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Eine eindringliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sucht

Simon Mason: Mondpicknick

Von Anne Spitzner

 

 

Simon Mason:

"Mondpicknick"

Carlsen Verlag 2013

304 S., € 14,90

ISBN 978-3551582829

 

 

 

 

 

Martha ist elf Jahre alt, ihr kleiner Bruder Tug fünf. Sie selbst sieht sich als die normalste Elfjährige an, die man sich vorstellen kann, aber in Marthas Leben ist gar nichts normal. Seit vor zwei Jahren ihre Mutter gestorben ist, hat sich ihr Vater verändert, hat aufgehört, sich um die beiden Kinder zu kümmern, und schließlich angefangen zu trinken. Es ist für Martha ganz normal, dafür zu sorgen, dass sie und Tug etwas zu essen haben und dass es im Haus einigermaßen sauber ist. Doch dann schalten sich ihre Großeltern in die Sache ein, drohen mit dem Jugendamt, und Martha muss feststellen, dass auch die ruhigste und organisierteste Elfjährige hilflos ist und ihren Vater nicht vom Alkoholismus heilen kann.

In „Mondpicknick“ erzählt Simon Mason die traurige Geschichte von Martha Luna, deren Name nicht von ungefähr „Mond“ bedeutet. Denn der Mond ist ein Symbol, das sich immer wieder verändert, je mehr Martha selbst sich verändert und je weiter sie und ihr Vater auseinanderdriften. Jedes Mal, wenn sie ihn ansieht, hat er eine andere Bedeutung für sie.

Beim Lesen von „Mondpicknick“ schwankt man ständig zwischen Lachen und Heulen. Tug, Marthas kleiner Bruder, sorgt für die dringend nötigen Lacher zwischendurch, obwohl man eigentlich nur weinen müsste, wenn man den Rest der Geschichte betrachtet.  Am Anfang ist weder dem Leser noch Martha klar, was mit ihrem Vater los ist; es gibt lediglich Anzeichen, zum Beispiel, dass er sich ganz anders benimmt als früher, seit Mama gestorben ist, dass er nicht mehr über sie redet und dass er verwahrlost und ungepflegt aussieht. Zunächst kann man sich das, sowohl als Martha als auch als Leser, noch mit seiner Trauer um seine Frau erklären; doch je weiter die Geschichte (und damit auch der Verfall von Marthas Vater) fortschreitet, desto deutlicher werden seine Symptome. Es braucht schließlich die klaren Worte einer Freundin, die Martha auf die Situation aufmerksam macht, und fortan versucht sie, alles zu vertuschen und ihren Vater ganz allein zu heilen. Sie will nicht, dass das Jugendamt kommt und sie und Tug auseinanderreißt; und sie will ihrem Vater nicht weggenommen werden.

Die Mechanismen, die bei Sucht und Ko-Abhängigkeit wirksam werden, stellt Mason aus der Sicht seiner elfjährigen Protagonistin beeindruckend einfach dar. Jeder Schritt ist nachvollziehbar, auch wenn man als Erwachsener und vor allem als externer Beobachter weiß, dass Martha damit nichts richtig machen kann. Die Entscheidung gegen die Sucht muss aus dem Süchtigen selbst kommen; aber woher soll eine Elfjährige das wissen, selbst, wenn sie sich Bücher aus der Bibliothek ausleiht? Ihre kühle Großmutter, zu der Martha und Tug schließlich kommen, sind da auch keine große Hilfe.

Im zweiten Drittel des Buches gibt es einen Abschnitt, in dem Marthas Vater nach einem Zusammenbruch beinahe von allein wieder auf die Beine kommt. Für einen Moment glaubt man tatsächlich, so wie Martha, dass alles gut werden könnte; aber dann kommt alles nur noch viel schlimmer. Genau so, wie es im wahren Leben ist. Dass es am Ende doch noch ein einigermaßen glückliches Ende gibt, kommt ein wenig überraschend, nachdem es die ganze Zeit über so traurig war; aber es ist ein sinnvolles Ende, und die Geschichte hört ja danach nicht einfach auf, sondern man kann sich gut vorstellen, wie sie weitergehen könnte.

