Eine eindringliche Auseinandersetzung mit dem Thema
Sucht
Simon Mason: Mondpicknick
Von Anne Spitzner
Simon
Mason:
"Mondpicknick"
Carlsen
Verlag 2013
304 S., €
14,90
ISBN
978-3551582829
Martha ist elf Jahre alt, ihr kleiner Bruder Tug fünf.
Sie selbst sieht sich als die normalste Elfjährige an, die man sich
vorstellen kann, aber in Marthas Leben ist gar nichts normal. Seit vor
zwei Jahren ihre Mutter gestorben ist, hat sich ihr Vater verändert, hat
aufgehört, sich um die beiden Kinder zu kümmern, und schließlich
angefangen zu trinken. Es ist für Martha ganz normal, dafür zu sorgen,
dass sie und Tug etwas zu essen haben und dass es im Haus einigermaßen
sauber ist. Doch dann schalten sich ihre Großeltern in die Sache ein,
drohen mit dem Jugendamt, und Martha muss feststellen, dass auch die
ruhigste und organisierteste Elfjährige hilflos ist und ihren Vater
nicht vom Alkoholismus heilen kann.
In „Mondpicknick“ erzählt Simon Mason die traurige
Geschichte von Martha Luna, deren Name nicht von ungefähr „Mond“
bedeutet. Denn der Mond ist ein Symbol, das sich immer wieder verändert,
je mehr Martha selbst sich verändert und je weiter sie und ihr Vater
auseinanderdriften. Jedes Mal, wenn sie ihn ansieht, hat er eine andere
Bedeutung für sie.
Beim Lesen von „Mondpicknick“ schwankt man ständig
zwischen Lachen und Heulen. Tug, Marthas kleiner Bruder, sorgt für die
dringend nötigen Lacher zwischendurch, obwohl man eigentlich nur weinen
müsste, wenn man den Rest der Geschichte betrachtet. Am Anfang ist
weder dem Leser noch Martha klar, was mit ihrem Vater los ist; es gibt
lediglich Anzeichen, zum Beispiel, dass er sich ganz anders benimmt als
früher, seit Mama gestorben ist, dass er nicht mehr über sie redet und
dass er verwahrlost und ungepflegt aussieht. Zunächst kann man sich das,
sowohl als Martha als auch als Leser, noch mit seiner Trauer um seine
Frau erklären; doch je weiter die Geschichte (und damit auch der Verfall
von Marthas Vater) fortschreitet, desto deutlicher werden seine
Symptome. Es braucht schließlich die klaren Worte einer Freundin, die
Martha auf die Situation aufmerksam macht, und fortan versucht sie,
alles zu vertuschen und ihren Vater ganz allein zu heilen. Sie will
nicht, dass das Jugendamt kommt und sie und Tug auseinanderreißt; und
sie will ihrem Vater nicht weggenommen werden.
Die Mechanismen, die bei Sucht und Ko-Abhängigkeit
wirksam werden, stellt Mason aus der Sicht seiner elfjährigen
Protagonistin beeindruckend einfach dar. Jeder Schritt ist
nachvollziehbar, auch wenn man als Erwachsener und vor allem als
externer Beobachter weiß, dass Martha damit nichts richtig machen kann.
Die Entscheidung gegen die Sucht muss aus dem Süchtigen selbst kommen;
aber woher soll eine Elfjährige das wissen, selbst, wenn sie sich Bücher
aus der Bibliothek ausleiht? Ihre kühle Großmutter, zu der Martha und
Tug schließlich kommen, sind da auch keine große Hilfe.
Im zweiten Drittel des Buches gibt es einen Abschnitt, in
dem Marthas Vater nach einem Zusammenbruch beinahe von allein wieder auf
die Beine kommt. Für einen Moment glaubt man tatsächlich, so wie Martha,
dass alles gut werden könnte; aber dann kommt alles nur noch viel
schlimmer. Genau so, wie es im wahren Leben ist. Dass es am Ende doch
noch ein einigermaßen glückliches Ende gibt, kommt ein wenig
überraschend, nachdem es die ganze Zeit über so traurig war; aber es ist
ein sinnvolles Ende, und die Geschichte hört ja danach nicht einfach
auf, sondern man kann sich gut vorstellen, wie sie weitergehen könnte.
