Shel Silverstein: "Der Baum, der sich nicht lumpen ließ"
Von Steffen
Wunder
Shel
Silverstein:
"Der Baum,
der sich nicht lumpen ließ"
Mit Illustrationen von Nishant Choksi
Übersetz
von Harry Rowohlt
Kein und Aber,
2011
Euro 12,90, 64
Seiten
ISBN
978-3036952765
Nur wenige Strichzeichnungen, ein paar knappe Texte und eine einfache
Geschichte – mehr braucht man nicht, um diese Parabel über Geben und
Nehmen zu erzählen: Zwischen einem Baum und einem Jungen entsteht eine
enge Freundschaft. Der Baum gibt ihm von seinen Äpfeln, lässt ihn an
seinen Ästen schaukeln, an seinem Stamm hochklettern und spendet ihm
Schatten. Dem Jungen Freude zu machen, ist für den Baum ein Vergnügen.
Doch der Junge wird erwachsen und verlässt seinen Freund, den Baum. Als
er wiederkommt, hat er kein Interesse mehr zu spielen. Er braucht Geld.
Natürlich möchte ihm der Baum nach wie vor helfen und gibt dem Jungen
all seine Äpfel, um sie zu verkaufen. Doch bald darauf möchte er für
seine Familie ein Haus bauen und bekommt vom Baum die Äste. Schließlich
opfert der Baum seinen Stamm, damit sich sein Freund ein Boot daraus
anfertigen kann. Doch darauf ist der Baum nichts mehr als ein
Baumstumpf. Als der Junge, inzwischen ein alter Mann, wiederkommt, kann
ihm der Baum nichts mehr geben. Der Greis ist müde und hat das
Bedürfnis, sich zu setzen. So kann ihm der Baum eine Sitzgelegenheit
bieten. Und wie jedes Mal, wenn der Baum dem Jungen etwas geben konnte,
ist auch er glücklich.
Es muss nicht immer kompliziert sein. Die Frage nach dem Warum und nach
jeglicher Logik sind hier fehl am Platz. Oft liegen der Reiz und die
Schönheit im Einfachen. Doch was will uns diese Geschichte sagen? Hier
merkt man, dass Einfaches doch nicht immer einfach sein muss. Ist es,
dass Geben immer schöner ist als Nehmen? Schließlich opfert sich der
Baum, bis er nur noch ein Stumpf ist, ohne je etwas zurückzubekommen.
Und trotzdem ist er immer glücklich. Dennoch: Eine Kleinigkeit bekommt
er schon zurück. Dem Jungen helfen zu können und ihn glücklich zu sehen,
ist für den Baum Lohn genug. Oder wird etwa der Junge kritisiert? Hätte
er die Hilfe des Baumes nicht annehmen dürfen? Hätte er ihm dafür etwas
geben müssen? Oder ist der Baum etwa selbst schuld, weil er sich
ausbeuten lässt? Wird allgemein unsere Einstellung kritisiert, für alle
Leistungen insgeheim eine Gegenleistung zu erwarten und uns auf der
anderen Seite schuldig zu fühlen, wenn wir eine Leistung annehmen? All
diese Fragen wirft die Geschichte auf und lässt durch ihre Schlichtheit
genug Raum zum Nachdenken. Eine Antwort muss jeder Leser für sich selbst
finden.
Sokrates als Superman?
Stephen Law:
"Denkst du, wenn du denkst, dass du denkst? Philosophie für Kinder"
Von Steffen Bollermann
Stephen Law:
"Denkst du,
wenn du denkst, dass du denkst? Philosophie für Kinder"
Mit Illustrationen von Nishant Choksi
Aus dem
Englischen übersetzt von
Michael Schmidt
Arena Verlag 2010
Euro 12,95, 64
Seiten
ISBN
978-3401064703
Ein Buch für Kinder, die sich für Philosophie
interessieren, das viele Fragen stellt? Reichen denn nicht die Fragen
der Kinder selbst?
