Nadia Budde, Susan Kreller, Judith Kurtzke. So trifft Scherz-
auf Grübelgedicht; ebenso wie bei der Buntheit der Illustratoren dunkle
Collage auf niedliches Tier. Was für ein Überblick!
Die Sammlung lässt jedoch nicht nur über deutsche Lyrik für Kinder
räsonnieren, sondern auch über das, was mit Kindheit seit den siebziger
Jahren geschehen ist und warum. Der irrsinnige Strudel, in den Kinder
heute geraten, sobald Erwachsene ihrer habhaft werden, lässt kaum zu,
dass Kinder mit Erwachsenen zusammensitzen und Kinder den Großen „Lyrik“
noch glauben. Es wird geredet und gedichtet von einem Leben, das vor
allem Unruhe und Stress bedeutet und auf die Bedürfnisse der Kleinen
niemals hört. Wurde das „Kindsein dürfen“, das sich in den Beltz und
Gelberg-Büchern der siebziger Jahre wie kaum irgendwo sonst
publizistisch niederschlug, mehr noch: angestoßen wurde - wurde das
„Kindsein dürfen“ nur oberflächlich aufs Schild gehoben, nur gespielt
damit? Wer in den Siebzigern Kind war, kennt die Nähe von Kindsein und
Ideologie. Der weiß, dass von den allermeisten Erwachsenen nie der Preis
bezahlt wurde, wirklich eine Kindheit zu beschützen, und der wundert
sich nicht, wie schnell all dieses Getue zur pädagogischen Mobilmachung
genutzt wurde. Ob es von dort einen direkten Weg zur heutigen Situation,
in der Kinder für den Wohlstandserhalt einer ganzen infantilen
Gesellschaft bereit gestellt werden sollen, gibt, darüber muss man
ernsthaft nachdenken.
Ausgerechnet mit einer richtig schönen Gedichtsammlung in der Hand? Wohl
schon. Denn Tränen treten dem Betrachter angesichts der sehr
geschmackvollen Gestaltung in die Augen. Könnten nicht mehr Bücher
heutzutage so aussehen? Muss immer alles überdreht sein, tanzend und
unübersichtlich? Der Buchdesigner von „Wo kommen die Worte her?“ tut
einem dennoch leid. Hat er im Vorwort noch mal etwas gelb markiert, auf
dass der hektische Leser mal was Hervorgehobenes sähe, hat er sich mal
einen Kreis um ein Gedicht erlaubt, scheint er doch beim Großteil des
Buches aufgegeben zu haben. So ist ein hübsches Buch drausgeworden,
jedoch kein mutiges, kein interessantes, gar visionär designtes. Auch
Schönes kann Staub ansetzen, natürlich.
Also ein Geschenkbuch. Halbleinen, gebunden, kein überzogenes
Überformat, lebend vom Nimbus des elder statesman. Ein
Schmuckband im Regal.
hinauf,
hinunter, Tag für Tag.“ (so fängt die Geschichte an)
Herrlich!
es reimt und
dichtet so vor sich hin,
wie schade,
dass ich kein Dichter bin.
bin nur ein
kleiner Rezensent,
doch hofft auch
der auf ein Happy End.
was soll ich
sagen, grandios geradezu,
das Buch vom
musikalischen Kakadu.
von seinen
Eltern nicht verstanden
kommt ihm die
Lust aufs Haus abhanden.
er schultert
seinen Dudelsack
und macht sich
auf im frohen Trab
ein Plätzchen
zu suchen,
warum nicht
unter Buchen?
oder am Teich?
doch alle
gleich,
die Freunde,
die er sucht in seiner Not
können ihm
nicht helfen und schicken ihn fort.
bis dass er
hört im tiefen Wald
ein Trommeln,
das in den Ohren hallt.
es ist der
Specht, der hocherfreut,
den Kakadu
einlädt und sich nicht scheut
ein Duo zu
gründen.
der Rest wird
sich finden.
kaum fangen sie
an zu musizieren,
kommen die
anderen Tiere und jubilieren.
Ein jeder ein
Instrument mitbringt
auf dem er
spielt: munter, beschwingt.
auch die Eltern
des kleinen Kakadu
fliegen herbei
und schauen zu.
Sie sind so
froh, dass das Dududelsackkind(en)
endlich ein
Plätzchen zum spielen konnt' finden.
hier ist er
glücklich, und sie haben ihre Ruh,
was wollen wir
mehr – Happy End, juppidu!
Ja, so in etwa
die Geschichte, nach selbigem Reimschema, wobei ich gestehen muss, dass
mir die Übung fehlt, es aber an der Lust nicht mangelt.