Masons Poesie und Sprachmagie lassen einen so vollkommen
in die Geschichte eintauchen, als wäre man tatsächlich elf Jahre alt und
hätte einen alkoholkranken Vater und einen kleinen Bruder, um den man
sich kümmern müsste. Und man kann sich nur wünschen, dass jeder Mensch,
der in eine solche Situation gerät, eine solche Stärke besitzen würde
wie Martha. Mit „Mondpicknick“ gelingt Mason eine eindringliche
Auseinandersetzung mit dem Thema Sucht und Ko-Abhängigkeit ebenso wie
das Erzählen einer berührenden und wunderbaren Geschichte vom
Erwachsenwerden.
Urvertrauen
John Green: „Das Schicksal ist ein mieser
Verräter“
Von Susan Müller
Hazel und Augustus lernen sich in der
Selbsthilfegruppe für Krebskranke kennen. Während Hazel schon länger und
meist auf Drängen ihrer Eltern die Gruppe besucht, erscheint Augustus
als Begleitung von Isaac, der bald sein komplettes Augenlicht verlieren
wird. Augustus starrt Hazel an, als hätte er einen Geist gesehen und
irgendwann starrt sie zurück. Sie kann nicht wissen, dass sie seiner
bereits verstorbenen Freundin sehr ähnlich sieht und dass mit dem Geist
gar nicht so abwegig ist. Hazel stellt sich mit ihrem ganzen Namen dem
Neuen vor und ab da spricht dieser sie nur noch komplett mit Hazel Grace
an.
Er hat Knochenkrebs, der derzeit ruhig gestellt
ist, doch Hazel schleppt ständig Sauerstoff mit sich herum, da ihre
Lunge faul ist, wie sie selbst sagt. Hazel Grace und Augustus,
inzwischen auch Gus genannt, haben viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel
versuchen sich beide im Umgang mit ihrer Krankheit in Humor. Bald sind
beide unzertrennlich und meistern ihr Schicksal gemeinsam. Hazel geht
seit drei Jahren nicht mehr auf eine normale Schule, aber studiert im
Rahmen ihrer Möglichkeiten. Gus hat den statistischen Vorteil, dass man
dem Knochenkrebs 80% ige Heilungschancen nachsagt. Derzeit landet Hazel
auf der Intensivstation, weil ihre Lunge meint, verrückt spielen zu
müssen. Ihr wird Wasser abgesaugt und schon geht es für Hazel mit
Galgenhumor weiter.
Und natürlich mit Gus. Der erfüllt ihr den Wunsch
der Feen, den Kinder mit Krebs erfüllt bekommen. Hazel hat ihren schon
für Disney World“ verplempert“, wie Gus es auszudrücken pflegt, aber
seiner ist noch offen. Er reist mit ihr nach Amsterdam, um den
Schriftsteller zu treffen, der ihr Lieblingsbuch geschrieben hat,
welches aber ein so abruptes Ende hat, dass es Hazel nicht loslässt. Das
Treffen ist für die Katz, aber die Zeit mit Gus ist wundervoll und
bringt beide noch mehr und intensiver zusammen. Um die tolle Zeit nicht
zu zerstören, vertraut Gus Hazel erst nach der Reise seinen größten
Albtraum an. „Er strahlt aus allen Ecken seines Inneren“. Der Krebs ist
zurück und schlimmer denn je, die Metstasen sind explodiert.
Hazel weicht keine Minute von seiner Seite und bereitet mit ihm auch
seine Beerdigung vor, auch wenn sie bisher immer glaubte, vor ihm gehen
zu müssen. Leider gibt es kein Happyend, die Schmerzmittel machen es Gus
nur erträglicher, aber nicht aufhaltbar. Er stirbt.
Es ist zu Recht ein Bestsellerroman, denn die Geschichte dieser beiden
unheilbar Erkrankten, die trotzdem mit soviel Urvertrauen in ihre
Verliebtheit starten und all ihrer Verzweiflung noch etwas Positives,
nämlich ihre Zweisamkeit, abringen können, bewundert der Leser. Sie geht
unter die Haut und gibt zu denken. Sollte man nicht viel öfter mit
weniger zufrieden sein?