Wenn man als Erwachsener auf die Fragen von Kindern
trifft und mit ihnen direkt konfrontiert wird, so unterliegt man häufig
einem Fehlschluss. Nicht die kindlichen Fragen stellen eine Gefahr dar,
sondern die Antworten, die gegeben werden. Eine Frage hilft, die Welt
und ihre Umwelt nicht für selbstverständlich zu nehmen; sie hilft, Dinge
zu unterscheiden und sich selbst besser zu begreifen; Antworten sind
Halbwertszeiten unterworfen und können den Drang nach Fragen versiegen
lassen. Die Eule der Minerva, schrieb Hegel, fliegt erst in der Nacht.
Der Nebel des Wissens jedoch beginnt am Morgen. Stephen Law beginnt nun
an diesem Punkt.
In seiner Einleitung zur philosophischen Welt
schreibt er von Anfang an, dass es zwischen Philosophie und
Naturwissenschaft große Unterschiede gibt. Denn während die
Naturwissenschaft durch Beobachtung und Experimente ihre Erkenntnisse
gewinnt, so beantwortet sie doch nicht, was richtig und was falsch ist
– dies kann nur die Philosophie. denn nicht alles, was der Mensch kann,
sollte er auch!
Das Buch von Stephen Law, im englischen Original „Really,
really big questions about life, the universe and everything“ stellt
große Fragen im großen (Buch)Format und fordert den Leser auf, sich
nicht mit den Antworten zufriedenzugeben – weder mit denen der
Naturwissenschaft noch mit denen des Autors. Und dies stellt auch eine
Eigenheit des Buches dar. Der Autor scheint fast neben dem Leser zu
stehen. Es gibt keine Autorität, die sofort alles erklären oder
rechtfertigen will, sondern es werden alltägliche Gedanken oder
Situationen geschildert und mit einem Fragezeichen versehen.
Stephen Laws Buch ist somit durch zwei Eigenheiten charakterisiert:
Zum einen
ist er selbst verwundert oder erstaunt über die Vielfältigkeit der Welt
und der Fragen zu ihr, deren Beantwortung er so gut wie ausschließt; zum
anderen fordert er zum Selbstdenken und Mitdenken des Lesers auf –
eigentlich kann das Buch auch nur auf diese Weise funktionieren.
Außerdem ist es eine interessante Position, in die Law den Leser bringt,
da er sich beim Lesen selbst wie in einem Labor vorkommen mag. Es werden
philosophische Fragen vorgelegt, die durch Beobachtung (am eigenen
Leib) und durch (Gedanken-)Experimente bearbeitet werden – allerdings
ohne endgültige Gewissheit.
Das Buch gliedert sich in vier große Kapitel, die
jeweils philosophische Disziplinen besetzen: Metaphysik,
Bewusstseinsphilosophie, Ethik und Erkenntnistheorie. Es werden so die
zentralen Fragen gestellt, die in jeder Disziplin am Anfang jeder
Überlegung stehen. Und hin und wieder werden auch Lösungen angeboten,
die Philosophen im Verlauf der 2000-jährigen Geschichte entwickelt
haben: so lernt man, den Materialismus und Rationalismus zu
unterscheiden, zwischen Eudämonie und Utilitarismus zu wählen oder
Skeptizismus und Verifikationismus zu bemessen.
Jedoch lehrt das Buch
nichts! Es beinhaltet (bis auf die ionischen Philosophen) keine Nennung
von philosophischen Schulen oder philosophiegeschichtlichen
Einteilungen; es stellt keine theoretischen Fragen, die zu begreifen man
erst erlernen müsste; letztendlich fragt es ganz schlicht, ohne
Geschichte, pädagogischen Auftrag oder schulischer Wissensvermittlung.
Oft ist die Quelle einfach das eigene Staunen des Autors.