Ein wirklich
lustiges Buch von Silke Lambeck über einen Dudelsack spielenden Kakadu,
den eigentlich nichts anderes interessiert, als zu musizieren und der
dabei, nachdem er zuerst abgewiesen wurde, auch alle anderen Tiere des
Waldes ansteckt. Selbst seine Eltern müssen erkennen, dass die Musik des
Kakadus Berufung ist.
„Hier hat er
Freunde, die ihn hören,
hier kann er
andere betören.
Hier ist
glücklich, unser Bester.
Drum gründen
wir ein Waldorchester.“ (so hört die Geschichte auf)
Die
Illustrationen von Karsten Teich sprühen vor Leben. Sie sind bunt,
heiter, vital. Wer andere Bilderbücher von ihm gelesen hat, wird sofort
seinen Stil wiedererkennen. Kein Wunder, dass er zu den gefragtesten
Illustratoren des deutschsprachigen Raumes gehört.
Ein Reim-und
Hinguckvergnügen für Jung und Alt ab 3 Jahren
„Historia
incognita sprich: Die unbekannte Geschichte
Ein
Bild-Geschichtsbuch für alle ab 10 Jahre“
Verlag Pandora
2011
38 Seiten, 15
Euro
ISBN
978-3-9811145-8-4
Die Autorin
-Künstlerin und Dichterin zugleich- greift zu einer Maske: Eine, die
gern Mäuschen spielt, habe ihr eine Geschichte zugesteckt, und sie ist
nur die Chronistin der Ereignisse. Kinder in einem Dorf am Ende der Welt
haben einen Zirkus veranstaltet, und der Zirkus hat Geschichten erzählt
- anders als gewöhnlich erzählen hier nun Kindern Erwachsenen ihre
Geschichte. Es ist ein Spiel um Vorfahren und Nachfahren, in Reimform
und mit Rätseln gespickt, mit Liedern und einer Einladung, selbst
Melodien zu erfinden. . Erzählt wird von Emma, die mit ihrem Ross
Albatros losstürmt ins Leben. Dazu passend bietet dieses aufwendig
gestaltete Buch Collagen, die künstlerisch beeindruckend sind.
Diesen
Illustrationen ist jedes Naivisierende fremd, es gibt zum einen viel zu
entdecken, zum andere aber wird man verschont vor dem übersüßten
Bilderbuchterror der heutigen Zeit.
Durch die
Collagen -Zeitungsausrisse, Schnittmuster, Noten, Schattenrisse,
Photos- führt einen die kleine Maus. Sie taucht hier und da auf und ist
wie ein Leitfaden durch die Vielfalt des Lebens. Für Kinder ab 10 ist es
eine Reise ins Rätselhafte, die zum Mitraten, zum Denken und zum Träumen
einlädt..
Ina Nefzer (Hg.):„Gedanken wie
Schmetterlinge. Gedichte und Lyrics für Mädchen“
Von Ricarda Hochländer
Ina
Nefzer (Hg.):
„Gedanken wie
Schmetterlinge. Gedichte und Lyrics für Mädchen“
128 S., Euro 14,90
Thienemann Verlag 2010
ISBN 978-3522501934
Das Fenster für Gedichte öffnet sich in den
zwei, drei Jahren, in denen man sich das erste (und nicht das letzte)
Mal auf die Suche nach sich selbst macht. Es ist ein wertvoller
Zeitraum, um Lyrik ins Leben einkehren zu lassen. Dabei können
Poetisches schätzende Erwachsene helfen. Und die richtigen „Transfer“-Bücher,
die die Gefühle und den Geschmack von Teenagern erfassen, ohne sich
anzubiedern! Genau so eines ist „Gedanken wie Schmetterlinge. Gedichte
und Lyrics für Mädchen“. Darin finden sich die großen Themen der Lyrik,
einige bekannte deutsche Namen – wenige ausgesprochen für Jugendliche
schreibende Autoren, aber eine Auswahl, die den richtigen Ton für
Heranwachsende trifft. Sähe man nur die Gedichte, wäre ein leichtes
Schwanken in der Qualität zu bemerken. Das Gesamtbild, auf das es den
lesenden und so intensiv fühlenden Pubertierenden vor allem ankommt, ist
jedoch stimmig. Ein editorisch gewissenhaftes Buch, das spüren lässt,
wie ernst es seine Leser nimmt.