John Green:
„Das Schicksal ist ein mieser Verräter“
Dtv / Reihe Hanser 2014
336 Seiten, Euro 9,99
ISBN
3-423-62583-X
Verlust eines Menschen
Jenny Han: „Ohne dich kein Sommer“
Von Susan Müller
Belly kann sich auf nichts weiter konzentrieren,
außer darauf, dass kein Sommer mehr sein wird, wie er mal war. Nichts
macht ihr momentan Freude und kein freundliches Wort ihrer Freunde oder
deren Aufmunterungsversuche erreichen sie. Wie auch, Susannah ist tot.
Von deren Krankheit wussten ihre Söhne Conrad und
Jeremiah, sowie Belly, ihr Bruder Steven und Laurel, ihre Mutter und
beste Freundin von Susannah. Ab jetzt ist aber nichts mehr wie es war
und auch das Verhalten aller Beteiligten ist komplett anders. Zudem kann
sich Belly nicht von Conrad, den sie als ihre große Liebe ansieht,
lösen. Er ist aber so widersprüchlich in seinem Tun und Handeln. Am Tag
der Beerdigung sind unschöne Dinge vorgefallen, die Belly belasten. Und
dann bittet Jeremiah sie, ihr zu helfen, weil Conrad nicht in der
Schule erscheint, aber doch demnächst seine Prüfung absolvieren muss.
Sie finden ihm im Sommerhaus, dem Ort, wo alle im Sommer, in den
Ferien, jahrelang so glücklich waren. Hier lüftet sich auch bald das
Geheimnis, dass Conrad dort ist, um den Verkauf dieses Hauses, den sein
Vater angekurbelt hat, zu verhindern. Dafür hasst er ihn. Er will keine
Prüfung schwänzen, sondern das Haus retten. Belly und Jeremiah helfen
ihm, den Vater erstmal loszuwerden und die Interessentin auch. Außerdem
pauken sie mit ihm Prüfungsstoff. Laurel erwacht aus ihrer Lethargie,
die sie seit dem Tod ihrer Freundin umgibt, als Belly sie um Hilfe
bittet. Erst wütend auf deren Verschwinden, erkennt sie, dass sie nicht
allein trauert und vor allem die Jungs Hilfe brauchen. Sie stellt sich
dem Vater der Jungs und kann so den Verkauf verhindern. Belly ist
glücklich, zumindest teilweise, denn Conrad wird wohl sein Herz nicht an
sie verlieren, wie er auch seinem Bruder gegenüber zugibt. Nur der Leser
erkennt die Halbherzigkeit dieser Aussage. Und der Phantasie des Lesers
bleibt es auch überlassen, wie er das Ende bewertet, in dem Belly und
Jeremiah gemeinsam unterwegs sind. Es ist eine tolle und gelungene
Fortsetzung von „Der Sommer, als ich schön wurde“.
Dem Rezensenten bleibt hier nur die Empfehlung auf
eigenes Erleben hin, denn Jenny Han hat gefühlvoll und echt die
Achterbahnen der Gefühle verschiedener Betroffener wiedergespiegelt, die
nach einem Trauerfall jeder für sich mit dem Verlust zurecht zu kommen
versuchen.
(Ab 14
)
Jenny Han:
„Ohne dich kein Sommer“
Aus dem Englischen von Birgit Kollmann
dtv 2014
320 Seiten, Euro 8,95
ISBN
3-423-62567-8
Rührend, schmerzhaft und
trotzdem hoffnungsvoll
Kai Lüftner, Katja Gehrmann:
"Für immer"
Von Aneta Bučková
Kai
Lüftner: "Für immer"
Mit Illustrationen von Katja
Gehrmann
Beltz 2013
32 Seiten, Euro 12,95
ISBN 978-3407795465
Der Hör- und
Kinderbücherautor Kai Lüftner hat zusammen mit der Illustratorin Katja
Gehrmann einen tiefgründigen Anblick auf eine äußerst schmerzhafte
Lebenssituation gestaltet. In ihrem empfindsamen sowie kindlich
rationalen Bilderbuch begegnet der Leser dem kleinen Egon, der vor zwei
Wochen seinen Papa verloren hat. Und zwar für immer. So ein Schnitt
passiert im Leben ganz einfach, aber die Gefühle und Gedanken, die er in
einem auslöst, sind gar nicht so leicht zu sortieren und zu bearbeiten.