Im Grunde wird nur wenig Zeit benötigt, um
"Denkst du, wenn du denkst, dass du denkst?"
durchzulesen (jedoch viel Zeit, um es zu überdenken), außerdem
Sensibilität für das Alltägliche und Lust, zu hinterfragen. Unterstützt
wird das Buch von vielen Zeichnungen im Comic-Stil, die auf die
gestellten Fragen Bezug nehmen und sie illustrativ umarbeiten. Es ist
allerdings die Frage, ob der Nutzen hierbei wirklich so groß ist oder ob
damit schlicht Seiten gefüllt werden. Es würde jedenfalls das Konzept
unterstützen, nichts lehren zu wollen außer dem steten Hinterfragen.
Diese Weise, Philosophie ohne „Philosophie“ in
Comic-Nähe zu verarbeiten, besitzt jedenfalls die Fähigkeit, von der so
manche philosophische Untersuchungen träumen: Eine breite Masse zu
erreichen. Die amerikanische Fernsehserie „The Simpsons“ kann jedenfalls
als Beispiel dafür gelten, wie philosophische Tiefe ohne große Worte mit
Unterhaltung verbunden werden kann.
Kritisch anzumerken ist die zu große Freiheit der
Gedanken. So kann die Mannigfaltigkeit der vielen Fragen schnell zu
einem unübersichtlichen Nacheinander von Verwunderungen werden, ohne
dass durch systematische Ordnung (außer der groben Kapitel-Einteilung)
die Zweckhaftigkeit und Zielgerichtetheit der Fragen aufgezeigt würden.
Natürlich ist ein Anspruch an die Ungezwungenheit philosophischer Fragen
oft ein dringendes Muss, da die Überheblichkeit oder das übertriebene
Zurschaustellen von vermeintlich „wichtigen“ Fragen nicht selten nur
einem Show-Effekt dient; dennoch bleibt die Frage, ob diese Offenheit
und Freiheit der Gedanken nicht doch zu weit ist. So besteht die
Möglichkeit, dass das Buch von Law zu einem anschaulichen Buch zum
Durchblättern wird, wodurch die Größe der gestellten Fragen in den
Hintergrund rücken kann – nicht muss.
Es gilt hierbei noch eine Bemerkung zu machen:
Auch
wenn das Buch von Law ohne jeden wissenschaftlichen Anspruch oder
Aufforderung geschrieben wurde, so mangelt es doch an Verweisen. Denn wo
kann der neue „Nachwuchsphilosoph“ nachschlagen, wenn er etwas mehr zum
„Gehirn im Tank“ finden will? Oder zu utilitaristischen Gedanken? Oder
zum Sein und dem Nichts? Es wäre zumindest nützlich, so etwas wie einen
Überblick über die Zugehörigkeit philosophischer Fragen zu verschiedenen
Schulen am Ende des Buches hineinzunehmen.
Im Grunde ist Laws Buch unterhaltsam, stellt keine
Vorbedingungen und hält Unkompliziertheit für die höchste Tugend. Es will
nicht lehren oder konsultiert werden – letztendlich möchte es wohl
einfach... interessieren.
(Ab 12)
Der Rezensent
ist Philosoph. Zuletzt erschien von ihm ein Beitrag zu Foucault und
Camus in "Mondialikon. Zeitschrift für Denkkultur"
Fabel und Welt
Gabriele
Münnix: „Anderwelten. Eine fabelhafte Einführung ins Philosophieren“
Von Steffen
Bollermann
Gabriele
Münnix
Anderwelten
Eine fabelhafte Einführung ins Philosophieren
dtv 2009
Euro 8,95, 304
S.