Masons Poesie und Sprachmagie lassen einen so vollkommen in die Geschichte eintauchen, als wäre man tatsächlich elf Jahre alt und hätte einen alkoholkranken Vater und einen kleinen Bruder, um den man sich kümmern müsste. Und man kann sich nur wünschen, dass jeder Mensch, der in eine solche Situation gerät, eine solche Stärke besitzen würde wie Martha. Mit „Mondpicknick“ gelingt Mason eine eindringliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sucht und Ko-Abhängigkeit ebenso wie das Erzählen einer berührenden und wunderbaren Geschichte vom Erwachsenwerden.

 

 

 

 

Urvertrauen

John Green:  „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“

Von Susan Müller

 

Hazel und Augustus lernen sich in der Selbsthilfegruppe für Krebskranke kennen. Während Hazel schon länger und meist auf Drängen ihrer Eltern die Gruppe besucht, erscheint Augustus als  Begleitung von Isaac, der bald sein komplettes Augenlicht verlieren wird. Augustus starrt Hazel an, als hätte er einen Geist gesehen und irgendwann starrt sie zurück. Sie kann nicht wissen, dass sie seiner bereits verstorbenen Freundin sehr ähnlich sieht und dass mit dem Geist gar nicht so abwegig ist. Hazel stellt sich mit ihrem ganzen Namen dem Neuen vor und ab da spricht dieser sie nur noch komplett mit Hazel Grace an.

Er hat Knochenkrebs, der derzeit ruhig gestellt ist, doch Hazel schleppt ständig Sauerstoff mit sich herum, da ihre Lunge faul ist, wie sie selbst sagt. Hazel Grace und Augustus, inzwischen auch Gus genannt, haben viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel versuchen sich beide im Umgang mit ihrer Krankheit in Humor. Bald sind beide unzertrennlich und meistern ihr Schicksal gemeinsam. Hazel geht seit drei Jahren nicht mehr auf eine normale Schule, aber studiert im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Gus hat den statistischen Vorteil, dass man dem Knochenkrebs 80% ige Heilungschancen nachsagt. Derzeit landet Hazel auf der Intensivstation, weil ihre Lunge meint, verrückt spielen zu müssen. Ihr wird Wasser abgesaugt und schon geht es für Hazel mit Galgenhumor weiter.

 Und natürlich mit Gus. Der erfüllt ihr den Wunsch der Feen, den Kinder mit Krebs erfüllt bekommen. Hazel hat ihren schon für Disney World“ verplempert“, wie Gus es auszudrücken pflegt, aber seiner ist noch offen. Er reist mit ihr nach Amsterdam, um den Schriftsteller zu treffen, der ihr Lieblingsbuch geschrieben hat, welches aber ein so abruptes Ende hat, dass es Hazel nicht loslässt. Das Treffen ist für die Katz, aber die Zeit mit Gus ist wundervoll und bringt beide noch mehr und intensiver zusammen. Um die tolle Zeit nicht zu zerstören, vertraut Gus Hazel erst nach der Reise seinen größten Albtraum an. „Er strahlt aus allen Ecken seines Inneren“. Der Krebs ist zurück und schlimmer denn je, die Metstasen sind explodiert.
Hazel weicht keine Minute von seiner Seite und bereitet mit ihm auch seine Beerdigung vor, auch wenn sie bisher immer glaubte, vor ihm gehen zu müssen. Leider gibt es kein Happyend, die Schmerzmittel machen es Gus nur erträglicher, aber nicht aufhaltbar. Er stirbt.
Es ist zu Recht ein Bestsellerroman, denn die Geschichte dieser beiden unheilbar Erkrankten, die trotzdem mit soviel Urvertrauen in ihre Verliebtheit starten und all ihrer Verzweiflung noch etwas Positives, nämlich ihre Zweisamkeit, abringen können, bewundert der Leser. Sie geht unter die Haut und gibt zu denken. Sollte man nicht viel öfter mit weniger zufrieden sein?

John Green:

„Das Schicksal ist ein mieser Verräter“

Dtv / Reihe Hanser 2014

336 Seiten, Euro 9,99

ISBN 3-423-62583-X

 

Verlust eines Menschen

Jenny Han:  „Ohne dich kein Sommer“

Von Susan Müller

 

Belly kann sich auf nichts weiter konzentrieren, außer darauf, dass kein Sommer mehr sein wird, wie er mal war. Nichts macht ihr momentan Freude und kein freundliches Wort ihrer Freunde oder deren Aufmunterungsversuche erreichen sie. Wie auch, Susannah ist tot.