Geschweige die Reaktionen anderer Menschen, die sich auf einmal
gegenüber Egon irgendwie komisch verhalten…
Eigentlich
sieht alles genauso aus wie früher – die Straße oder der Kindergarten
sind immer dieselben. Bis auf den Unterschied, dass ab jetzt nichts mehr
je dasselbe sein wird. Der Papa ist weg für immer und gegen für immer
gibt es keine Hilfe, auch wenn man sich den Kopf zerbrechen würde. Die
Erwachsenen scheinen diese Ausweglosigkeit auch zu ahnen und teilen sich
gegenüber von Egon in drei Läger auf – die Flüsterer mit ihren seltsamen
Blicken und Phrasen, die Grinser mit ihrer Überheiterkeit und die
Sprachlosen. Der Papa ist für immer weg, aber gleichzeitig für Egon auch
für immer da, und zwar nicht nur als eine Erinnerung. Ein kleines Stück
Papa bleibt in Egon selbst. Für immer.
So wie den
Leuten in der Geschichte die Worte fehlen, geht auch der Textteil mit
der Sprache eher sparsam um. Die wenigen Sätze, von Egon in der Ich-Form
erzählt, ergänzen die wahrhaft narrativen Bilder, die an manchen Stellen
alleine für sonst unerwähnte Szenen stehen. Das Buch an sich ist demnach
eher sprachfrei als sprachlos. Die unaufdringlichen Illustrationen
bringen auf eine suggestive, aber nicht angreifende Weise die Botschaft
nahe. Als roten Faden zieht der Erzähler einen roten Papierdrachen durch
die Seiten mit, den er zusammen mit dem Papa gebastelt hat und der sie
beide immer noch verbindet. Der Drachen gibt ihm die Kraft, nach vorne
zu schauen. Denn Egon und Mama wissen – es wird weitergehen, auch wenn
es schwer sein wird.
Für immer ist
auf jeden Fall ein sehr empfehlenswertes Buch, und zwar für alle
Alterskategorien. Es kann so eine schwierigere Situation nicht „nur"
veranschaulichen, sondern auch den Lesern helfen, sich mit solchem
Geschehnis in ihrem Leben abzufinden. Angesichts des problemorientieren
Themas sollten es allerdings die Kinder zusammen mit einem Erwachsenen
lesen.
Was wären die letzten
Worte eines Toten kurz bevor er in den Sarg gelegt wird? Nicht nur viele
Kinder, sondern sicherlich auch der ein oder andere Erwachsene haben
sich die Frage gestellt was wohl die Toten sagen würden bevor der
Sargdeckel zugemacht wird.
Im Buch "Radieschen von
unten" vertrauen die Toten ihre allerletzten Worte und Gedanken einem
jungen Bestatter. Das sind manchmal ganz lustige Lebensweisheiten und
manchmal sind es ernsthafte Fragen über Leben und Tod. Der Protagonist der Geschichte tut das, was Bestatter so tun, er
kümmert sich um die Toten. Doch ist der einsame junge Mann seiner grauen Alltagsroutine verfallen. Jeder Tag sieht bei ihm
gleich aus, von morgens bis abends immer der gleiche Ablauf. Es scheint
als ob dem Bestatter die Lebensfreude fehlen würde. Nur die toten
Menschen, die durch sein Bestattungsinstitut ziehen, bringen Abwechslung
in sein Leben. Einmal ist es ein glücklicher Opa in Sonntagskleidung,
einmal ein Landwirt, der wissen will, ob es ein Leben nach dem Tod gibt,
einmal eine wütende Frau, die noch Tausend Pläne für ihr Leben hatte und
schließlich ist es eines Tages eine hübsche junge Frau, die ihm weinend
von ihren Träumen erzählt, und all den Dingen, die sie erleben wollte.
Um die junge Frau zu trösten bringt der Bestatter ihr die Idee vom
Paradies nahe und all den schönen Dingen, die dort auf sie warten.
Danach wird er nachdenklich und beginnt das Leben um sich
herum mit anderen Augen zu sehen. Langsam wird ihm klar, wie schön die
Welt um ihn herum ist...
Der letzte Satz im Buch
verursacht unumgänglich Gänsehaut Effekt, denn es wird einem selbst
deutlich, wie selbstverständlich man all die schönen Dinge im Leben
hinnimmt, anstatt einfach manchmal dankbar dafür zu sein, was man hat.