ISBN
978-3423623858
Gabriele Münnix
legt mit „Anderwelten. Eine fabelhafte Einführung ins Philosophieren“
ein Buch vor, das unkompliziert und in gewisser Weise voraussetzungslos
ist. Münnix’ Ansatz unterscheidet sich von vielen anderen Versuchen
einer Einführung in die Welt der Philosophie, in denen von großen Namen
ausgegangen wird, darin, dass von entscheidenden Fragen ausgegangen
wird. Begriffe wie „Determinismus“, „Empirismus“, „Rationalismus“,
„Skeptizismus“, „Stoizismus“, „Solipsismus“ etc. finden bei ihr nur
marginale Position – nicht, weil diese Richtungen uninteressant wären,
sondern weil größerer Wert darauf gelegt wird, welche Fragen in der
Philosophie im Großen und Kleinen gestellt werden.
Und die Autorin
fängt dabei „einfach“ an, nämlich in der alltäglichen Welt zweier
Kinder, die in gewisser Weise aber auch gleich an ihre Grenzen gerät.
Phil und Feli werden von ihren Eltern über die Sommerferien zu den
Großeltern gefahren, da Lutz, der Vater von Phil und Feli, sich einer
Operation unterziehen muss. Da es sich hierbei um einen Test auf Krebs
dreht, wie später zu erfahren sein wird, brauchen die Eltern etwas Ruhe
und Zeit. Der „große Phil“, der Großvater der Kinder, war früher
Philosophielehrer an einer Schule, befindet sich aber seit ein paar
Jahren in Rente. Die Großmutter übernimmt hauptsächlich die Rolle der
Hausfrau, wobei sie jedoch keineswegs nur in dieser Rolle aufgeht, denn
sie stellt einen ausgleichenden Gegensatz zum rationalen und
vieldenkenden großen Phil dar.
Phil und Feli
sind also Teil einer heilen Familie, die weniger von Geldsorgen geprägt
ist (der Vater Lutz ist Arzt), aber dennoch vor menschlichen Problemen
steht, wie den möglichen Krebs des Vaters, einer Fehlgeburt, die die
Großmutter erlitten hat, oder schlicht den körperlichen und geistigen
Veränderungen, die die Kinder nun einmal durchlaufen. Münnix neigt bei
all diesen problematischen Lebensabschnitten aber keineswegs zur
Dramatisierung, sondern versucht diese Situationen durch die Augen der
Kinder zu sehen und stellt diese Probleme neutral, aber dennoch
einfühlsam dar.
Eines Tages
finden Phil und Feli auf dem Speicher der Großeltern ein geheimnisvolles
Buch, in welchem sie mehrere Fabeln finden, zwischen denen aber auch
viele Seiten merkwürdigerweise unbeschrieben sind. Angezogen von diesem
ungewöhnlichen Buch, beginnen die Kinder diese Geschichten zu lesen und
sich in eine fabelhafte Welt der Philosophie vertiefen.
Münnix legt bei
diesen Geschichten sehr viel Wert auf das eigenständige Denken und den
Akt des Philosophierens der Figuren wie der Leser, wie schon ihr Titel
ankündigt. So ist das Motto des Buches das „sapere aude“ Kants („Habe
den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“), - ein Schlagwort
der Französischen Aufklärung. Sie stellt Philosophie als eine praktische
Betätigung dar, die sich nicht in den akademischen Weiten der
theoretischen Elfenbeinturm-Philosophie verliert, sondern nah am Alltag
und der Praxis des Lebens bleibt – keineswegs eine übliche Vorstellung
von Philosophie. Die Autorin wählt für die Binnengeschichten die Form
der Fabel, welche viele Vorteile für das philosophische Fragen bringt,
indem in gewisser Weise die Selbstverständlichkeit unserer Welt durch
Projektion auf die Tierwelt eine eigenartige Brechung erlangt. So
erscheint das eigene, bekannte Handeln, oft von Vorurteilen oder
tradierten Gewohnheiten geprägt, in einem anderen, neuen (manchmal auch
befremdenden) Licht, wenn zum Beispiel der Regenwurm, der Zugvogel oder
der Fisch die Welt aus ihrer Perspektive sehen, die Sonne sich als das
Wichtigste für die Welt darstellt und das Schwarze Loch in eine
Identitätskrise fällt, weil es nicht weiß, ob es existiert oder nicht.
