„Die Geschichte vom blauen Planeten“ von Andri
Snær Magnason
Von Steffen Wunder
Andri
Snær Magnason
Die Geschichte vom blauen Planeten
Aus dem Isländischen von Andreas Blum
Leipziger Kinderbuchverlag 2007
127 S., Euro 12,90
ISBN: 978-3-89603-271-3
Wer hätte es gedacht, dass es irgendwo in unserem
Sonnensystem einen kleinen, unbekannten Planeten gibt, den man den ‚blauen
Planeten’ nennt? Gemeint ist nicht etwa ‚unser’ blauer Planet, sondern ein
Planet, auf dem nur Kinder leben, wilde Kinder, wie sie der Autor nennt. Wie ein
Märchen beginnt ‚Die Geschichte vom blauen Planeten’ mit „Es war einmal …“ und
im Grunde hat diese Geschichte all das, was ein wunderbares Märchen ausmacht:
Sympathische Protagonisten, spannende Abenteuer und viel Fantasie. Und doch hat
dieses Buch etwas einzigartiges, das es von einem gewöhnlichen Märchen abhebt.
Die Kinder des blauen Planeten führen ein
glückliches Leben, bis eines Tages Gaudi Galaktisch mit seinem Raumschiff auf
dem Planeten landet, ein „Fahrenderweltraumstaubsaugervertreter aber vor allem
Traumerfüller und Spaßbringer“, wie es auf seiner Visitenkarte steht. Er macht
den Kindern vor, wie langweilig doch ihr Leben ist, und gibt ihnen mithilfe von
Schmetterlingstaub die Möglichkeit zu fliegen, solange die Sonne darauf scheint.
Von nun an wollen die Kinder nichts anderes mehr als fliegen. Damit sie auch
nachts fliegen können, nagelt er die Sonne am Himmel fest. Außerdem vertreibt er
die Wolken und besprüht die Kinder mit einem Antihaft-Zauberspray, damit sie
sich nicht mehr waschen brauchen. Jede Tat kostet einen Anteil aus dem
Jugendbrunnen, den die Kinder im Herzen haben. Aber als beim großen Wettfliegen
zwei Kinder, Hülda und Brimir, versehentlich auf die andere Seite des Planeten
gelangen, bemerken sie, dass es den Kinder, die dort leben, schlecht geht. Sie
leben in ewiger Dunkelheit und Kälte und haben nicht genug zu essen. Weil es
ihnen unangenehm ist, erzählen Hülda und Brimir nicht, dass es ihnen auf ihrer
Seite sehr gut geht. Obwohl es diese Kinder selbst sehr schwer haben, sorgen sie
sich um Hülda und Brimir und helfen ihnen wieder heimzukommen. Dort wollen sie,
dass Gaudi den Nagel aus der Sonne zieht, doch die anderen Kinder sind dagegen,
weil sie nur an ihr eigenes Glück denken. Erst als die Kinder in der Dunkelheit
eine Kiste mit Decken und Essen schicken, obwohl sie selbst leiden, erkennen
sie, wie wichtig das soziale Zusammenleben ist und wollen auch, dass Gaudi die
Sonne von ihrer festen Stelle löst. Das wird er natürlich nicht um sonst machen.
Nun gilt es Gaudi zu überlisten, dass er den Kindern ihre Jugend zurückgibt und
den Kindern auf der dunklen Seite die Sonne wieder gibt …
Das Besondere an der Welt,
in der die Kinder leben, ist, dass es keine Erwachsenen gibt. Es gibt niemanden,
der ihnen Vorschriften macht, sie haben jede Freiheit und können tun und lassen,
was sie wollen. Sie sind mit der Natur verbunden und können mit den Tieren
reden. Trotz der Freiheit sind sie anfangs auch untereinander für sich da und
machen sich Geschenke. Auch wenn das Buch jede Menge Spannung und Spaß
verspricht, kann man vieles wichtige darin lernen. Man braucht keine besonderen
Fähigkeiten, um glücklich zu sein, nur sich selbst und die anderen. Wenn es
einem gut geht, hat man dennoch die Verantwortung gegenüber denen, den es
schlechter geht, und darf nicht einfach die Augen vor ihnen verschließen. Denn
Spaß ist nicht das wichtigste im Leben. Die Entscheidung der Mehrheit ist dabei
nicht immer die einzig richtige. Und nicht zuletzt sagt die Geschichte, dass man
sich von keinem übers Ohr hauen lassen darf.
Kleine Logikfehler, wie
dass die Flora der Insel ohne Regen überleben kann oder dass die Kinder mit dem
Antihaft-Zauberspray eingesprüht werden, als sie bereits dreckig sind, muss man
einfach ignorieren, denn wer achtet schon auf solche Kleinigkeiten, wenn man
sich in die Welt des blauen Planeten vertieft und mit Hülda und Brimir zittert.
Dieses Gefühl wird zusätzlich durch die farbigen Zeichnungen von Lisa S.
Rackwitz unterstützt.
‚Die Geschichte vom blauen
Planeten’ ist ein Buch, das nicht durch eine komplexe Handlung und viel Action
zu glänzen versucht, es brilliert durch Einfachheit, die den Reiz dieser
Geschichte ausmacht. Somit bleibt Platz für fantasievolle Ideen, einzigartige
Charaktere und moralische Werte, die in der Handlung nicht untergehen.
Der Rezensent ist
angehender Skandinavist und zudem Kinderbuchautor. 2009 wird von ihm im Autumnus
Verlag „Also bin ich ein Pinguin“ erscheinen.