Von deren Krankheit wussten ihre Söhne Conrad und Jeremiah, sowie Belly, ihr Bruder Steven und Laurel, ihre Mutter und beste Freundin von Susannah. Ab jetzt ist aber nichts mehr wie es war und auch das Verhalten aller Beteiligten ist komplett anders. Zudem kann sich Belly nicht von Conrad, den sie als ihre große Liebe ansieht, lösen. Er ist aber so widersprüchlich in seinem Tun und Handeln. Am Tag der Beerdigung sind unschöne Dinge vorgefallen, die  Belly belasten. Und dann bittet Jeremiah sie, ihr zu helfen, weil Conrad  nicht in der Schule erscheint, aber doch demnächst seine Prüfung absolvieren muss. Sie finden ihm im Sommerhaus, dem Ort, wo alle im Sommer, in den Ferien,  jahrelang so glücklich waren. Hier lüftet sich auch bald das Geheimnis, dass Conrad dort ist, um den Verkauf dieses Hauses, den sein Vater angekurbelt hat, zu verhindern. Dafür hasst er ihn. Er will keine Prüfung schwänzen, sondern das Haus retten. Belly und Jeremiah helfen ihm, den Vater erstmal loszuwerden und die Interessentin auch. Außerdem pauken sie mit ihm Prüfungsstoff. Laurel erwacht aus ihrer Lethargie, die sie seit dem Tod ihrer Freundin umgibt, als Belly sie um Hilfe bittet. Erst wütend auf deren Verschwinden, erkennt sie, dass sie nicht allein trauert und vor allem die Jungs Hilfe brauchen. Sie stellt sich dem Vater der Jungs und kann so den Verkauf verhindern.  Belly ist glücklich, zumindest teilweise, denn Conrad wird wohl sein Herz nicht an sie verlieren, wie er auch seinem Bruder gegenüber zugibt. Nur der Leser erkennt die Halbherzigkeit dieser Aussage. Und der Phantasie des Lesers bleibt es auch überlassen, wie er das Ende bewertet, in dem Belly und Jeremiah gemeinsam unterwegs sind. Es ist eine tolle und gelungene Fortsetzung von „Der Sommer, als ich schön wurde“.

Dem Rezensenten bleibt hier nur die Empfehlung auf eigenes Erleben hin, denn Jenny Han hat gefühlvoll und echt die Achterbahnen der Gefühle verschiedener Betroffener wiedergespiegelt, die nach einem Trauerfall jeder für sich mit dem Verlust zurecht zu kommen versuchen.

(Ab 14

)

Jenny Han:

„Ohne dich kein Sommer“

Aus dem Englischen von Birgit Kollmann

dtv 2014

320 Seiten, Euro 8,95

ISBN 3-423-62567-8

Rührend, schmerzhaft und trotzdem hoffnungsvoll

Kai Lüftner, Katja Gehrmann: "Für immer"

Von Aneta Bučková

 

Kai Lüftner: "Für immer"

Mit Illustrationen von Katja Gehrmann

Beltz 2013

32 Seiten, Euro 12,95

ISBN 978-3407795465

 

 

 

 

Der Hör- und Kinderbücherautor Kai Lüftner hat zusammen mit der Illustratorin Katja Gehrmann einen tiefgründigen Anblick auf eine äußerst schmerzhafte Lebenssituation gestaltet. In ihrem empfindsamen sowie kindlich rationalen Bilderbuch begegnet der Leser dem kleinen Egon, der vor zwei Wochen seinen Papa verloren hat. Und zwar für immer. So ein Schnitt passiert im Leben ganz einfach, aber die Gefühle und Gedanken, die er in einem auslöst, sind gar nicht so leicht zu sortieren und zu bearbeiten. Geschweige die Reaktionen anderer Menschen, die sich auf einmal gegenüber Egon irgendwie komisch verhalten…

