Der Steinzeitjunge Yoa gelangt beim Versteckspiel in eine Höhle mit
vielen Tierbildern. Während er sie betrachtet, naht sich ein Bär heran.
Doch dank eines Raben, der den Bären ablenkt, kann Yoa entkommen. Als
Strafe, dass er die verbotene Höhle betreten hat, darf er sieben Tage
lang nicht mit den anderen Kindern spielen und muss dem Heiler helfen.
Yoa möchte den Vogel, der ihm Kraft verleiht, in die Höhle malen. Doch
dazu muss er selbst zum Vogel werden. Lange beobachtet er die Vögel.
Dann tritt eine Trockenzeit ein. Durch eine Vision, in der Yoa zum Vogel
wird, gelingt es ihm, herauszufinden, wo es Wasser gibt. So können alle
gerettet werden und der Vogel kann in der Höhle verewigt werden.
Dass ein Bilderbuch in der Steinzeit spielt, ist schon ungewöhnlich,
aber dass es auch noch ein ausführliches Vorwort von einer
Urgeschichtlerin erhält, ist noch außergewöhnlicher. Doch gerade dadurch
wird klar, wie viel Mühe sich die Autorin gegeben hat, die Zeit, in der
die Geschichte spielt, möglichst authentisch darzustellen. Es kommt vor,
wie die Menschen lebten, jagten und welche kulturellen Bräuche sie
hatten. Wenn der Bär erlegt wird, wird genau beschrieben, wozu seine
Bestandteile verwertet werden. Aber nicht nur durch die Atmosphäre wird
die realistische Steinzeit eingefangen: Die Einheit der Menschen mit der
Natur und den Tieren, wozu heute viele keinen Bezug mehr haben, aber
auch die Bedeutung von Spiritualität und Träumen als Offenbarung von
Unbewusstem haben eine wichtige Bedeutung für die Geschichte. Die Lösung
des Problems findet in Yoas Vision statt. Gleichzeitig erlangt er
dadurch sein Ziel, mit dem Vogel eine Einheit zu werden.
Die Figuren und Landschaften sind sehr realistisch gezeichnet und
erwecken das Gefühl von Lebensnähe und ungeschönter Realität. Die
erdfarbenen Töne und leicht verwischten Hintergründe erinnern aber auch
an Höhlenmalerei. Nicht nur durch die Geschichte, sondern auch durch die
lebendigen Bilder wird eine Atmosphäre geschaffen, die noch
beeindruckender ist als die Handlung selbst. Es ist das Gefühl der Zeit,
als Mensch und Natur noch im Einklang waren, eine Zeit, die trotz der
realistischen Darstellung wie verzaubert wirkt.
Als Anhang gibt es noch ein Klatschspiel und ein Lied, das allerdings
wegen seiner holprigen Reime und seines monotonen Inhalts überflüssig
ist.
„Flieg, Yoa, flieg!“ zeigt, dass auch im Bilderbuch eine gründliche
Recherche nötig ist und zu einem beeindruckenden Ergebnis führen kann.
Wer glaubt, dass
Nordsee-Möwen nicht walken können und bei schlechtem Wetter keinen
Regenmantel tragen, der kennt die Hanse nicht. Mit Einfallsreichtum und
einem feinen Gespür für Details entwirft die Autorin in großformatigen,
szenischen Illustrationen und einer klaren Sprache das Bild einer
Freundschaft. Einer Freundschaft zwischen Emma der Möwe und Max dem
Raben, zwei waschechten Hanseaten mit bärenstarker Abenteuerlaune, die
sich von Wind und Wetter nicht beirren lassen. Bei ihrem gemeinsamen
Ausflug zum Fußballstadion kommt es zu einem Unfall. Und weil Max ein
echter Freund ist, schenkt er Emma seinen letzten Keks. Was ist das für ein
KNALL? Plötzlich erscheint ein vorzeitliches Wollschaf mit Segelohren
und in den nächsten Tagen lernen die beiden jungen Abenteurer bei ihren
Vorfahren alles Wissenswerte über Bräuche, Gefahren, Alltag und Kultur
der Steinzeit. Es werden Beeren gesammelt, Flammen entzündet und Felle
gegerbt. Emmas Verletzung kann in echter Steinzeit-Manier geheilt
werden.
Und so hören kleine
und große Leseratten von einer Freundschaft, die von Cuxhaven bis in die
Steinzeit reicht und wieder zurück. Bildinventar und farbige
Ausgestaltung sorgen für Dynamik, Komik und die Lust am Entdecken. Die
Kleineren werden zum Miterzählen der Ereignisse und zum Wiedererkennen
von Motiven ermutigt. Sprachduktus und Schriftbild verführen Erst- und
Zweitklässler zum Selbstlesen. Emmas und Max’ Abenteuer macht Lust auf
Kulturgeschichte(n), Reisen und... „keksechte“ Freundschaft!
Die Rezensentin
ist Literatur- und Medienwissenschaftlerin.