Das
Selbstdenken findet vor allem dann einen Platz, wenn die Kinder auf den
leeren Seiten zwischen den Fabeln ihre eigenen Fragen aufschreiben und
über ihr eigenes Leben nachdenken. Allerdings kann es auch schnell
überfordernd wirken, wenn zu jeder Geschichte ein Katalog von Fragen
präsentiert wird, auf die nicht wirklich Antworten gegeben werden. Hier
hätten wohl von der Anzahl her weniger Fragen, dafür aber prägnant
formuliert, deutlichere Hinweise sein können, wie die Fabeln mit der
Welt in Zusammenhang treten können.
Eines Tages,
als die Kinder fast einen Brand auf dem Speicher auslösen, sehen sie
durch die Wärme der Kerze mehrere, in Geheimschrift geschriebene Texte
auf den leeren Seiten. Sie schreiben diese Aufzeichnungen ab und haben
einen Katalog von verschiedenen Namen der großen Philosophen vor sich,
mit kurzen Erläuterungen zur jeweiligen philosophiehistorischen Stellung
und Besonderheit. Wie ein Puzzle können die Kinder nun den verschiedenen
Fabeln die jeweiligen Philosophen zuordnen, wobei es sich aber auch hier
wiederum nicht um Philosophiegeschichte dreht. Es lässt sich wohl eher
als ein Weiterverweisen verstehen, durch das die ersten Schritte in die
Philosophie getan werden sollen. Es ist nämlich nicht immer leicht, sich
als Anfänger im Fach Philosophie in einer fast 2500-jährigen Tradition
zurechtzufinden. Zusätzlich zu diesen Namen finden sie noch ein Rätsel,
an dessen Lösung sowohl die Figuren des Buches wie auch die Leser selbst
tüfteln können.
Interessant ist
vor allem die Personenkonstellation des Buches. Es werden viele Figuren
dargestellt, wie sie überall zu finden sind: der arbeitende Vater und
die Hausfrau; der denkende Großvater und die „empfindende“ Großmutter;
das schwarze Schaf der Familie (hier die Tante) und ihre „schwierigen“
Kinder; etc. Teilweise werden typische Rollenbilder dargestellt, welche
sich am Ende des Buches plötzlich als untypisch gebrochen entpuppen. So
steht eigentlich diejenige Figur, die in dem Buch relativ wenig Platz
bekommt, im Zentrum der ganzen Geschichte, wie sich am Ende
herausstellen wird. Der große Phil, der als „Philosoph“ hauptsächlich im
Denken lebt, muss letztendlich entdecken, dass sich Philosophie nicht
nur auf eine Erwachsenenwelt bezieht, sondern bereits Kinder und
Jugendliche zentrale philosophische Fragen stellen. Und an diesem
Beispiel zeigt Münnix, dass viele Kinder häufig ein gemeinsames
Schicksal tragen müssen: das stetige In-Schutz-Genommen werden durch die
Eltern vor existentiellen Fragen wie den Tod, der häufig empfundenen
Sinnlosigkeit des Alltags oder dem Verlust naher Menschen. Daher kann
Münnix auch Locke im Nachwort zitieren, der sagte: „Ich zweifle nicht
daran, dass ein Hauptgrund, warum viele Kinder sich albernen Spielen
ganz hingeben und all ihre Zeit ohne Nutzen für ihren Geist vertrödeln,
darin liegt, dass sie die Erfahrung machten, dass ihr Wissensdrang
gehemmt und ihre Fragen nicht beachtet wurden. Hätte man sie aber mit
mehr Güte und Rücksichtnahme behandelt und ihre Fragen, wie es sich
gehört, zu ihrer Befriedigung beantwortet, so hätte es ihnen ohne
Zweifel mehr Vergnügen bereitet, zu lernen und ihre Kenntnisse zu