Eigentlich sieht alles genauso aus wie früher – die Straße oder der Kindergarten sind immer dieselben. Bis auf den Unterschied, dass ab jetzt nichts mehr je dasselbe sein wird. Der Papa ist weg für immer und gegen für immer gibt es keine Hilfe, auch wenn man sich den Kopf zerbrechen würde. Die Erwachsenen scheinen diese Ausweglosigkeit auch zu ahnen und teilen sich gegenüber von Egon in drei Läger auf – die Flüsterer mit ihren seltsamen Blicken und Phrasen, die Grinser mit ihrer Überheiterkeit und die Sprachlosen. Der Papa ist für immer weg, aber gleichzeitig für Egon auch für immer da, und zwar nicht nur als eine Erinnerung. Ein kleines Stück Papa bleibt in Egon selbst. Für immer.

So wie den Leuten in der Geschichte die Worte fehlen, geht auch der Textteil mit der Sprache eher sparsam um. Die wenigen Sätze, von Egon in der Ich-Form erzählt, ergänzen die wahrhaft narrativen Bilder, die an manchen Stellen alleine für sonst unerwähnte Szenen stehen. Das Buch an sich ist demnach eher sprachfrei als sprachlos. Die unaufdringlichen Illustrationen bringen auf eine suggestive, aber nicht angreifende Weise die Botschaft nahe. Als roten Faden zieht der Erzähler einen roten Papierdrachen durch die Seiten mit, den er zusammen mit dem Papa gebastelt hat und der sie beide immer noch verbindet. Der Drachen gibt ihm die Kraft, nach vorne zu schauen. Denn Egon und Mama wissen – es wird weitergehen, auch wenn es schwer sein wird.

Für immer ist auf jeden Fall ein sehr empfehlenswertes Buch, und zwar für alle Alterskategorien. Es kann so eine schwierigere Situation nicht „nur" veranschaulichen, sondern auch den Lesern helfen, sich mit solchem Geschehnis in ihrem Leben abzufinden. Angesichts des problemorientieren Themas sollten es allerdings die Kinder zusammen mit einem Erwachsenen lesen.

 

 

Hoch

 

 

 

Die kleinen Dinge des Lebens

Kim Fupz Aakson: "Radieschen von unten"

Von Selmas Parisi

 

Kim Fupz Aakson:

"Radieschen von unten"

Mit Illustrationen von Kamila Slocinska

Übersetzt von Maike Dörries

mixtvision Verlag 2012

48 S., € 10,90

ISBN 978-393943551

 

 

Was wären die letzten Worte eines Toten kurz bevor er in den Sarg gelegt wird? Nicht nur viele Kinder, sondern sicherlich auch der ein oder andere Erwachsene haben sich die Frage gestellt was wohl die Toten sagen würden bevor der Sargdeckel zugemacht wird.

 

Im Buch "Radieschen von unten" vertrauen die Toten ihre allerletzten Worte und Gedanken einem jungen  Bestatter. Das sind manchmal ganz lustige Lebensweisheiten und manchmal sind es ernsthafte Fragen über Leben und Tod. Der Protagonist der Geschichte tut das, was Bestatter so tun, er kümmert sich um die Toten. Doch ist der einsame junge Mann seiner grauen Alltagsroutine verfallen. Jeder Tag sieht bei ihm gleich aus, von morgens bis abends immer der gleiche Ablauf. Es scheint als ob dem Bestatter die Lebensfreude fehlen würde. Nur die toten Menschen, die durch sein Bestattungsinstitut ziehen, bringen Abwechslung in sein Leben. Einmal ist es ein glücklicher Opa in Sonntagskleidung, einmal ein Landwirt, der wissen will, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, einmal eine wütende Frau, die noch Tausend Pläne für ihr Leben hatte und schließlich ist es eines Tages eine hübsche junge Frau, die ihm weinend von ihren Träumen erzählt, und all den Dingen, die sie erleben wollte. Um die junge Frau zu trösten bringt der Bestatter ihr die Idee vom Paradies nahe und all den schönen Dingen, die dort auf sie warten. Danach wird er nachdenklich und beginnt das Leben um sich herum mit anderen Augen zu sehen. Langsam wird ihm klar, wie schön die Welt um ihn herum ist...