(Ab 12)
Von der Rezensentin ist in der
„Schriftenreihe: Essays zur Kinderliteratur“ erschienen: „„Erstickte
Hochkultur. Die deutsche zeitgenössische Kinderliteratur –zerrieben
zwischen Klientelismus, Partikularinteressen und Vorteilsnahme“(ISBN
978-3-938531-05-1)
Mathias Jeschke: „Wie
das Wiesel dem Riesen den Marsch blies“
Von Miriam Schneider
Mathias
Jeschke:
„Wie das Wiesel dem Riesen den Marsch blies“
Mit Illustrationen von Jens Rassmus
Boje-Verlag2010
64 S., Euro 9,95
ISBN 978-3414822482
Richtige Kindergedichte, lustig,
abenteuerlich, spielerisch, lautmalerisch und mit Worten werfend: Das
alles vollführt wie ein Jongleur in der Zirkusarena der Lyriker Matthias
Jeschke in seinem Buch „Wie das Wiesel dem Riesen den Marsch blies“. Ein
Titel, der zwar den Standards der Kindergedichte-Bände entspricht und so
wohl auch zum Kauf locken soll, der aber die Originalität der gerade
nicht zum Standard gehörenden Gedichte in diesem Buch nullkommanull
trifft. Jeschke, Jahrgang 1963, reimt nicht wie all die, die keinen
Abzweig finden aus der breiten Robert-Gernhardt-Schneise. Er hat die
Größe, Wortspiele auch mal ganz beiseitezuschieben, und auch, auf die
witzige Pointe zu verzichten. Schenkelklopfer produziert Jeschke nicht
(daher bitte auch nicht von den ersten Gedichten abschrecken lassen –
für deren Voranstellen gilt wohl dasselbe wie für den Titel.) Jeschkes
Gedichte sind intelligent und verlangen das auch vom Leser. Solche Leser
gibt es viele, was jeder weiß, der Kinder kennt, privat und nicht
beruflich. Das ist wohl das Stichwort: Berufskindertum in der Lyrik, gar
noch schultauglich, findet sich hier nicht; hier wird aus
Poesieverständnis, nicht aus „Wir sind jetzt alle mal Kind“ gedichtet.
Bei Gedichtbänden will man’s schön haben, und
so sind die Illustrationen alles andere als egal. Hier hat Jens Rassmus
gemalt wie Jeschke gedichtet: Zeitlos gut, kindgerecht und liebenswert.
Was ich zum Drachen Max wohl sage, ein wunderbares Buch, ganz ohne Frage.
Diesmal „macht“ Frau Dunker in Versen wie ein
Gedicht, trotzdem entgeht uns die Moral der Geschichte nicht.
Auch in Reimen versteht man rund um Max alles
sehr wohl, und die hübschen, kindgerechten Bilder dazu – toll.
Unser Drache Max hat ein stürmisches Gemüt.
Er wird allerdings unfreiwillig vom Unterricht befreit, und genau das
macht ihn schon wieder wütend. Er war nämlich nicht allein an der Unruhe
schuld, nur traut sich keiner der anderen Schüler ihn in Schutz zu
nehmen. Seine Mutter ist nicht begeistert und wohl
mit seiner Erziehung überfordert, seit der Vater die Familie verlassen
hat. Und Max vermisst ihn, und es macht es nicht besser, dass der Vater extra wegen einer Standpauke
kommt, im Gegenteil.
Max wird zum
„tierischen“ Psychologen, dem Raben, geschickt. Nach anfänglichen
Schwierigkeiten und Missverständnissen vertraut Max ihm und erfährt
dadurch, dass er auf keinen Fall nur böse ist, wie ihm andere
unterstellen wollen. Er ist eben gefühlsbetont und leicht aufzubringen bei
Ungerechtigkeit. Der Rabe erklärt ihm, dass die Trennung der Eltern
nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass er sich unverstanden und
teilweise ungeliebt fühlt. Und wenn er wütend Feuer und Rauch ausstößt
und dazu noch seine beeindruckende Größe ausspielt, kann den Mitschülern schon
Angst und Bange werden. Die machen ihn mit List zum „Buhmann“.
Max
tun die Sitzungen bei Herrn Rabe gut, und als er dort
die Häsin trifft, die versucht, etwas mehr Mut aufzubauen, kommen
die beiden sich freundschaftlich näher. Max ist zufrieden, und der
Friede ist auch daheim wieder hergestellt. Max kommt nach seiner
Wiederkehr an die Schule besser zurecht.
Wieder einmal beweist Kristina Dunker ihre
Kreativität, indem sie sich verständlicher Reime und der Romanfiguren
als
Tiere bedient, die vortrefflich ihr Thema, die Rolle des Außenseiters,der
eigentlich gar keiner sein will, transportieren. Dem Drachen Max muss nur
ein wenig geholfen werden muss, sich
einzufügen und ohne „Rauch“ Wünsche auszudrücken. Seine eigenen Wünsche... Einfach super.