verbessern…“
Es erscheint
somit noch eine weitere Botschaft in „Anderwelten“: Je fester man die
Kinder an sich hält, desto größer die Angst vor dem Fallen. Dass die
Angst, die die Kinder vermeintlich gegenüber diesen „schwierigen“ Themen
empfinden, wird als eine projizierte Angst entlarvt, die die Eltern
selbst in die Kinder legen (vielleicht, weil sie sich oft selbst nicht
ihre Ängste eingestehen können). Philosophie, wie sie nun in dem Buch
dargestellt wird, kann auf diesem Grund als eine Möglichkeit gelten,
sich diesen „schweren“ Themen ohne große Ängste zu nähern – vor allem
darin, dass jedem durch Selbsterkenntnis seine wahren Ängste selbst
erscheinen können und nicht in andere hineingelegt werden. Philosophie
sollte daher aus der akademischen Umklammerung gelöst werden und wieder
Einzug in das praktische Leben (vor allem der Familie) finden.
Dass
Philosophie ein kompliziertes Gebiet ist, in dem sich mehrere
Traditionen und Begrifflichkeiten mehrfach überlagern, stellt natürlich
eine große Schwierigkeit dar. Aber es gehört kein Philosophie-Studium
dazu, um sich philosophische Fragen stellen zu können, sondern nur gute
Bücher, die etwas vermitteln können.
Es ist
allerdings fraglich, ob die Kinder von „Anderwelten“ nicht einen
Idealtypus darstellen, da in der modernen, multi-medialen Zeit das Lesen
von Büchern einen anderen (geringeren, marginaleren) Stellenwert findet,
wie es hier vroausgesetzt wird. In diesem Sinne steht die Autorin in
einer eher traditionellen Linie, die sich für das wieder verstärkte
Lesen von Büchern und gegen exzessives Fernsehen ausspricht. Mit Verweis
auf Baudrillard lässt sie so den großen Phil sagen, dass die Bilder (des
Fernsehers) oft zu viel Macht über das Denken des Menschen bekommen und
die Autonomie des Denkens zugunsten des „vorgekauten“ Gedachten
abgegeben wird – daher besitzen auch Anna (die Großmutter) und der große
Phil keinen Fernseher. Jedoch lässt sich dies nicht auf das gesamte
Fernsehprogramm hin generalisieren (das sicherlich auch viel
Minderwertiges enthält), da bestimmte Programme sogar Wissen fördern
können und sollen – und dies oft praktischer/ pragmatischer mit Hilfe
von Bildern. Anstatt sich also gegen jegliches Fernsehen zu wenden, wäre
es angesichts der modernen und auch zukünftigen Entwicklungen klüger,
mit der Zeit zu gehen und gemeinsame, synergetische Anknüpfungspunkte zu
suchen.
Insgesamt
gesehen bietet das Buch viele Anregungen und erste Wege in die
Philosophie bzw. in philosophisches Denken. Es werden die grundlegenden
Fragen der Philosophiegeschichte anschaulich durch kleine Fabeln mit
offenem Ende dargestellt, wobei das eigene Infragestellen und (Weiter-)Denken
stets im Vordergrund steht. So sollen sich die Kinder nicht immer
gläubig den Antworten der „Großen“ fügen, sondern auch stets kritisch
Hinterfragen. Und die Erwachsenen sollen die Fragen der „Kleinen“ nicht
als kleine Fragen abtun, die leicht gelöst werden könnten. (Wenn dem so
wäre, gäbe es wohl keine Philosophie…)
Abschließend
lässt sich mit Rabelais sagen: „Ein Kind ist kein Gefäß, das gefüllt,
sondern ein Feuer, das entzündet werden will.“