 

Der letzte Satz im Buch verursacht unumgänglich Gänsehaut Effekt, denn es wird einem selbst deutlich, wie selbstverständlich man all die schönen Dinge im Leben hinnimmt, anstatt einfach manchmal dankbar dafür zu sein, was man hat. Dann hält man kurz inne und sieht, dass sich plötzlich viele Möglichkeiten, neue Sichtweisen und neue Welten eröffnen wenn man nur bereit ist, etwas zu ändern. Immer wenn man einen von diesen schlechten Tag hat, an denen man denkt dass nichts funktioniert und man die Nase voll von allem hat, sollte man dieses Buch in die Hand nehmen.

Die Zeichnungen sind einfach, doch liebevoll gestaltet und passen wunderbar in die Stimmung der Geschichte.

 

"Radieschen von unten" ist eine witzig erzählte Geschichte, die auf einfühlsame Weise vermittelt, dass es niemals zu spät ist, sein Leben zu ändern und zu lernen, die scheinbar unwichtigen und kleinen Dinge des Lebens zu schätzen.

 

 

Hoch

 

 

 

Kitty Crowther: "Der Besuch vom kleinen Tod"

Wenn der Tod zur reizenden Person wird, ändert sich der Blick auf das Sterben

Ada Bieber

 

Kitty Crowther:

"Der Besuch vom kleinen Tod"

Aus dem Französischen von Maja von Vogel.

Carlsen Verlag 2011

24 S., 12,90 Euro

ISBN 978-3-551-51758-6

 

 

 

 

Tod und Sterben im Bilderbuch scheinen unweigerlich erschreckende und grauenerregende Themen zu sein und daher auch wenig geeignet für junge Leser. Doch das muss nicht zwangläufig zutreffen, wie viele Bilder- und Kinderbücher der letzten Jahre beweisen. Eines dieser Bücher ist das Bilderbuch „Der Besuch vom kleinen Tod“ von Kitty Crowther. Das Bilderbuch, in dem sowohl der Text als auch die feinen Buntstiftillustrationen von Kitty Cowther stammen, zeigt den Tod vordergründig in seinen stereotypen Klischeebildern – als Sensenmann, als Fährmann, in schwarz und bei Nacht! Doch brechen Text und Illustrationen diese oberflächlichen Zuschreibungen gleichzeitig auf, denn wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass der Tod als ein kleiner und sensibler Mann in Erscheinung tritt, der schüchtern, traurig und unverstanden die angstvollen Sterbenden mit sich nimmt. Obwohl er sich bemüht, so behutsam wie möglich zu sein, haben die Menschen schreckliche Angst vor ihm. „So ist das nun mal“ denkt der kleine Tod resigniert. Dass er von den sich ängstigenden Menschen völlig verkannt wird, machen auch schon die ersten Sätze klar: „Der Tod ist eine reizende kleine Person. Doch das weiß niemand.“ Das ändert sich erst, als der kleine Tod ein kleines Mädchen abholt, und diese sich tatsächlich über den Besuch des Todes freut. Mit diesem Mädchen ziehen Licht, Freude und Spiel in die Geschichte ein. Denn das kleine Mädchen und der kleine Tod tun einander gegenseitig gut. Während das Mädchen dankbar für die Erlösung von der qualvollen Krankheit ist, findet der kleine Tod endlich jemanden, der in ihm Positives erkennt. Das Mädchen führt dem Tod und dem Leser die erlösende Wirkung des Todes vor Augen und befreit den Tod dadurch von seinem Stigma.

Der kleine Tod und das kleine Mädchen sind beide als kindlich-naive Figuren angelegt, die im Spiel Freude erleben und ihre Identität voll entfalten können. Doch obwohl sie wie Kinder miteinander spielen, erzählt das Buch auch eine Liebesgeschichte zwischen den beiden. Auch wenn dies nur implizit vermittelt wird, so ist doch offensichtlich, dass sich der Tod in das Mädchen verliebt und beide zusammen glücklich und befreit leben können. Als das Mädchen das Totenreich auf dem Weg in ein neues Leben verlassen muss, erlebt der kleine Tod selbst, was Verlust bedeutet. Er muss lernen, mit dem Verlust zu leben und verfällt in Traurigkeit und tiefe Einsamkeit. Doch es wäre kein Buch für junge Leser, wenn nicht am Ende die Liebe – selbst im Totenreich – siegen würde. Das kleine Mädchen kehrt als helfender Engel zu ihm zurück und gemeinsam vermögen sie es sogar, den Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen.