Dann hält man kurz inne und sieht, dass sich plötzlich viele
Möglichkeiten, neue Sichtweisen und neue Welten eröffnen wenn man nur
bereit ist, etwas zu ändern. Immer wenn man einen von diesen schlechten
Tag hat, an denen man denkt dass nichts funktioniert und man die Nase
voll von allem hat, sollte man dieses Buch in die Hand nehmen.
Die
Zeichnungen sind einfach, doch liebevoll gestaltet und passen wunderbar
in die Stimmung der Geschichte.
"Radieschen von unten"
ist eine witzig erzählte Geschichte, die auf
einfühlsame Weise vermittelt, dass es niemals zu spät ist, sein
Leben zu ändern und zu lernen, die scheinbar unwichtigen und kleinen
Dinge des Lebens zu schätzen.
Wenn der Tod zur reizenden Person wird, ändert sich
der Blick auf das Sterben
Ada Bieber
Kitty
Crowther:
"Der Besuch
vom kleinen Tod"
Aus dem
Französischen von Maja von Vogel.
Carlsen
Verlag 2011
24
S., 12,90 Euro
ISBN
978-3-551-51758-6
Tod und
Sterben im Bilderbuch scheinen unweigerlich erschreckende und
grauenerregende Themen zu sein und daher auch wenig geeignet für junge
Leser. Doch das muss nicht zwangläufig zutreffen, wie viele Bilder- und
Kinderbücher der letzten Jahre beweisen. Eines dieser Bücher ist das
Bilderbuch „Der Besuch vom kleinen Tod“ von Kitty Crowther. Das
Bilderbuch, in dem sowohl der Text als auch die feinen
Buntstiftillustrationen von Kitty Cowther stammen, zeigt den Tod
vordergründig in seinen stereotypen Klischeebildern – als Sensenmann,
als Fährmann, in schwarz und bei Nacht! Doch brechen Text und
Illustrationen diese oberflächlichen Zuschreibungen gleichzeitig auf,
denn wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass der Tod als ein kleiner
und sensibler Mann in Erscheinung tritt, der schüchtern, traurig und
unverstanden die angstvollen Sterbenden mit sich nimmt. Obwohl er sich
bemüht, so behutsam wie möglich zu sein, haben die Menschen schreckliche
Angst vor ihm. „So ist das nun mal“ denkt der kleine Tod resigniert.
Dass er von den sich ängstigenden Menschen völlig verkannt wird, machen
auch schon die ersten Sätze klar: „Der Tod ist eine reizende kleine
Person. Doch das weiß niemand.“ Das ändert sich erst, als der kleine Tod
ein kleines Mädchen abholt, und diese sich tatsächlich über den Besuch
des Todes freut. Mit diesem Mädchen ziehen Licht, Freude und Spiel in
die Geschichte ein. Denn das kleine Mädchen und der kleine Tod tun
einander gegenseitig gut. Während das Mädchen dankbar für die Erlösung
von der qualvollen Krankheit ist, findet der kleine Tod endlich
jemanden, der in ihm Positives erkennt. Das Mädchen führt dem Tod und
dem Leser die erlösende Wirkung des Todes vor Augen und befreit den Tod
dadurch von seinem Stigma.
Der kleine
Tod und das kleine Mädchen sind beide als kindlich-naive Figuren
angelegt, die im Spiel Freude erleben und ihre Identität voll entfalten
können. Doch obwohl sie wie Kinder miteinander spielen, erzählt das Buch
auch eine Liebesgeschichte zwischen den beiden. Auch wenn dies nur
implizit vermittelt wird, so ist doch offensichtlich, dass sich der Tod
in das Mädchen verliebt und beide zusammen glücklich und befreit leben
können. Als das Mädchen das Totenreich auf dem Weg in ein neues Leben
verlassen muss, erlebt der kleine Tod selbst, was Verlust bedeutet. Er
muss lernen, mit dem Verlust zu leben und verfällt in Traurigkeit und
tiefe Einsamkeit. Doch es wäre kein Buch für junge Leser, wenn nicht am
Ende die Liebe – selbst im Totenreich – siegen würde. Das kleine Mädchen
kehrt als helfender Engel zu ihm zurück und gemeinsam vermögen sie es
sogar, den Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen.