Die Illustratorin und Autorin Kitty Crowther wird als Meisterin der Linie gelobt, denn in ihren Büchern dominieren feine, kindlich anmutende Linien die Illustrationen. Durch nur wenige Bildelemente und eine stark kindlich-naive Manier wendet sich das Buch direkt an junge Leser. Diese kindliche Bildsprache vermag es, den Schrecken des Themas zu mildern und ins Positive zu verkehren. Es verwundert daher auch nicht, dass das Buch 2010 mit dem Astrid Lindgren Memorial Award ausgezeichnet wurde. Diese zauberhafte Geschichte eignet sich bereits für Grundschulkinder und ist sowohl zum Vorlesen als auch zum Selbstlesen geeignet. Und sie hilft, Kindern eine neue Perspektive auf ein schwieriges und trauriges Thema zu ermöglichen, denn wenn der Tod eine kleine reizende Person ist, dann ändert sich auch der Blick auf das Sterben.

 

Hoch

 

 

Eine in sich geschlossene Geschichte über das Leben und den Tod

Norman T. Grant: Das Tödlein und das Mädchen mit den roten Haaren

Von Selma Parisi

 

Das Tödlein und das Mädchen mit den roten Haaren

Norman T. Grant mit Illustrationen von Christian Yeti Beirer

Kyrene Verlag 2011

24 S., €14,90

ISBN 978-3900009885

 

 

 

 

Es gibt Kinderbücher, die ein Leben lang im Gedächtnis bleiben, auch wenn man sie nicht zu seinen absoluten Lieblingsbüchern dazuzählen kann. Manchmal ist es die besondere Art wie ein Text erzählt wird, die sich in die Erinnerung einprägt, manchmal ist es die Einzigartigkeit der Zeichnungen, manchmal sind es bestimmte Gefühle, die in einem durch das Thema evoziert werden. Wenn man dann nach 20 Jahren das besagte Kinderbuch aufschlägt, sind die Bilder und die Worte sehr vertraut und man hat das Gefühl, als hätte man es gestern noch gelesen.

So ein Buch ist das Kinderbuch "Das Tödlein und das Mädchen mit den roten Haaren". Es behandelt ein für Kinder oft tabuisertes Thema, den Tod, und bringt dem Leser einen anderen, natürlichen und ganz offenen Blickwinkel darauf.

In dieser Geschichte wird der allwisende Tod von einem klugen kleinem Mädchen eines Besseren belehrt: Nachdem seine Oma stirbt, begegnet das Mädchen mit den roten Haaren dem Tödlein. Trotz aller zähneknirschender und schnaubender Bemühungen des Tödleins lässt sich das Mädchen nicht abschrecken und geht mit dem Knochenmann ein Gespräch ein, stellt ihm viele Fragen, die ihn in Verlegenheit bringen. Das Mädchen stellt fest, dass sich das Tödlein  über gar nichts freuen kann weil es allwissend ist. Plötzlich ist das Tödlein traurig darüber, sich schon seit vielen tausend Menschenleben nicht mehr gefreut zu haben. Da überrascht das Mädchen das Tödlein mit einer roten Blume und zeigt ihm wie man sich über alles, auch die ganz kleinen Dinge, freuen kann. Diese Geste bringt das Tödlein zum Nachdenken und es möchte den Menschen nicht mehr die Möglichkeit wegnehmen, sich zu freuen. Doch das Mädchen erklärt ihm dass sich die Menschen nur durch den Tod wirklich über das Leben freuen. Als es über seine Bedeutung für das Glück der Menschen bewusst wird, freut sich das Tödlein zusammen mit dem Mädchen.

Der Autor Norman T. Grant möchte erreichen, dass der Tod anders wahrgenommen wird, was ihm mit seiner verspielt ernsthaften Erzählweise auch gelingt. Die Illustrationen von Christian Yeti Beirer bringen mit ihren unerwarteten Details zusätzlich ein Augenzwinkern in die Erzählung.

Dies ist eine wunderbar in sich geschlossene Geschichte über das Leben und den Tod, und darüber, wie der Tod zum Leben gehört, um ihn wertvoll zu machen.

 

Hoch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

   
 

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