Die
Illustratorin und Autorin Kitty Crowther wird als Meisterin der Linie
gelobt, denn in ihren Büchern dominieren feine, kindlich anmutende
Linien die Illustrationen. Durch nur wenige Bildelemente und eine stark
kindlich-naive Manier wendet sich das Buch direkt an junge Leser. Diese
kindliche Bildsprache vermag es, den Schrecken des Themas zu mildern und
ins Positive zu verkehren. Es verwundert daher auch nicht, dass das Buch
2010 mit dem Astrid Lindgren Memorial Award ausgezeichnet wurde. Diese
zauberhafte Geschichte eignet sich bereits für Grundschulkinder und ist
sowohl zum Vorlesen als auch zum Selbstlesen geeignet. Und sie hilft,
Kindern eine neue Perspektive auf ein schwieriges und trauriges Thema zu
ermöglichen, denn wenn der Tod eine kleine reizende Person ist, dann
ändert sich auch der Blick auf das Sterben.
Eine in sich
geschlossene Geschichte über das Leben und den Tod
Norman T. Grant:
Das Tödlein und das Mädchen mit den roten
Haaren
Von Selma Parisi
Das
Tödlein und das Mädchen mit den roten Haaren
Norman T. Grant mit
Illustrationen von Christian Yeti Beirer
Kyrene
Verlag 2011
24 S.,
€14,90
ISBN
978-3900009885
Es gibt Kinderbücher,
die ein Leben lang im Gedächtnis bleiben, auch wenn man sie nicht zu
seinen absoluten Lieblingsbüchern dazuzählen kann. Manchmal ist es die
besondere Art wie ein Text erzählt wird, die sich in die Erinnerung
einprägt, manchmal ist es die Einzigartigkeit der Zeichnungen, manchmal
sind es bestimmte Gefühle, die in einem durch das Thema evoziert werden.
Wenn man dann nach 20 Jahren das besagte Kinderbuch aufschlägt, sind die
Bilder und die Worte sehr vertraut und man hat das Gefühl, als hätte man
es gestern noch gelesen.
So ein Buch ist das
Kinderbuch "Das Tödlein und das Mädchen mit den roten Haaren". Es
behandelt ein für Kinder oft tabuisertes Thema, den Tod, und bringt dem
Leser einen
anderen, natürlichen und ganz offenen Blickwinkel darauf.
In dieser Geschichte
wird der allwisende Tod von einem klugen kleinem Mädchen eines Besseren
belehrt: Nachdem seine Oma stirbt, begegnet das Mädchen mit den roten
Haaren dem Tödlein. Trotz aller zähneknirschender und schnaubender
Bemühungen des Tödleins lässt sich das Mädchen nicht abschrecken und
geht mit dem Knochenmann ein Gespräch ein, stellt ihm viele Fragen, die
ihn in Verlegenheit bringen. Das Mädchen stellt fest, dass sich das
Tödlein über gar nichts freuen kann weil es allwissend ist. Plötzlich
ist das Tödlein traurig darüber, sich schon seit vielen tausend
Menschenleben nicht mehr gefreut zu haben. Da überrascht das Mädchen das
Tödlein mit einer roten Blume und zeigt ihm wie man sich über alles,
auch die ganz kleinen Dinge, freuen kann. Diese Geste bringt das Tödlein
zum Nachdenken und es möchte den Menschen nicht mehr die Möglichkeit
wegnehmen, sich zu freuen. Doch das Mädchen erklärt ihm dass sich die
Menschen nur durch den Tod wirklich über das Leben freuen. Als es über
seine Bedeutung für das Glück der Menschen bewusst wird, freut sich das
Tödlein zusammen mit dem Mädchen.
Der Autor Norman T.
Grant möchte erreichen, dass der Tod anders wahrgenommen wird, was ihm
mit seiner verspielt ernsthaften Erzählweise auch gelingt. Die
Illustrationen von Christian Yeti Beirer bringen mit ihren unerwarteten
Details zusätzlich ein Augenzwinkern in die Erzählung.
Dies ist eine wunderbar
in sich geschlossene Geschichte über das Leben und den Tod, und
darüber, wie der Tod zum Leben gehört, um ihn wertvoll zu machen.